Panik an der Deutschen Börse", lautet die Hauptschlagzeile der Frankfurter Allgemeinen vom vergangenen Samstag, und mit "Rette sich, wer kann!" ist das Titelbild überschrieben. Das zeigt den Fluchtplan aus eben jener Frankfurter Börse - mit Löschgeräten und Notausgängen. Dass eine so staatstragende Zeitung wie die FAZ so krass die Versuche der Regierung konterkariert, "das Vertrauen" in die Finanzwelt wiederherzustellen, ist gelinde gesagt erstaunlich. Man fragt sich bei einem so politikfähigen Blatt, ob eine undurchsichtige Absicht dahinter stehen könnte. Doch auf derselben Seite eins steht ein Kommentar des Mitherausgebers Frank Schirrmacher, der keine Zweifel daran lässt, dass wenigstens er von ehrlicher Panikstimmung erfasst ist.
Ein Kommunist könnte nicht radikaler gegen die kapitalistische Ordnung agitieren, als es Schirrmacher jetzt tut, für den "das große Zweifeln an der Gesellschaft und an der Tragfähigkeit ihrer bisherigen Vernunft" begonnen hat. Der "Einzelne", schreibt er - um nicht zu sagen: Ich, Schirrmacher - "muss nachträglich einsehen, dass die Vernünftigkeit seiner wichtigsten Lebensentscheidungen auf einem rein spekulativen System basierte." Da fragt man sich, welche "Lebensentscheidung" Frank Schirrmacher denn getroffen haben könnte. Hat er einen zu großen Teil seiner Einkünfte in Aktien angelegt? Diese Vermutung legt ein Halbsatz in dem Artikel nahe, den er eine Woche zuvor im FAZ-Feuilleton veröffentlicht hat: "Was Aktienbesitzern jetzt schwant, dass sie nach Jahren der Akkumulation nichts besitzen."
Ihnen "schwant" überhaupt viel Schlimmes: Dass nicht nur die Aktien, sondern auch die Prinzipien der demokratischen Ordnung entwertet sein könnten. Dafür macht Schirrmacher George W. Bush verantwortlich. "Bush hat Freiheit, Demokratie, Wohlstand mit Null multipliziert, er hat, mit erborgten Idealen, die Ideale deklassiert." Warum dieser Radikalismus, der einen nach vielen FAZ-Jahren unvorbereitet trifft? Um die Schuld von Europa abzuwälzen? Europa ist so wenig für die Finanzkrise wie für George W. Bush verantwortlich, scheint die Botschaft zu sein. Das kommt so plötzlich: Jetzt erst will Schirrmacher die Lügen entdeckt haben, mit denen Bush den Irak-Krieg rechtfertigte: "Es gab viele, und viele kluge Leute, die ihm glaubten und eine ganze Weile folgten". Wie wir wissen, steckt hinter der FAZ ja immer ein kluger Kopf.
Am Samstag nun, eine Woche später, verallgemeinert Schirrmacher noch mehr. Er geht weiter als die meisten Kommentatoren, indem er die Finanzkrise nicht auf den Betrug einzelner Banker zurückführt, auch nicht auf mangelnde Bankenkontrolle, sondern auf den Kapitalismus selbst. In der Tat ist das Kapital immer Spekulation. Das erfahren jetzt die Auto-Unternehmer, die auf Verkaufsmöglichkeiten gesetzt haben und plötzlich auf ihren Autohalden sitzen bleiben. Gewiss, sie hatten gute Gründe für ihre Spekulation, die Manager der Lehman Brothers hatten wahrscheinlich keine. Aber wo genau will man die Grenze ziehen? So wird man Schirrmacher zustimmen, wenn er ganz allgemein von einem "Bankrott der Metaphysik des Marktes" spricht und ein paar Zeilen weiter gar Friedrich Engels zitiert. Radikaler geht´s nicht. Aber Vorsicht! Hier könnte nun doch eine undurchsichtige Absicht die Feder geführt haben. Warum geht Schirrmacher im Sturmschritt von Engels zum Angriff auf die "linke Demagogie" weiter? Müsste er sich mit den Linken nicht eher verbrüdern, die schon längst vor dem gewarnt haben, was jetzt geschehen ist?
Das ist es gerade: Die Linken haben vor Leuten wie ihm, vor Zeitungen wie der FAZ gewarnt, und Schirrmacher will nicht einräumen, dass sie recht hatten. "Wie konnte zugelassen werden, was gerade geschieht?", fragt er, als wüsste er nicht, welche Rolle die Medien bei der Etablierung des Neoliberalismus gespielt haben. "Will man die Antwort darauf nicht einer linken Demagogie überlassen..." Die Antwort würde lauten: Schirrmacher etwa hat es nicht nur "zugelassen", sondern beinahe zwei Jahrzehnte lang mit aller Kraft gefördert und betrieben. Nun spricht er vorsorglich von "Demagogie": Bevor jemand auf die Idee kommt, ihm zu antworten, antwortet er lieber selbst. Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich seine so "radikale" Argumentation als Schutzbehauptung dar: Der Kapitalismus ist schuld! Das ist zwar richtig, aber nicht die ganze Wahrheit.
Wenn das wahr wäre, wären Leute wie Schirrmacher entlastet, von denen man humanerweise nicht verlangen kann, dass sie immer schon und nicht jetzt erst Kapitalismusgegner hätten sein müssen. Was man von der Politik verlangen konnte, war ein Ende der neoliberalen Deregulierung, nachdem viele Linke sie immer wieder analysiert und auf ihre im Grunde leicht vorhersehbaren Folgen hingewiesen hatten. Dies einzusehen und die Einsicht an die FAZ-Leser weiterzugeben, dafür war Schirrmacher zuständig. Darin hat er versagt und davon spricht er jetzt nicht.
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