MaerzMusik: So lonely hinterm Rolladen

Klangkunst Mit Popsongs und Zwölftonmelodien: Das Festival MaerzMusik widmete sich mit „Hide to Show“ zum Auftakt Vernetzung und Vereinsamung im Internet
Ausgabe 12/2023
Beim Festival MaerzMusik wird das Alleinsein durch einsame Musiker in Fenster-Kästen symbolisiert
Beim Festival MaerzMusik wird das Alleinsein durch einsame Musiker in Fenster-Kästen symbolisiert

Foto: Fabian Schellhorn/Berliner Festspiele

Mit dem Musiktheater Hide to Show von Michael Beil und Warped Type wurde die diesjährige MaerzMusik in Berlin eröffnet. Es geht ums Internet und der Titel bringt es auf den Punkt: In der internetvermittelten Kommunikation wird gern viel gezeigt, doch das Zeigen ist ein Versteckspiel, denn man sieht oftmals nicht und soll nicht sehen, wer sich da äußert. Auf der Bühne stehen Fenster-Kästen nebeneinander, in denen meistens jeweils ein Musiker mit seinem Instrument steht und sich für kurze Zeit den Blicken präsentiert, dann aber den Rollladen herunterzieht. Die Kehrseite ist die Einsamkeit dieser Menschen; „entwirf mich, maskier mich“, wird gesungen, und: „Online ist das neue Alleinsein.“ Denn sie spielen zwar zusammen, aber ohne sich zu begegnen.

Der Sound der Komposition ist vor allem popmusikalisch mit scharfen Akzenten durchsetzt, nicht zu vielen Linien übereinander, sodass man alles leicht nachvollzieht, aber anspruchsvoll dabei; manchmal klingt es wie eine Zwölftonmelodie, zu der sich ein vorher erklungenes traditionelles Popstück gleichsam zugespitzt hat. In diesem einheitlichen Stil kommt trotzdem Verschiedenstes zusammen, sogar Messiaen und Rachmaninow werden zitiert und traurig-sentimentale Schlagerklänge der 1950er Jahre wehen von ferne vorbei; auf In my Room der Beach Boys (1963) wird angespielt und die Ievan Polkka spielt nicht nur musikalisch eine Hauptrolle, sondern ist auch zu sehen in Gestalt der japanischen Trickfilmfigur Hatsune Miku und des „Leek Dance Farm Girl“. Ihre Videos wurden auf Youtube millionenfach geklickt, wobei das Mädchen mit dem Lauch ein realer Mensch ist. Sie sind beide mutterseelenallein, mögen sie auch noch so lustig herumstrampeln, während es doch im Text der Polkka heißt, dass „wir auf der Straße tanzen“ und „die Männer glücklich waren“.

Das Musiktheater „Hide to Show“ von Michael Beil und Warped Type

Foto: Fabian Schellhorn/Berliner Festspiele

Neues und Altgewohntes sind hier verschmolzen. Die Angst vor dem Alleinsein in jungen Jahren, bevor eine erste Liebeserfahrung uns beweist, dass wir in die Welt aufgenommen sind, das hat es ja wohl schon immer gegeben. Deshalb erfanden die Beatles die Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band und brachten noch im White Album den eher satirischen Yer Blues unter, der mit „Yes, I’m lonely“ beginnt.

Also sprach der Computer

Heute scheint es, als habe dieses Alleinsein einen neuen Charakter, eben weil das Internet es vermittelt. Aber die jungen Leute treffen sich ja beileibe auch heute nicht bloß im virtuellen Raum. Und dass man sich maskiert zeigt, ist auch noch nie anders gewesen.

Wer nie aus der Welt des Internets herausträte, zu der oder dem könnte allerdings wohl wirklich irgendwann, wie es in diesem Musiktheater geschieht, der Computer sprechen: „Ich werde immer vernetzt sein, und du bist ganz allein.“ Da ist es schon gut, dass sich manchmal alle Musiker (vom Nadar Ensemble) mit ihren Instrumenten in einem der Fenster-Kästen zusammendrängen, sehen und hören lassen, weil das daran erinnert, dass Kommunikation eben nicht dasselbe wie „Vernetzung“ ist; denn auch in einem Orchester spielt zwar jeder Instrumentalist, jede Instrumentalistin für sich allein ihren Beitrag fürs Ganze, doch der innere Zusammenhang des Ganzen ist von keinem der Beiträge unabhängig, sondern entsteht erst aus ihnen.

MaerzMusik Haus der Berliner Festspiele u. a., bis 26. März 2023

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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