Die Erklärung der vatikanischen Glaubenskongregation über die »Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche«, vorgestellt letzte Woche von ihrem Präfekten Kardinal Ratzinger, habe der Ökumene, so liest man fast überall, einen neuen schweren Schlag versetzt. Ist das wahr? Wenn die Erklärung die »Universalität« der Kirche rühmt, meint sie »einzig« die katholische, die römische Kirche - in der Tat ein starkes Stück. Und doch ist die Aufgeregtheit übertrieben. Erst kürzlich, als das ökumenische Papier zur »Rechtfertigungslehre« entstand, hörten wir die Kritik, es sei da um des schnöden Konsenses willen die konfessionelle Verschiedenheit nivelliert worden. Jetzt werfen dieselben Kräfte der römischen Kirche vor, sie streue Salz in die Wunden dieses Konsenses, indem sie die römische Verschiedenheit wieder und wieder betone. Diese Ungereimtheit lässt die vatikanische Erklärung, die sich doch vor allem gegen Relativismus und postmoderne Beliebigkeit auf dem Gebiet des Glaubens wendet, fast schon plausibel erscheinen. Man fragt sich nämlich: Wenn die römische Glaubensbehörde das Problem, das sie mit den Protestanten hat, krass artikuliert, warum tun diese nicht einfach umgekehrt dasselbe? Etwa weil sie einen »ökumenischen« Konsens zwischen Positionen wollen, die sich schon je für sich nicht vollständig ernst nehmen?
Es geht in der Sache darum, dass die römische Kirche auf die »apostolische Nachfolge« pocht, um das Kirche-Sein sich selbst zu- und den Protestanten abzuerkennen. Das heißt: sie behauptet, der Apostel Petrus habe speziell den Bischof von Rom mit der Führung der universalen Kirche betraut; von diesem ersten Papst an sei die christliche Heilstradition in direkter institutioneller Verkettung durch die Jahrhunderte und Jahrtausende bis auf den heutigen Papst gekommen. Die führenden protestantischen Geistlichen hingegen stünden nicht in einer solchen Kontinuität und könnten deshalb keine Kirche konstituieren.
Das kann man falsch und sogar absurd finden. Es ist schon rein immanent eine fragwürdige Einlassung, da schließlich die ersten Protestanten Glieder der römischen Kirche gewesen und ihre Führer, wie Luther, dort ganz ordentlich zu Priestern geweiht waren; die Kontinuität der Weihung war also gar nicht abgerissen, sondern hatte sich nur verzweigt. Man sieht deutlich: nicht die Weitergabe als solche ist das Kriterium der Nachfolge, sondern dass sie, wenn es nach Rom ginge, immer nur in purer Subordination hätte erfolgen dürfen. Dass da auch einmal Beauftragte sich gegen Beauftragende wenden, soll als Weg der Tradierung ungültig sein. Warum denn nur? Von der Bibel, von Petrus können die römischen Geistlichen nicht inspiriert sein, eher schon von Caesar und Augustus und dem Rom der Antike, auf dessen Boden sie heranwuchsen. Noch fragwürdiger als ihr antik-patriarchaler Begriff von Kontinuität ist aber die Vorstellung, nur gerade die Weihung könne deren Träger sein. Der Bibel zufolge wird »Nachfolge« einzig durch den Geist vermittelt, der - nicht ohne geistliche Lehrer, aber stets in allein individueller Verantwortung - das Verständnis der heiligen Schrift erschließt. Man sieht biblisch nur ein institutionelles Kriterium für Kirche-Sein, nämlich dass sie aus den Getauften besteht.
Aber wenn die römische Kirche in diesem Punkt biblischer dächte, wäre sie eben nicht die römische Kirche. Das Wunderbare an der Ökumene ist doch gerade, dass es sie trotz solcher Anmaßung gibt, die im außerkirchlichen Bereich zur sofortigen Sprengung jedes Bündnisses führen würde. Die römische Kirche ist dem Ökumenischen Rat nie beigetreten und hat doch »Einzelpersonen« in ihn entsandt, die viel mehr waren als das, denn sie nahmen vollgültig an der Ausarbeitung ökumenischer Dokumente teil. Das geschah nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Die protestantische Seite wusste immer, es war Roms christlicher Alleinvertretungsanspruch, der die verwickelte Form der Teilnahme bedingte. Sie konnte gut damit leben: mochte Rom denken was es wollte, über ihr Kirche-Sein entschied sie ja selbst. Warum soll sie nun über die neueste vatikanische Erklärung erschrocken sein?
Deren »ökumenische Rückschrittlichkeit« lässt sich gewiss nicht leugnen. Das Zweite Vaticanum hatte noch pauschal von nichtkatholischen »Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften« des Westens gesprochen, die Frage also offengelassen, ob nicht wenigstens einige protestantische Konfessionen vollgültige Kirchen sein könnten. Die Klärung »bleibt der weiteren Forschung überlassen«, schrieb damals ein deutscher Kardinal. Jetzt ist sie erfolgt. Am Ende eines Pontifikats breitet sich ökumenische Angst aus. Von einer Rivalität zwischen Ratzinger und Walter Kasper, dem Sekretär des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, ist die Rede. Aber was soll's. Dem ersten Augenschein zum Trotz bleibt doch auch Ratzingers Erklärung der Ökumene voll zugewandt. Von den Protestanten heißt es da: Eine Kirche bilden sie nicht, nur »kirchliche Gemeinschaften«; »die in diesen Gemeinschaften Getauften sind aber durch die Taufe Christus eingegliedert und stehen deshalb in einer gewissen, wenn auch nicht vollkommenen Gemeinschaft mit der Kirche«. Nur Gemeinschaften! Die vollgültige Kirche ist aber auch nur ein Glied der Gemeinschaft mit diesen Gemeinschaften!
Während der zweite Teil des Satzes den Protestanten das volle Kirche-Sein abspricht, räumt der erste Teil doch ein, dass sie immerhin genau dem Kriterium Genüge tun, nach dem sie sich selbst als Kirche begreifen. Christus ist nach katholischer wie protestantischer Auffassung das Haupt der Kirche. In ihn sind die Getauften beider Konfessionen eingegliedert. Was will man denn mehr? Dass die Katholiken nicht sagen sollen, sie seien vollkommener? Vergleiche Markus 9: Was habt ihr bei euch gedacht, fragt Christus. Sie hätten sich gefragt, wer der Größte sei, antworten die Apostel. Lehrer, wir sahen einen, der in deinem Namen Abergeister austreibt, und wir wollten ihm wehren, weil er uns nicht folgt. Der Lehrer entscheidet: Wer einem dieser Kleinen, die glauben, Ärgernis gibt, besser wäre es für ihn, ein Eselsmühlstein wäre um seinen Hals gelegt und er ins Meer geworfen worden... Und: Haltet Frieden untereinander.
Die jüngste vatikanische Erklärung zweifelt das Kirche-Sein der Protestanten auch deshalb an, weil sie »die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums«, das heißt des Abendmahls, »nicht bewahrt haben«. In der Tat hatte Luther mit der - nicht »ursprünglichen«, sondern während des Mittelalters aufgekommenen - Annahme gebrochen, Brot und Wein des Abendmahls würden während der Eucharistiefeier auf mystische Weise in Christus verwandelt; die damit verbundene Vorstellung, bei jedem Abendmahl werde die Opferung Christi wiederholt, hielt er für gotteslästerlich. Dieser Schritt des Reformators hat einen Aspekt, der ihn heute wieder aktuell macht. Luther erkannte nämlich, dass jene »Transsubstantations«-Lehre aus einer bestimmten Interpretation nicht etwa der Bibel, sondern der aristotelischen Philosophie herrührte. Und heute betont derselbe Kardinal Ratzinger, unter dessen Ägide die hier zur Debatte stehende ärgerliche Erklärung zustandegekommen ist, es sei die Aufgabe seiner Kirche, die Versöhnung der christlichen Botschaft mit der Botschaft der griechischen Philosophie zu wahren. So zuletzt in der FAZ vom 31. Dezember 1999! Das ist die Kirche, die von sich behauptet, die »vollkommenste« zu sein. Lohnt dieses Griechentum keinen brüderlichen Streit?
Man könnte zum Beispiel fragen, ob es die griechische Komponente ist, die bei manchen Katholiken in der Nachfolge Teilhards de Chardin - den gerade Ratzinger schätzt - zu einer Ersetzung oder Ergänzung des christlichen Auftrags durch den »Auftrag«, sich ins »Abenteuer der Raumflüge« zu stürzen, führt, wie man das etwa bei Leonardo Boff nachlesen kann. Als Ende der Dinge wird in diesen Kreisen die Verschmelzung des gesamten Kosmos in einem raumzeitlichen »Omega-Punkt« erwartet, was gleichbedeutend sein soll mit der eschatologischen Vereinigung jedweder Kreatur in Christus. Der Omega-Punkt als letztgültige Kirche, Raumflüge als Weg dahin: nichts könnte für die außerkirchliche Umwelt der Ökumene nützlicher und erhellender sein als ein hierüber scharf geführter Streit. Wo sind die Protestanten, die ihn führen?
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