Warum so nervös?

Bush in Berlin Man fühlt sich an die Demonstration gegen US-Außenminister Haig vor zwei Jahrzehnten erinnert

Nützt es einer Demonstration, wenn sie schon im Vorfeld angegriffen wird? Falls das so wäre, müsste sich der US-Präsident Bush, wenn er am 22. und 23. Mai Berlin besucht, auf viel Protest gefasst machen. Man kann eine weitere Frage stellen: Wie nervös ist ein Regierungslager, wenn es eine solche Demonstration nicht einfach hinnimmt, sondern sich genötigt fühlt, ihre Schwächung zu versuchen? Beide Fragen stellten sich schon vor zwei Jahrzehnten, als der damalige Außenminister der USA, Alexander Haig, auf dem Weg nach Berlin war. Weil wir die Fragen für 1981 beantworten können, bietet sich ein rückblickender Vergleich an: Er könnte helfen, die Situation von heute einzuschätzen.
Damals war Ronald Reagan frisch im Amt wie heute George Bush. Dass er zunächst nicht selbst nach Europa kam, sondern seinen Außenminister schickte, mindert den Wert des Vergleichs nicht, denn fast noch mehr als Reagan war Alexander Haig 1981 die Symbolfigur US-amerikanischer Friedensgefährdung. Den NATO-Doppelbeschluss, um den es damals ging, hatten sie beide nicht auf den Weg gebracht. Der Plan, in Westeuropa neue Raketen gegen die Sowjetunion zu stationieren, war noch unter Reagans Vorgänger Jimmy Carter entstanden, übrigens auf Drängen des damaligen deutschen Kanzlers Helmut Schmidt (SPD). Aber mit Reagans Amtsantritt schien die Kriegsgefahr noch gewachsen zu sein. Und Haig hatte gesagt, der Schutz der Freiheit sei wichtiger als die Bewahrung des Friedens. Über diese Äußerung war auch Schmidt entsetzt, ähnlich wie heute die Berliner Regierung über Bushs Stigmatisierung einer "Achse des Bösen".
Ob sich in Westdeutschland massenhafter Protest gegen die noch nicht ausgeführte Raketenstationierung würde formieren können, war am 13. September 1981, als Haig in Berlin landete, noch nicht entschieden. Das Datum einer zentralen Protestkundgebung in Bonn war zwar seit Monaten bekannt. Es war der 10. Oktober. Aber damit, dass da 100.000 anreisen würden, konnte einen Monat vorher niemand rechnen. Im Nachhinein sieht man gewiss Anzeichen, die dafür sprechen, dass zu diesem Zeitpunkt mindestens die Hälfte schon reisewillig gewesen sein muss. Es war nämlich erstens in wenigen Monaten ein riesiges Netz vorbereitender Gruppen geknüpft worden. Erst am 19. Juni hatten 22 Gruppen die Kundgebung angekündigt. Am 13. Juli waren schon 95 Gruppen auf einem Koordinationstreffen vertreten. Am 27. August kamen 190 Gruppen zusammen. Diese Gruppen vertraten zweitens ein breites gesellschaftliches Spektrum, das von den Jusos bis zur DKP, von der katholischen bis zur Gewerkschaftsjugend reichte. Drittens verfügten sie über einen hegemoniefähigen Kundgebungsaufruf, der sich von schon vorliegenden Appellen in zwei wesentlichen Punkten unterschied: Prinzipiell griff er die Aufrüstung der Sowjetunion ebenso an wie die der USA, praktisch ließ er sich als punktueller Protest lediglich gegen die neuen NATO-Raketen lesen, statt etwa als pazifistischer Rundumschlag daherzukommen. Auf dieser Basis gelang es den Vorbereitungsgruppen, das Präsidiumsmitglied der SPD Erhard Eppler als Kundgebungsredner zu gewinnen.
Darüber konnte sich der SPD-Kanzler Helmut Schmidt natürlich nicht freuen. Aber musste er deshalb nervös werden? Er kannte doch Epplers Herkunft aus der Gesamtdeutschen Volkspartei, die sich einst wegen der westdeutschen Wiederaufrüstung von der CDU abgespalten hatte. Er wurde so nervös, dass die gesamte Führung seiner Partei sich in diesen Wochen zerspaltete. Er und seine Anhänger, namentlich die DGB-Führung, übten starken Druck auf mögliche Kundgebungsteilnehmer und -redner aus. Aber schon die Demonstration gegen Haig sollte am besten gar nicht stattfinden, obwohl deren Parole - "Mr. Haig, es gibt nichts Wichtigeres als den Frieden!" - mit allen bekannten SPD-Programmen übereinstimmte. Zusammen mit alternativen und kommunistischen Organisatoren traten die Berliner Jusos als Veranstalter auf. Daraufhin wurde die Parteiführung vom Gewerkschaftsflügel der Berliner SPD aufgefordert, sie solle die Jusos zum Rü
Hier werden partielle Gemeinsamkeiten mit der heutigen Situation deutlich. Auch die jetzt anstehende Demonstration gegen George W. Bush ist ein Dorn im Auge einer SPD-geführten Regierung. Die Spitzen der grünen Bundestagsfraktion haben ihre Abgeordneten aufgefordert, dem Geschehen fernzubleiben. Hans-Christian Ströbele wird trotzdem mitmachen. Außenminister Fischer hat sich sogar beim Regierenden Bürgermeister Wowereit beschwert. Dabei ging es gar nicht mehr um die Berliner PDS-Senatoren, die gern demonstrieren würden, von denen man aber längst weiß, dass sie es wohl unterlassen werden. Nein, Fischer bringt das pure Stattfinden der Demonstration zur Sprache. Es könne nicht sein, wird er zitiert, dass man Bush in Berlin wie einen Feind behandle. Was soll Wowereit denn machen? Die Demonstration verbieten? Währenddessen spielt die CDU dieselbe Rolle wie damals: Geißlers Nachfolger Laurenz Meyer verlangt, der Bundeskanzler müsse "eingreifen", um uns eine "Schande" zu ersparen. Und wie damals Berliner Gewerkschafter, treten heute einige Berliner Unternehmer als Demonstrationsgegner auf. Sie wollen Bush mit Zeitungsannoncen begrüßen und auf diese Weise auch die Beteiligung der PDS am Berliner Senat kritisieren.
Warum so viel Wind, wo doch alle wissen, dass Bushs Kriegsdrohung gegen Irak, Iran und Nordkorea - und inzwischen auch Kuba: gerade warf die US-Regierung Kuba vor, sie wolle biologische Waffen herstellen und arbeite auf diesem Gebiet mit anderen "Schurkenstaaten" zusammen - in ganz Europa missbilligt wird, auch von fast allen europäischen Regierungen? Blicken wir noch einmal auf 1981 zurück. Damals fürchtete Helmut Schmidt, der eben erfolgte Präsidentenwechsel von Carter zu Reagan könne einen Machtwechsel auch in Deutschland zur Folge haben. Er teilte das später in seinen Memoiren mit. Schon US-Präsident Johnson sei am Sturz von Kanzler Erhard beteiligt gewesen. Und tatsächlich kam es 1982 wieder so. Der Mechanismus ist wohl jedes Mal ein anderer. 1982 wurde das Ende der Regierung Schmidt vom Koalitionspartner provoziert: Der Kanzler sah sich gezwungen, die FDP-Minister wegen "Illoyalität" und "Zweideutigkeit" zu entlassen. Sie waren, so Schmidt, "in ihrem Wunsch nach Koalitionswechsel durch das Nachlassen des sicherheitspolitischen Zusammenhalts der Sozialdemokratie bestärkt worden".
Heute fürchtet wohl weniger die SPD-Führung als der grüne Koalitionspartner eine Provokation, die zur Entlassung von Ministern führen könnte. Die SPD hat ja noch andere Regierungsoptionen. Hat Außenminister Fischer Grund zu der Annahme, dass Präsident Bush die rot-grüne Epoche in Deutschland beenden möchte? Ist das der Grund, weshalb Wowereit und Ströbele unter Druck gesetzt werden? Kann man von Bushs Außenpolitik in den nächsten Monaten Schachzüge erwarten, die Schröder und Fischer - oder nur letzterem - das Regieren unmöglich machen? Aber wenn es so wäre: Fischer müsste anders reagieren. Nicht an der Macht kleben, sondern die Demonstration vom 21. Mai wenigstens heimlich als Stützpunkt einer Regierungspolitik gegen neue Kriege begreifen. Freilich, die Veranstalter machen es ihm nicht so leicht, wie es 1981 einem Erhard Eppler leicht gemacht wurde. Denn heute werden einseitig die USA angegriffen, und man trägt wenig Sorge, Leute mitzunehmen, die vielleicht "nur" gegen die nächsten Kriege sind, ohne sich deshalb auf einen grundstürzenden Pazifismus einschwören lassen zu wollen. Das ist wahrscheinlich überhaupt eine Ursache, weshalb der Protest gegen Bush gesellschaftlich bei weitem nicht so breit verankert ist, wie es 1981 der Protest gegen Haig war.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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