Wenn alles in Scherben fällt

Shutdown Der Haushaltsstreit in den USA wird kommentiert, als ob er eine Soap Opera wäre. Seine Gefährlichkeit wird unterschätzt

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Donald Trump lotet Grenzen aus – wie weit kann er gehen?
Donald Trump lotet Grenzen aus – wie weit kann er gehen?

Foto: Brendan Smialowski/AFP/Getty Images

Kein Ende des Haushaltsstreits in den USA. Mehr als einen Monat schon sind große Teile der US-Administration lahmgelegt. 800.000 Staatsbedienstete erhalten keine Bezahlung. Es ist nicht der erste erbitterte Haushaltsstreit, doch dass ein Präsident seine Rede zur Lage der Nation nicht im Repräsentantenhaus halten kann, weil dessen Sprecherin Pelosi, die das Hausrecht hat, es verbietet - sie sagt, die Sicherheit des Präsidenten könne wegen der genannten Lahmlegung nicht garantiert werden -, das gab es noch nie.

Ich will auf einen Gesichtspunkt aufmerksam machen, der in der öffentlichen Kommentierung dieses Streits erstaunlicherweise gar nicht vorzukommen scheint. Man liest meistens nur, Präsident Donald Trump nehme „sein Land in Geiselhaft“. Wenn man den deutschen Medien trauen darf, scheint das auch in den USA selber die Linie der Kommentierung zu sein. Gelegentlich liest man auch, Trump wolle ausprobieren, „wie weit er gehen kann“. Und in ZEIT-online erschien gestern ein Text mit der Überschrift „Gebt ihm seine Mauer“: Trump ist blöd, klar, aber was soll’s, so schlimm ist diese Mauer ja auch wieder nicht, und schließlich sind auch Trumps Gegner, die Partei der Demokraten, keine Engel. „Trumps Mauer schützt die Demokraten auch davor, die Wähler von einer Alternative zu Trumps Antiimmigrationspolitik überzeugen zu müssen“, schreibt Heike Buchter. „Die Demokraten feiern sich selbst.“ Dabei ist klar, dass Trumps Kurs auf breiteste Ablehnung stößt. Nach einer Umfrage des US-Senders CBS sind 71 Prozent der Befragten der Ansicht, die Mauer rechtfertige keinen „Shutdown“. Trump solle dem Haushalt ohne Mauergeld zustimmen, sagen 66 Prozent. Der Präsident marschiert aber weiter, auch wenn alles in Scherben fällt.

Der Präsident marschiert weiter, und was sagen wir dazu? Wir machen eine soap opera daraus. Pappi will unbedingt durchsetzen, dass wir in Kalifornien Urlaub machen statt in Mexiko. Mami heult zwar, aber das schert ihn nicht. Mein Gott, Mami kann einem aber auch ganz schön auf die Nerven gehen. Soll sie doch nachgeben!

So ungefähr. So weit sind wir gekommen. Als ob die USA keine Verfassung hätten. Trump lotet aus, wie weit er gehen kann, das stimmt; aber auf welchem Gelände? Auf dem der Verfassung! „Alle Gesetzesvorlagen zur Aufbringung von Haushaltsmitteln gehen vom Repräsentantenhaus aus“ (Artikel 1 Abschnitt 7). Der Senat kann Änderungsvorschläge einbringen, wir können ihn aber in diesem Zusammenhang aus dem Spiel lassen; es liegt nicht am Senat, trotz seiner republikanischen Mehrheit, dass der „Shutdown“ diesmal dermaßen ausgereizt wird. Aus demselben Grund können wir auch den Umstand, dass die Demokraten keine Zweidrittelmehrheit im ganzen Kongress haben, außer Acht lassen. Hätten sie sie, könnten sie jeden Haushalt gegen den Präsidenten durchsetzen. Da es aber solche Mehrheiten in der Regel nicht gibt, tritt das Haushaltsgesetz erst dann in Kraft, wenn der Präsident zugestimmt hat. Und wenn sich Kongress und Präsident nicht einigen? Ja, das ist der springende Punkt. Wir sind beim springenden Punkt angelangt: Sie haben sich selbstverständlich zu einigen.

Der Grundzug der US-Verfassung ist die Gewaltenteilung. Welche Gedanken hinter ihr stehen, kann den Federalist Papers entnommen werden. Die Gefahr, die dort erörtert wird, ist dass eine Gewalt, sei es die gesetzgebende (Legislative) oder die ausführende (Exekutive), zu viel Macht erhält. Wenn eine Gewalt alle Macht hätte, hätte man die Tyrannis. Dabei gehen die Papers davon aus, dass die Legislative die größere Macht sein muss, in einer Demokratie. Aber auch sie muss beschränkt sein, und das Mittel dazu ist das Einspruchsrecht der Exekutive, des Präsidenten. Umgekehrt soll natürlich auch die Macht des Präsidenten beschränkt sein, durch die Legislative, den Kongress. Die „innere Struktur des Regierungssystems“, lesen wir, muss „so gestaltet“ sein, „dass dessen verschiedene konstitutive Teile durch ihre wechselseitigen Beziehungen selbst zum Mittel werden, den jeweils anderen Teil in seine Schranken zu verweisen“ (51. Artikel der Federalist Papers).

Darin liegt implizit, dass jeder Teil, jede Gewalt sich von der anderen in die Schranken zu verweisen hat. Gibt eine Gewalt zu erkennen, dass sie überhaupt gar nicht bereit ist, sich beschränken zu lassen, so ist klar, dass sie auf die Tyrannis zusteuert. Sie bricht die Verfassung, sie will die von der Verfassung definierte Demokratie beseitigen. Das ist es, was Trump versucht. Trump lotet aus, ob so etwas wie ein demokratischer Faschismus mit ihm als Führer durchgesetzt werden kann. Wenn die Partei der Demokraten im Mauerstreit nachgibt, ist er diesem Ziel wieder ein Stück näher gekommen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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