Hans Christoph Binswanger, der Wachstumskritiker und emeritierte Professor für Volkswirtschaftslehre, legt nach: Schon 2005 war Geld und Magie erschienen, seine „ökonomische Deutung von Goethes Faust“. Jetzt will er mit einem neuen Sammelband auch Träume, Theologie, Lyrik und Kunst überhaupt seinem Anliegen dienstbar machen: „Die Geldschöpfung statt allein auf die unendliche Vermehrung monetärer Gewinne wieder stärker auf konkrete, lebensdienliche Ziele hin auszurichten.“
Texte zur Faust-Tragödie bilden auch im neuen Buch den Schwerpunkt. Man sieht einerseits, wie Binswangers Mut zu „Grenzgängen“, die das eigene Spezialwissen transzendieren, ihn zu allzu wildem Denken verführen: Er behauptet, Faust habe die Papiergeldschöpfung zu Beginn des zweiten Teils der Tragödie genutzt, um in Schifffahrt, Gewinnung von Neuland und den -Kanalbau zu investieren. „Die daraus resultierenden Realeinkommenssteigerungen und Gewinne denkt sich Faust bis ins Unendliche fortgesetzt.“ Genau hierin sieht Binswanger Faust ökonomisch charakterisiert – als einen, der an die Unendlichkeit der Kapitalvermehrung glaubt. Tatsächlich stellte Goethe die Papiergeldschöpfung als Flop dar, der als solcher nach der Französischen Revolution sichtbar wurde. Das damals zur Abwendung eines Staatsbankrotts massenweise ausgegebene Geld führte in eine schwere Inflationskrise.
Im Faust ist der Zusammenhang mit der Neulandgewinnung indessen ein ganz anderer: Der Kaiser, der Papiergeld erlaubt hatte, muss später einen Gegenkaiser im Krieg besiegen; dazu verhilft ihm Mephisto mit außerökonomischer Magie: Er bewirkt, dass der Feind in fantasiertem Wasser zu ertrinken glaubt. Zum Dank erhält Faust das Meeresufer des Reichs nach Feudalrecht zum Lehen. Er wird dann zwar Kapitalist, doch liegt es Goethe fern, deshalb die Kapitallogik ergründen und gar auf die Bühne bringen zu wollen. Dass „unendliche Vermehrung“ zum Begriff des Kapitals gehört, hat er nicht gewusst. Erst Karl Marx hat das gezeigt.
Doch Binswanger entdeckt in der Faust-Tragödie etwas Wesentliches, wie es so in der germanistischen Sekundärliteratur nicht zu finden ist. Es betrifft die Teufelswette: Kann Mephisto Faust einen „höchsten Augenblick“ verschaffen, der „verweilen“ soll, weil er so schön sei? In seine Sterbensminute sagt Faust, er genieße das „Vorgefühl“ dieses Augenblicks, wozu Binswanger schreibt: „Goethe hat erkannt“, dass der angestrebte Augenblick „überhaupt nur im Vorgefühl erlebt werden kann.“ Er bedeute nämlich „den Eintritt in das Paradies des ewigen Fortschritts“. Ja, bis dahin war Faust der Kapitallogik ausgeliefert, und nicht nur er: Weil schon die Fortschrittsvorstellung der Aufklärung zum Unendlichen tendierte, nahm man den ökonomischen Unendlichkeitszwang gar nicht erst wahr.
Man sieht, wie nützlich Grenzgänge wie dieser sind. Denn nun fragen wir uns: Wie ist die Unendlichkeitslogik überhaupt in die Ökonomie gekommen? Nicht aus ihr selbst, denn bevor Kapitallogik wirkte, trieb sie schon die Aufklärung an! Und was war vor der Aufklärung? Der Gott der Genesis, schreibt Binswanger, hat nicht immer weiter gearbeitet, sondern am siebten Tag innegehalten, um sich über sein Werk zu freuen. Wenn auch der Mensch innehalte, werde er sein Werk pflegen. Wahr ist jedenfalls, dass der Gott der -Bibel von sich sagt, er sei „der Anfang und das Ende“. Vom 15. Jahrhundert an aber galt Gott als der Unendliche. Eben so hat dann die Neuzeit begonnen.
Info
Die Wirklichkeit als Herausforderung. Grenzgänge eines Ökonomen Hans Christoph Binswanger Murmann Verlag 2016, 150 Seiten, 20 €
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