Was Blogs mit Banken verbindet

Urbild Girokonto Wie kommt es, dass so viele Webseiten zum "Ein-" und "Ausloggen" auffordern? Betrachtungen von Freitag-Redakteur Michael Jäger

Die Kultur der Blogger ist schon zum Forschungsgegenstand geworden. Die meisten, erfahren wir, stellen persönliche Erlebnisse ins Netz, eine starke Minderheit will persönliches Wissen zugänglich machen. Das Gespräch von Mensch zu Mensch ohne Gebrauch der vier Augen mit Leuten, die man gar nicht kennt: Die neueste Version von „Individualisierung“ ist ein interessanter Zwitter. Aber mit dem, was diese Individuen tun, erschöpft sich das Neue nicht, denn auch hier ist das Medium die Message. Wie „persönlich“ ist der Blog als Bewegungsform der Blogger?

Der Ausdruck „Blog“ leitet sich vom Logbuch her. Er ist eine Abkürzung für „Web-Log“. Da das Logbuch eine Art Tagebuch ist, scheint das Medium den denkbar persönlichsten Namen zu tragen. Man fragt sich nur, wie es kommt, dass so viele Websites zum „Ein-“ und „Ausloggen“ auffordern. Das heißt doch, selbst wenn man gar kein Blogger ist, schreibt man sich allein dadurch, dass man diese Seiten besucht, in ein Logbuch ein. Warum also diese Metapher?

Weil ein Logbuch zwar ein Tagebuch, aber kein persönliches Tagebuch ist. Der Log oder die Logge ist ein Messgerät zur Bestimmung der Geschwindigkeit von Wasserfahrzeugen. Es zeigt die im Wasser zurückgelegte Strecke an. Daher ist das Logbuch zwar in der Tat eine Form der Aufzeichnung täglicher Vorgänge, aber um die Person des Aufzeichnenden geht es dabei gerade nicht. Das Urbild des „Web-Logs“ ist so gesehen das Online-Girokonto, in dem es zwar tägliche Einträge gibt, die aber nur teilweise vom User ausgehen: Die Bankverbindung trägt ihn wie Wasser (Überziehungskredit), sie ist auch ­tückisch wie Wasser.

Metaphern sind einflussreicher, als man denkt, gerade wenn sie unbewusst wirken. Aber man kann sie „erobern“, gegen den Strich bürsten. Der Blogger kann sich sagen, dass weder das Schiff noch die Fahrt seiner freien Wahl entsprungen sind; das hindert ihn aber nicht, sie persönlich zu sehen und das Geschehen an Bord ein wenig aufzumischen. Vielleicht stellt er fest, dass die Fahrt gut ist und jede Meuterei sich erübrigt? Um das herausfinden, wird er ins Logbuch nicht nur seine Erlebnisse an Bord eintragen. Denn ebenso wichtig ist die Beobachtung der See und des Himmels darüber.

Da wird der Blogger vielleicht schreiben wie der Philosoph Friedrich Nietzsche: „Wir haben das Land verlassen und sind zu Schiff gegangen!“ „Neben dir liegt der Ocean“ – „Aber es kommen Stunden, wo du erkennen wirst, dass er unendlich ist und dass es nichts Furchtbareres gibt, als Unendlichkeit.“

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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