Wie der Kuchen verteilt wird

Grundeinkommen Die globale Krise erfordert ein neues Denken: Nicht Profitmaximierung, sondern eine vernünftige Existenzgrundlage für alle sollte die Grundkonstante der Wirtschaft sein.

Viel wurde und wird über ein bedingungsloses Grundeinkommen debattiert, aber dass es sich um eine ganz neue Idee handelt, ist noch kaum verstanden worden. Neu für den Kapitalismus. Aber auch neu für das Denksystem, das sich bisher Sozialismus nannte. Vielleicht kann uns die Einsicht ins Neue ermutigen, die Debatte gerade jetzt in der schweren Wirtschaftskrise zu forcieren. Denn das ist eine Grundsatzkrise, die grundsätzliche Antworten erfordert.

Wir hören schon das Totschlagargument, bereits Milton Friedmann, der Vater des Neoliberalismus, sei ein Parteigänger der Idee gewesen. Was hat Friedman geschrieben? Dass man alle Kosten der Bürokratie, die ein Sozialstaat verursacht, und diesen selbst einsparen könnte, wenn alle Bedürftigen ein Grundeinkommen erhielten und mit ihm die Leistungen selbst bezahlten. Auf dieser Basis hat der CDU-Politiker Dieter Althaus ausgerechnet, dass der Staat bei Auszahlung eines solchen Grundeinkommens sogar Kosten einsparen könnte. Hartz IV unterbieten – dieser Denkansatz ist gewiss ein alter Hut.

Worin bestünde das Neue? Wir hätten eine Gesellschaft, in der die minimale Einkommenshöhe nicht als Folge ökonomischer Bedingungen und Prozesse zustande käme – sei es der eigenen Arbeit oder der Geschäftslage der Unternehmen, der momentanen Haltung der Parteien zur Sozialstaatlichkeit oder, wie im Althaus-Modell, der Rationalisierung sozialstaatlicher Kosten – sondern in der sie selbst die Ausgangsgröße wäre. Alle anderen Größen hätten sich ihr kompatibel zu machen. Zuerst haben nämlich alle ein Recht auf die volle Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse. Das ist es, wonach sich die Höhe des Einkommens zu richten hätte, das man ohne jede Gegenleistung erhalten würde. Einfach weil sie Mitglieder der Gesellschaft sind. Diese Höhe wäre eine Konstante. Ihre Festlegung wäre sozusagen der Gründungsakt der Ökonomie.

Die Nutzenmaximierung der Käufer - Dichtung oder Wahrheit?

Heute scheint es ja, als bestünde das ökonomische Gefüge nur aus voneinander abhängigen Variablen. Das lehrt die Wissenschaft, und es wirkt ebenso modern wie rational. Das Warenangebot hängt von der Nachfrage ab, die Nachfrage von der Einkommenshöhe, die Einkommenshöhe vom Umfang der Produktion, also wieder vom Warenangebot. Alles greift ineinander! Bei näherem Hinsehen gibt es aber auch hier eine Konstante. Das ist die scheinbar naturgegebene Tatsache der Profitmaximierung. Man erkennt es an der absurden Unterstellung, die in die Postulierung des ökonomischen „Gleichgewichts“ eingeht, also des Schnittpunkts von Angebots- und Nachfragekurven: dass nicht nur die Warenverkäufer, sondern auch die Konsumenten bestrebt seien, ihren „Nutzen zu maximieren“. Und nicht nur ihren Nutzen, sondern sogar ihren „Grenznutzen“. Worunter verstanden wird, dass alle, die Kuchen mögen und sich ökonomisch rational verhalten, ihn so lange kaufen werden, bis sie entweder kein Geld mehr haben oder der Kuchen ihnen zum Hals heraushängt. An diesem Punkt, so belehrt man uns, trete „Marktsättigung“ ein.

Es ist klar, hier ist nicht von rationalen und freien Käufern die Rede, sondern von einer Nachfrage, die im Kalkül der Anbieter funktioniert. Die würden ihre Süßigkeiten natürlich gern bis zum Letzten loswerden, selbst wenn sich die Käufer dann erbrechen müssen. Deshalb dichten sie den Käufern den sogenannten „Grenznutzen“ an, der ein quantitatives Maximum wäre – aber wovon? Von Kuchenbedürfniseinheiten? So etwas gibt es nicht. Stattdessen gibt es den maximalen Geldbetrag, den die Anbieter den Käufern aus der Tasche zu ziehen versuchen. Darauf, und nicht auf den Nutzen der Käufer, ist die Rechnung zugeschnitten.
Aber wäre es nicht sinnvoller, tatsächlich mit diesem Nutzen anzufangen?

Konzerte bis zum Erbrechen?

Die Grundbedürfnisse der Menschen lassen sich ermitteln. Und es handelt sich da gewiss nicht um quantitative Optimierungsbedürfnisse. Die Menschen wollen nicht „Konzerte bis zum Erbrechen“ und „Autokilometer bis zur Schrottprämie“. Es gibt vielmehr Konsumziele, die wegen ihres Inhalts gewollt werden, und einige von ihnen sind grundlegend. Als vernünftige Existenzgrundlage und hinreichende Teilhabe am kulturellen Leben würden sie von der ganzen Gesellschaft anerkannt. Die Gesellschaft würde dann jedem so viel Geld zuweisen, wie er braucht, um all das zu kaufen. Das wäre in ihr die Definition des Grundeinkommens als der ökonomischen Konstante.

Das Grundeinkommen ist keine „Umverteilung“, wie man behauptet hat. Es ist gerade umgekehrt: Die Existenz der Unternehmen beruht auf einer Umverteilung – gegen die nichts einzuwenden wäre, wenn sie nicht missbraucht würde. In vorkapitalistischen Zeiten verfügten alle arbeitenden Gesellschaftsmitglieder über ihre eigenen Produktionsmittel. Heute sind diese bei den Unternehmen konzentriert. Das ist eine Spezialisierung, die der ganzen Gesellschaft nützt, weil sie zu Wachstum führt. Aber die Unternehmer werden gleichzeitig zu den reichsten Menschen der Gesellschaft. Wenn sie dafür, dass sie diese Rolle übernehmen dürfen, einen Preis zahlten – etwas geringere Gewinne, damit niemand von Sozialhilfe leben muss –, dann wäre das nur gerecht.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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