Wer hätte das Recht, sie faul zu nennen?

Arbeitsmarkt III Vollbeschäftigung wäre möglich - wenn Phasen der Nichtarbeit ebenso normal sind wie Vierteltagsjobs. Für die soziale Sicherheit könnte ein Grundeinkommen sorgen

Die Vorstellung scheint absurd, der DGB könnte am 1. Mai mit der Forderung "Grundeinkommen für alle" aufmarschieren. In diesem Jahr wird es ihm sicher nicht einfallen. Viele wären ja froh, wenn er die Forderung wenigstens nur mild zurückwiese. Und doch hätte gerade der Dachverband der Arbeitenden guten Grund, die Sache noch einmal zu überdenken.

Sein bisheriges Urteil ist als Reaktion auf den Antikollektivismus der meisten Befürworter zwar verständlich. Wenn etwa Götz Werner, Anthroposoph und Drogeriekettenbesitzer, das Individuum per Grundeinkommen von der drückenden Sozialbürokratie emanzipieren und dadurch auch "das Freiheitsziel im Schillerschen Sinne" stärken will, wird jeder Gewerkschafter alarmiert sein. Denn er weiß, dass eigentumslose Menschen ihre elementarsten Interessen nur kollektiv im organisierten Kampf zur Geltung bringen können. Würde er die Forderung aber konsequent nur in der eigenen Perspektive durchdenken, müssten ihm ganz andere Zusammenhänge aufgehen. Das Grundeinkommen kommt nicht primär irgendeinem Individualismus entgegen. Es ist geeignet, den Begriff und die Praxis der Arbeit im gewerkschaftlichen Interesse zu verändern.

Einen Grund dafür haben Werner und andere immer schon genannt: Das bedingungslose, für die Teilnahme am kulturellen Leben hinreichende Grundeinkommen würde überhaupt erst einen Arbeitsmarkt schaffen, der seinen Namen verdient. Denn die es erhielten, würden erstmals entscheiden können, ob sie ihre Ware Arbeitskraft überhaupt zum Kauf anbieten wollen. Das ist das Recht eines jeden Verkäufers. Nur dem Arbeitenden steht es heute nicht frei. Er muss sich verkaufen, ist also kein Verkäufer im Sinn der Markttheorie. Wie es Scheinselbständigkeit gibt, müsste man hier von einem Scheinverkauf sprechen, hinter dem sich der Kotau vor der herrschenden Klasse verbirgt. Auch wenn sich die Arbeitenden zur Gewerkschaft zusammenschließen, kann diese den Arbeits-Scheinmarkt nicht in einen freien Markt verwandeln. Die Gewerkschaft kann ja nur versuchen, eine Bezahlung der Arbeitskraft zu ihrem Wert zu erkämpfen. Wenn der Versuch scheitert oder nur teilweise gelingt, muss die Arbeitskraft trotzdem zu Markte getragen werden. Das würde sich ändern, wenn alle über ein Grundeinkommen verfügten. Durch das Spiel von Angebot und Nachfrage auf einem Arbeitsmarkt, der dann erst einer wäre, würde erstmals der sonst selbstverständliche Zusammenhang von Preisen und Werten wirksam werden. Arbeit nähme man nämlich nur auf, wenn durch den dafür gebotenen Preis die gesellschaftlichen Durchschnittskosten der Produktion und Reproduktion der Arbeitskraft gedeckt würden; dadurch würde ein klares "Preissignal" deren Wert zu erkennen geben. Er wäre eine sichtbare Tatsache, auf die man sich berufen könnte. Besonders in der Globalisierung, wo er systematisch unterbezahlt wird, hätte das großen Nutzen.

In der bisherigen Debatte wird meist argumentiert, das Grundeinkommen reagiere darauf, dass uns die Arbeit ausgehe. Wenn Vollbeschäftigung nicht mehr möglich sei, müsse jeder das Recht haben, auch ohne Arbeit versorgt zu werden. Das ist auch so ein individualistischer Zugang. Wenn die Gewerkschaft einwendet, die Parteien dürften nicht aus ihrer Pflicht, für Vollbeschäftigung zu sorgen, entlassen werden, liegt sie ganz richtig. Aber ein anderer Zugang ist geboten. Es gibt doch nur zwei Möglichkeiten: Vollbeschäftigung entweder auf der Basis extrem niedriger Löhne (wenn alle Arbeitenden Ein-Euro-Jobs akzeptieren, lässt sie sich leicht herbeiführen) oder auf der Basis einer sehr starken Arbeitszeitverkürzung. Das Erste wollen die Neoliberalen, das Zweite ist Gewerkschaftspolitik. Die Arbeitszeitverkürzung müsste so stark sein, dass sie gesellschaftsweiter Teilzeitarbeit gleichkäme. Das kann den Halb- oder Vierteltagsjob, aber auch den Wechsel von Arbeit und Nichtarbeit in einer Arbeiterbiografie bedeuten. Wie will man aber kontinuierliche Sicherheit für solche Biografien schaffen, wenn nicht durch eine Grundsicherung?

Nun beschwören Gegner des bedingungslosen Grundeinkommen gern die menschliche Faulheit: Nur wenn Menschen arbeiten müssen, arbeiten sie; es ist notwendig, sie zur Arbeit zu zwingen, denn eine Gesellschaft lebt nur von den Arbeitsprodukten. Wenn die Befürworter sich auf diese Debatte einlassen, haben sie verloren. Es geht doch um eine ganz andere Frage: ob es Faulheit ist oder was sonst, wenn Menschen nicht arbeiten wollen, und was es umgekehrt ist, das sie zur Arbeit anhält. Der springende Punkt ist die Ziellosigkeit der vom Kapital nachgefragten Arbeit. Dem Kapital ist es gleichgültig, durch welche Produkte es seinen Profit erreicht; dieser ist sein einziges "Ziel". Entsprechend muss es den Arbeitern gleichgültig sein, was sie produzieren, denn sie müssen fähig und willens sein, je nach Jobchance von einer Arbeit zur andern zu wechseln. Die meisten sind froh, wenn sie eine Arbeit haben, die der Gesellschaft nützt. Aber aussuchen können sie es sich nicht.

Wenn nun alle ein Grundeinkommen hätten, würden viele nicht aufhören, in Kategorien kapitalistischer, das heißt gleichgültiger Arbeit zu denken. Die Folge wäre, dass sie nicht nach dem gesellschaftlichen Nutzen des Arbeitsplatzes, den man ihnen anböte, fragen würden, sondern weiter nur nach dem Geldniederschlag im Portemonnaie. Wenn es dann welche gibt, die mit dem Betrag des Grundeinkommens schon zufrieden sind, wer hätte das Recht, sie faul zu nennen? Soll man ihnen sagen, vollwertig sei erst der Mensch, der mindestens 3000 Euro im Monat ersehnt? Zu welchem Zweck er dann eben, wenn es sich so trifft, beim Bau eines Atom-U-Boots mitwirken muss? Mit diesem Zustand kann sich die Gewerkschaft nicht zufrieden geben. Ein klug gestaltetes Grundeinkommen würde aus ihm herausführen.

Wir haben vom "bedingungslosen" Grundeinkommen gesprochen. Aber was heißt bedingungslos? Darüber sollte eine Debatte beginnen, und sie hat schon begonnen. Noch immer verstehen die meisten darunter nur das Recht, jede Arbeit ablehnen zu dürfen, und machen sich nicht klar, dass sie von kapitalistischer, also gleichgültiger Arbeit sprechen. Gerade das muss aber die Forderung sein: Jede Arbeit, die sich nur einfach damit rechtfertigt, dass sie Arbeit ist, darf abgelehnt werden. Insofern ist das Grundeinkommen bedingungslos. Gleichzeitig schärfen wir uns allen, die es beziehen, den Unterschied zwischen guter, zielgerichteter und schlechter, zielloser Arbeit ein. Das wird dadurch erreicht, dass wir uns erstens zu lebenslanger Weiterbildung verpflichten und zweitens dazu, an einem Projekt mitzuarbeiten, das nach unserer eigenen Einsicht gesellschaftsnützlich ist. Darauf läuft der Vorschlag von Ralf Fücks hinaus, dem Vorstand der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung.

Man hat gesagt, das Grundeinkommen eigne sich als Basis einer Jamaika-Koalition. In Wahrheit müsste sich vor allem die Gewerkschaft dafür interessieren. Ökonomisch gesehen, wird der Kapitalismus durchaus nicht überfordert; aber man baut einen Mechanismus in ihn ein, der ihn hybrid macht, und beginnt, ihm die Rechtfertigungsgrundlage zu entziehen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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