Jürgen Peters kämpft, und das ist gut so. Denn daran, ob er steht oder fällt, hängt eine Sache. Es ist verblüffend zu sehen, wie überdeutlich die Sache zum Vorschein kommt. Der Streik der Ost-Metaller ist gescheitert, weil mächtige Funktionäre im Westen ihn nicht aktiv in Form einer Streikbeteiligung mittragen wollten. Eben das haben sie sich nicht entblödet, nun auch laut auszusprechen. Der noch amtierende Vorsitzende Zwickel steht an der Spitze derer, die sagen, Peters habe den Vorstand mit der in Aussicht genommenen Westausdehnung des Streiks "getäuscht". Da tut Peters natürlich das Richtige, wenn er richtig stellt, der IG Metall-Vorstand sei in jeder Streikphase informiert gewesen und habe gegen die Westausdehnung keinen Beschluss gefasst. Auf dieser Basis konnte und musste er in die Offensive gehen, Zwickels Behauptung ehrenrührig nennen und eine Entschuldigung verlangen.
Das eigentlich Wichtige an dem Vorgang ist aber eben: Die Westkritiker mit Zwickel an der Spitze haben indirekt eingeräumt, dass der von ihnen mitbeschlossene Arbeitskampf gar nicht im Ernst ein Kampf der IG Metall, sondern nur der allein zu lassenden Ostler war. Denen würde man schon beibringen, dass sie, wenn sie es allein nicht schafften, eben Leine ziehen und sich mit der höheren Entlohnung und ausgedehnteren Freizeit der Westkollegen klaglos abfinden mussten!
Wer hat da eigentlich wen "getäuscht"? Aber treiben wir die Dinge nicht auf die Spitze. Das hilft niemandem. Man darf ruhig unterstellen, dass beide Seiten die Konsequenzen ihres am Anfang einheitlichen Tuns nicht voraussahen. Peters konnte nicht ahnen, dass das übliche Verfahren bei Streiks, immer mehr Betriebe einzubeziehen, auf einmal in Frage gestellt würde, nach dem Motto: Im Osten kannst du so viele Betriebe belasten, wie du willst, aber über die Zonengrenze hinaus darf nichts dringen. Steht das in den IG Metall-Statuten? Gesagt hat es niemand. Und wahrscheinlich auch nicht gedacht. Denn auch die Peters-Kritiker ahnten wohl nicht vorher, dass sie bei diesem Arbeitskampf neue Grenzen ihrer Solidarität entdecken würden. Es geht also nicht um die Frage, wer wen getäuscht hat, sondern um die dringend notwendige Bereitschaft, den Eintritt eines Ereignisses zur Kenntnis zu nehmen. Schon immer hat man der Gewerkschaftsbewegung vorgeworfen, sie habe die Tendenz, nicht Arbeiter zu repräsentieren, sondern Arbeitsplatzbesitzer auf Kosten der Arbeitslosen. Nun aber - das ist das Ereignis der letzten beiden Wochen - zeigt sie die ähnliche und zusätzliche Tendenz, für westdeutsche Arbeitsplatzbesitzer auf Kosten ostdeutscher zu wirken.
Die IG Metall kann es sich nicht leisten, aus dieser Tendenz die neue offizielle Linie werden zu lassen. Deshalb muss Peters siegen. Der Schaden eines Siegs seiner Kritiker würde den Schaden des Streikzusammenbruchs um ein Vielfaches übertreffen. Denn noch hat die IG Metall nur eine Schlacht verloren. Erst mit Peters´ Abgang würde das Gerede wahr, die Niederlage sei "historisch" gewesen. Verlogen ist die Einlassung der Kritiker, die Gewerkschaft brauche jetzt Einheit und Geschlossenheit und könne deshalb nicht von Peters geführt werden - weil sie es ja sind, die die Einheit zerstören. Im Übrigen geht es jetzt nicht abstrakt um Einheit. Haben wir es nicht mit einer Gewerkschaft zu tun, die in Versuchung ist, sich der neoliberalen Politik des Kanzlers freiwillig gleichzuschalten? Da geht es darum, die Gewerkschaft vor der Gleichschaltung zu bewahren, und dann erst - wenn das gelungen ist - um Einheit. Jeder noch so heftige Machtkampf in der IG Metall ist besser als ihr offener oder heimlicher Verrat des Solidaritätsgedankens. Aber nicht mit der SPD soll sie solidarisch sein, sondern mit den Menschen.
Man kann ja den Peters-Kritikern gutwillig unterstellen, dass sie nicht nur dem Westegoismus frönen, sondern auch eine verständliche, wenn auch falsche, kontraproduktive Angst vor dem Verlust der SPD-Nähe haben. Eine offene Debatte um diese Frage könnte immerhin zur Entgiftung der Atmosphäre beitragen, weil da sicher beide Seiten über ernstzunehmende Argumente jenseits von "Täuschung", "Lüge" und "Verrat" verfügen. Und weil da auch ein Kompromiss denkbar ist. Peters wird vielleicht erklären müssen, er habe nicht vor, die IG Metall mit der SPD zu verfeinden, sondern beharre nur auf der gewerkschaftlichen Unabhängigkeit. Diese Unabhängigkeit hat Zwickel nicht aufgebracht, als er Mitte vorvoriger Woche öffentlich versprach, der dem Kanzler so unangenehme Streik werde so oder so bis zum Wochenende beendet sein.
Das Ergebnis der Vorstandssitzung der IG Metall am 8. Juli lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.