Wer ist rechts vom Bürger?

Faschismus Wer die AfD nicht als bürgerlich bezeichnen will, vergisst, dass sie von Bürgern gewählt wurde
Ausgabe 37/2019
Faschisten lieben das bürgerliche Antlitz, schon immer
Faschisten lieben das bürgerliche Antlitz, schon immer

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Soso, eine CDU-AfD-Koalition wäre also „nicht bürgerlich“. Die AfD hatte vom „bürgerlichen Bündnis“ gesprochen, einer Moderatorin des MDR kam es dann auch über die Lippen und jetzt wird gefragt, ob sie etwa mit der AfD sympathisiere. Der Sender erschrak und entschuldigte sich für ihren „Versprecher“. „Das wäre kein bürgerliches Bündnis“, hatte der von Wiebke Binder befragte CDU-Politiker Marco Wanderwitz gleich gedankenschnell gekontert. Die SPD und alle staatstragenden Medien haben es flugs zur neuen Sprechnorm erhoben – sich ihr nicht beugen heißt dem Faschismus Tür und Tor öffnen! Nun begrüßen wir es ja, dass die CDU nicht mit der AfD koalieren will. Aber muss sie deshalb so tun, als sei schon jemals ein Faschismus ohne Beteiligung von Bürgern an die Macht gekommen? Und schärfer gefragt: Hängt ihre Ablehnung des Bündnisses davon ab, dass ihr niemand dessen Bürgerlichkeit nachweisen kann? Dann gute Nacht, Deutschland.

In der Weimarer Republik wurden Regierungen, an denen DDP, Zentrum, BVP, DVP und DNVP beteiligt waren, sei’s alle oder einige von ihnen, als „Bürgerblock-Regierungen“ bezeichnet. Zwei dieser verflossenen Parteien verdienen es, erinnert zu werden, das Zentrum und die DNVP. Denn das Zentrum ist als Katholikenpartei eine Vorgängerin der CDU/CSU und die Deutschnationale Volkspartei, deren Bürgerlichkeit damals von niemandem bestritten wurde, verbündete sich 1931 mit der NSDAP zur „Harzburger Front“. So kam es dann auch, dass der DNVP-Vorsitzende Alfred Hugenberg in Adolf Hitlers Regierung Minister wurde. Interessanterweise wird heute nicht nur die Bürgerlichkeit der AfD von der CDU, sondern auch die Bürgerlichkeit der DNVP von der AfD bestritten. Zu ihr befragt, behauptete der AfD-Bundesvorsitzende Alexander Gauland im FAZ-Interview am Montag: „Die Nationalkonservativen waren keine Bürgerlichen.“ Warum denn nicht? Weil sie mit den Nazis paktierten. Gauland macht sich die Behauptung der CDU zu eigen und zunutze: Wer mit Nazis paktiert oder mit solchen, die das tun, ist „nicht bürgerlich“. Dann geht der Streit also darum, ob er es tut oder nicht.

Und klar, man kann auf Indizien eines solchen Pakts hinweisen. Besser wäre es aber, die Wahrheit zu sagen, die darin besteht, dass die Bürgerlichen heute gespalten sind. Wer heute der AfD anhängt, hat früher den Unionsparteien angehangen. „Rechts von uns ist nur noch die Wand“ war die von Franz Josef Strauß verkündete Losung gewesen, diese Parteien wussten also ganz genau, dass sie so etwas wie eine AfD in sich bargen, und hielten sich ja deshalb nicht etwa für unbürgerlich!

Worin ihre Bürgerlichkeit bestand, war auch klar: darin, dass sie Politik fürs Kapital statt für die Arbeit machten. Die SPD wurde niemals als bürgerlich beschrieben. Und nun, wo die AfD aus der CDU/CSU ausgetreten ist, soll sie nicht mehr bürgerlich sein? Es ist aber immer noch so, dass alle drei Parteien dem Kapital Flankenschutz geben, weit mehr noch als die SPD es tut. Gauland sagt im Interview, es sei unbürgerlich, Wohnungsbaugesellschaften zu enteignen. Sagen die Unionsparteien auch.

Es ist ja trotzdem wunderbar, dass CDU und CSU aufgehört haben, die Union aller Bürger zu sein, auch der rechtsradikalen. Wenn die AfD vom „bürgerlichen Bündnis“ spricht, heißt das, sie will die Unionsparteien in die Weimarer Republik zurückzerren. Um diesen Streit geht es, man soll es aber auch laut sagen.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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