Ökologischen Verzicht zu predigen hat einen schlechten Ruf. Einmal, weil die Reichen nie so verzichten, dass es ihnen selbst spürbar wird. Die Predigt spricht daher faktisch immer zu Schlechtergestellten. Zum anderen, weil die Forderung nach Verzicht das Problem nicht systemkritisch fasst, sondern psychologisch – du verbrauchst zu viel, bist gierig, immer noch mehr zu verbrauchen –, und keinen Eingriff in Systemstrukturen zur Folge hat. Man kommt uns mit moralischen Appellen: „Verzichte! Entsage! Enthalte dich!“, wo wir lieber „Lernt! Vorbereitet! Übt euch!“ hören würden, „Lasst uns die Schlagwetter-Atmosphäre verbreiten!“, „O Trinität des Werks: Erlebnis Formulierung Tat“, wie es in einem expressionistischen Gedicht von Johannes R. Becher heißt; denn wenn schon Psychologie, wollen wir uns nicht zum passiven Verzicht, sondern zur Aktion aufgefordert sehen.
Und doch führt nichts daran vorbei. Auch gerade wenn mit dem Imperativ der Systemänderung begonnen wird, ist Verzicht die zuletzt notwendige Schlussfolgerung. Die kapitalistische Ökonomie erhält sich durch Wachstum, dieses lässt Schadstoffe mitwachsen, führt zur Erschöpfung von Ressourcen und zerstört die Natur. Daher die Forderung, es müsse „Grenzen des Wachstums“ geben.
Zum Beispiel Rindersteaks
Sie ist primär ans ökonomische System adressiert, nicht an die Gier der Menschen, die in ihm funktionieren. So viel ist richtig. Aber wenn das Wachstum zum Stillstand gebracht wäre, wären damit auch dem Verbrauch jedes Menschen Grenzen gesetzt. Bestimmte Produkte würde es, wenn überhaupt noch, dann in viel geringeren Mengen geben, zum Beispiel Privatautos.
Oder nehmen wir unseren Rindfleischkonsum. Große ländliche wie städtische Industrien verdienen daran, dass weltweit auf zwei Menschen ein Rind kommt, woraus vielfacher Schaden erwächst: Nutzung fruchtbaren Bodens für Rinder statt für Getreide zur Menschennahrung; in manchen Regionen wird der Boden durch die Abgrasung zur Wüste; der Beitrag des Rinder-Methans zum Treibhauseffekt ist beträchtlich. Es wäre daher gut, wenn es viel weniger Rinderzucht gäbe.
Um das zu erreichen, müsste man in die industriellen Strukturen eingreifen. So viel ist wiederum richtig. Aber der Wille zum Eingriff setzt voraus, dass man bereit ist, im Erfolgsfall viel weniger Rindfleisch zu essen: bereit zum Verzicht! Immerhin, hier ist auch „Erlebnis Formulierung Tat“ gefordert. Man könnte nämlich versuchen, das System dem Ergebnis allgemeiner Wahlen über die Produktionsrichtung zu unterwerfen. Gleich in der ersten Wahl stellt man ein ökologisches Produktionsprogramm, das auch Verzicht ankündigt, zur Abstimmung. Dieses Programm muss die Mehrheit erlangen, anders geht es nicht.
Ein falscher Anspruch
Das ist auch deshalb keine leichte Übung, weil wir Deutschen viel mehr Verzicht üben müssten als andere. Jedenfalls wenn der Verzicht weltweit gerecht verteilt sein soll. Ohne solche ökologische Gerechtigkeit wird aber nichts vorankommen. In diesem Zusammenhang stoßen wir nun endlich darauf, dass der Verzicht gar nicht so „psychologisch“ und „moralisch“ ist, wie er hingestellt wird. Denn „Zichten“ heißt Zeihen, „Bezichtigen“, es ist primär eine rechtliche Angelegenheit. Wenn ich jemandem ver-zeihe, heißt das, ich ziehe das Zeihen zurück, also die Anklage, also den Regressanspruch für erlittene Schäden, – ich gebe meinen Anspruch auf, zeihe nicht mehr – ich verzichte! Eben darum handelt es sich: einen falschen Rechtsanspruch aufzugeben. Auch insofern übrigens, als wir die Erde nur treuhänderisch für unsere Kinder verwalten. Michael Jäger
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