Weiter mit Schema K?

NEUE CHANCEN IM SPIEL Mandat für Renate Künast

Das ist nicht business as usual: Der europäische Agrarkommissar Fischler reist zur Berliner Grünen Woche, die an diesem Freitag eröffnet wird, um den ökologischen Umbau der Landwirtschaft zu forcieren. Darum geht es, auch wenn er es nicht so nennen wird und obwohl mehr als unklar ist, wie tiefgreifend, ja wie ernstgemeint die Wende ist, die man jetzt überall verspricht. Die Gefahr, dass nur symbolisch reagiert wird und die Aufmerksamkeit der Betroffenen sich bald wieder abwendet, ist beim BSE-Skandal so groß, wie sie es nach Tschernobyl war. Damals richtete Helmut Kohl ein Umweltministerium ein, dessen Hauptleistung darin bestand, einer späteren Parteichefin zu erster politischer Bekanntheit zu verhelfen. Heute hat ein anderer Kanzler erneut ein Ministerium erfunden, dem die Chuzpe auf die Stirn geschrieben ist. Warum führt der Kanzler den Verbraucherschutz speziell mit Landwirtschafts- statt allgemein mit Gesundheitsfragen zusammen? Und doch ist Renate Künasts neuer Arbeitsbereich ein Schritt nach vorn.

Man muss zuerst vom schlechten Willen aller Beteiligten sprechen, weil er dem ökologischen Umbau die politischen Existenz- oder vielleicht auch Nichtexistenzbedingungen setzt. Aus dem Mund des Kanzlers sind zwar einige erstaunliche Worte zu vernehmen gewesen. Die Forderung nach einer Abkehr von den Agrarfabriken hätte man ihm ebenso wenig zugetraut wie die Idee, Wirtschaft müsse von der Ladentheke statt von der Produktion her gedacht werden. Aber es ist allzu offensichtlich, dass ihn die Angst von Stimmenverlusten treibt - Landtagswahlen stehen vor der Tür. Unterhalb der Rhetorik kalkuliert Schröder kühl und eher unökologisch. Dass er Gesundheit und Verbraucherschutz institutionell trennte und das Gesundheitsministerium zudem einer SPD-Ministerin gab, schneidet die Grünen von den Fragen der Gentechnik ab, die doch mit Schutzbelangen, auch mit Landwirtschaft genug zu tun haben. Frau Künast darf sich nun auf Äckern und in Ställen bewähren - sie übernimmt ein ähnliches Himmelfahrtskommando wie das, an dem Frau Fischer gescheitert ist. Es kommt hinzu, dass die Grünen nun gar keinen ministeriellen Zugriff auf sozialpolitische Fragen mehr haben. Und auch die Personalentscheidung ist von Schröder beeinflusst worden. Mit der ausgewiesenen Verbraucherschützerin Bärbel Höhn mochte er nicht zusammenarbeiten, weil sie eine Linke ist.

Die grünen Minister wollten Frau Höhn auch nicht haben, hat sie doch Joschka Fischers eilfertige Teilnahme am Kosovo-Krieg kritisiert. Schlechter Wille auch hier. Sie möchten vor allem den subalternen Betriebsfrieden im Kabinett genießen. Den kann auch Claudia Roth, die künftige Parteivorsitzende der Grünen, schwerlich stören. In ihrer Eigenschaft als Menschenrechts-Expertin wird sie sich auf mehr oder weniger blinde Solidarität mit dem Außenminister verpflichten lassen müssen. Ob Fritz Kuhn, der andere Vorsitzende, ihr dann noch Raum für innenpolitische Akzente lässt, ist fraglich. So sind die Grünen nicht unbedingt gestärkt aus den Kabinettswirren hervorgegangen. Und doch! Es sind neue Chancen im Spiel. Die jetzt entstandene Situation kann auch als Illustration des Satzes, dass Geschichte sich zwar nie ohne die Taten Handelnder, aber dennoch oft hinter deren Rücken ereignet, gelesen werden. Der Satz besagt ja nicht nur, dass bei gutem Willen Böses herauskommt: er kann auch das Umgekehrte fassen.

Wenn da wieder Gazetten querschießen mit dem Vorwurf, Schröders Krisenmanagement sei chaotisch, so erweisen sie sich als dumm. Das Schema F kann nun einmal nicht die politische Form einer Umwälzung sein. Der Weg der Umwälzung steht jetzt aber wirklich an. Er wird in ersten Schritten sogar begangen. Die Frage ist, ob man ihm lange treu bleiben will. Die Publizistik muss das nicht entscheiden, sondern hat Kriterien anzugeben, nach denen man eine Frau Künast an ihren Taten messen kann. Obwohl Frau Höhn die bessere Wahl gewesen wäre, hat doch auch die energische Berliner Rechtsanwältin alle Chancen, die man in solcher Lage eben hat. Einige wichtige Konfusionen, in die sie auflösend intervenieren müsste, zeichnen sich in den Debatten schon ab. So etwa die Ausflucht angeblicher Verbraucherschutzfreunde, der Umbau der Landwirtschaft werde am Unwillen der Käufer, für gute, gesunde Ware mehr Geld auszugeben, leider schnell scheitern. Wird Frau Künast den Mut haben, darauf hinzuwirken, dass die Verbraucher ihr Kaufverhalten auch qualitativ ändern: nicht nur besseres, sondern auch weniger Fleisch essen? Dann können sie es teurer bezahlen und schmälern doch nicht ihr Portemonnaie.

Sie wäre damit schon auf dem Weg, das Thema Verbraucherschutz als Element einer übergeordneten Frage zu erkennen, der des Willens der Verbraucher. Konsumentensouveränität müsste im "freien Markt" das Höchste sein, ist es aber nicht. Schröder, der einmal Marxist war, weiß genau, woran es hapert: Die Konzentration und Zentralisation des Kapitals verschafft den Konzernen die Macht, die Nachfrage zu steuern. Der Kunde ist nirgends König und so auch nicht auf dem Lebensmittelmarkt, wo die Supermarktketten jene Macht ausüben. Die Konzerne müssen ja stets versuchen, ihre Produktionsanlagen zu amortisieren, in denen langfristige Strategien geronnen sind. Den Konsumenten geht es darum, dieses Spiel auf Zeit um ihrer Gebrauchswertinteressen willen zu durchkreuzen, aber sie sind die schwächeren Marktteilnehmer. Hier müsste die Regierung helfend eingreifen. In der Frage der Atomenergie hat Schröder aber nicht den Kunden, sondern den Konzernen geholfen. Weiter: Die Agrarindustrie gefährdet die Gesundheit, weil sie chemische Keulen einsetzt, statt sich mit natürlichen Ingredienzen zu bescheiden, zu deren Bearbeitung sie freilich mehr Arbeitskräfte einstellen müsste. Eben das ist paradigmatisch - es weiß nur fast keiner: Ökologie und Abbau der Arbeitslosigkeit gingen Hand in Hand. Eben diese Kombination würde aber in kapitalistischer Perspektive als "Senkung der Produktivität" erscheinen. Das ist auch der Grund, weshalb ökologisch produzierte Waren teuer sind: die Preise zeigen gerade nicht an, welche Waren produziert werden müssten. Wird Frau Künast an der Verbreitung dieser Einsichten arbeiten? Wird sie in eine offensive Dialogstrategie mit Supermarktketten und Agrarindustriellen eintreten?

Nach den unsäglichen Atomkonsensgesprächen kann man sich etwas Widerwärtigeres als BSE-Konsensgespräche kaum vorstellen. Sie wären genau das Richtige.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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