Winner und Loser

Rechte In ihrer aktuellen Studie arbeiten Franz Walter und Kollegen unangenehme Einsichten über Pegida heraus
Ausgabe 15/2015
Muss man auch wissen: 90 Prozent der Dresdner distanzieren sich von der Bewegung
Muss man auch wissen: 90 Prozent der Dresdner distanzieren sich von der Bewegung

Foto: Eibner/Imago

Den Ansatz des Autorenteams vom Göttinger Institut für Demokratieforschung unter der Leitung Franz Walters kann man nur begrüßen: Sie wollen eine „öffentliche Wissenschaft“ vorführen, eine, die nicht wartet, bis ein Phänomen am Ende und das Kind in den Brunnen gefallen ist, um dann sichere Daten präsentieren zu können, sondern die eingreift mit dem verfügbaren vorläufigen Wissen. Was die „Patriotischen Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes“, abgekürzt Pegida, angeht, so haben die Autoren wohl nicht erwartet, dass diese Bewegung schon fast am Ende sein würde, noch bevor jetzt ihr Buch erschienen ist. Doch das widerlegt ihren Ansatz nicht, denn mit gutem Grund erwarten sie, dass pegidaähnliche Demonstranten bald von Neuem zu Zigtausenden auf der Straße sein könnten.

Heimatgefühle

Den Zerfall der Bewegung, die seit dem Oktober vorigen Jahres kometengleich aufgestiegen war, infolge der schon im Januar 2015 eingetretenen Spaltung ihrer Führungsgruppe zeichnen sie noch nach. Nachdem nämlich der Hauptinitiator Lutz Bachmann massiv Ausländer beschimpft und sich auch noch den „Scherz“ einer Hitler-Kostümierung erlaubt hatte, hat das neben ihm bekannteste Gesicht der Bewegung, die Pressesprecherin Kathrin Oertel, ihr Amt niedergelegt, um eine nicht naziverdächtige Bewegung daneben zu gründen. Da aber die Demonstranten vom Gefühl, ein homogenes Wir gegen „die anderen“ zu bilden, gezehrt hatten, bleiben sie seitdem überwiegend zu Hause.

Die Autoren haben sich in vielen Gesprächen von diesem Wir- und Heimatgefühl erzählen lassen, das sich speziell auf die Schönheit Sachsens und den kulturellen Reichtum seiner Hauptstadt Dresden beruft – und sich das nicht von „den anderen“ kaputtmachen lassen will –, wobei man allerdings auch wissen muss, dass sich fast 90 Prozent der Dresdner von Pegida distanzieren. Interessant ist die Nachzeichnung des Zerfalls noch aus einem anderen Grund. Das Bewusstsein, nicht naziähnlich erscheinen zu dürfen, hatte die Führungsgruppe von Anfang an; eben deshalb gründete sie sich als Verein, der dann mit seiner Vereinsautorität Pegida-Ableger in anderen Städten teils als zugehörig billigte, teils sich von ihnen distanzierte. Aber eben der Umstand, dass man ein Verein war, war auch die Voraussetzung dafür, dass so etwas wie Spaltung eintreten konnte.

In dieser Hinsicht ist ein Vergleich mit den „Mahnwachen“ erhellend. Warum wurde nicht auch da ein Verein gegründet, der sich gegen wirkliche oder angebliche Randerscheinungen der Bewegung, wie die Äußerung eines der Initiatoren, für alle Kriege des vorigen Jahrhunderts sei die FED verantwortlich, hätte aussprechen können? Wurde die klare Abgrenzung vielleicht gar nicht angestrebt? Bei Pegida liegen die Dinge etwas anders. Dass deren Initiatoren nach dem üblichen Wortgebrauch Rechte, aber nicht Rechtsextremisten sind, ist glaubhaft. Selbst bei Bachmann konnten die Autoren keine Verbindung zur rechtsextremen Szene feststellen. Während es bei den Mahnwachen vorkam, dass die FED mit „den Rothschilds“ assoziiert wurde, ist in Pegida-Kreisen von Antisemitismus nichts zu sehen. Die Autoren hörten sogar in Gesprächen mit Demonstrationsteilnehmern das Lob, die Juden in Deutschland seien vorbildlich, weil sie, anders als Muslime oder jedenfalls als Salafisten, mit ihrer Religion nicht auf die Straße gingen.

Das für Linke Unerträgliche an Pegida ist freilich, dass weder deren Führung noch die Mitlaufenden bereit sind, zwischen der Masse der Muslime und den Extremisten und Terroristen unter ihnen zu unterscheiden. Deshalb ist sie nicht als Bewegung gegen den IS entstanden, obwohl dessen Terror zusammen mit dem Ukrainekrieg den Zeitpunkt ihrer Entstehung erklärt, sondern folgt der Panikmache eines Thilo Sarrazin. Dabei scheint es sich sonst um vernünftige Menschen zu handeln, die mehr als andere die politische Entwicklung wachsam verfolgen und sich zur demokratischen Ordnung nicht nur klar bekennen, sondern sie durch mehr plebiszitäre Elemente noch vertiefen wollen. In ihrer Enttäuschung über die zunehmende Abgehobenheit der politischen Klasse und neuerdings auch der Medien stehen sie ja wahrlich nicht allein. Man ist dem Forscherteam dankbar, dass es diese Facetten differenziert ausbreitet.

Der Mehrzahl seiner Autoren gemäß bietet das Buch mehrere Erklärungen des Phänomens Pegida, die sich eigentlich nicht miteinander vertragen. Eine ergeht sich in Betrachtungen über „den Populismus“, der allerdings nirgends definiert wird, was den Autor aber nicht hindert, neben Pegida auch die Piraten und selbstredend Oskar Lafontaine, aber auch die frühen, angeblich „antiparlamentarischen“ Grünen, ja die Vorkriegs-SPD und sogar „das katholische Milieu im Kulturkampf der 1870er Jahre“ unter den Negativbegriff zu subsumieren. Man hat mehr und mehr den Eindruck, es sei einfach jeder ein „Populist“ – Alexis Tsipras ist ja auch einer! –, der nicht bereit ist, sich dem TINA-Prinzip zu unterwerfen. Diese Perspektive verbindet sich dann noch mit dem Unibluff, sich so darzustellen, als stehe man „wissenschaftlich“ neutral über allen Dingen. So werden die Medienreaktionen auf Pegida in „Alarmismus“ und „Durchhalteparolen“ eingeteilt, wo man sich fragt, was denn dann das vernünftige Dritte wäre - wenn der Autor es weiß, rückt er jedenfalls nicht damit heraus.

Konfliktlinien

Die letzten 15 Seiten versöhnen dann aber mit dem Buch. Hier wird dargelegt, dass mit Bewegungen wie Pegida möglicherweise eine neue Konfliktlinie („cleavage“) im Parteiensystem entstehe, denen ebenbürtig, die sich zuvor an den Fragen des Klassengegensatzes, der Konfessionsverschiedenheit oder der Neigung gesellschaftlich peripherer Gebiete zum Separatismus herauskristallisiert haben. Im Fall Pegida würde es sich um den Gegensatz von Winnern und Losern der Globalisierung handeln. Der Autor dieses Erklärungsansatzes scheut sich nicht, pegidaähnliche Tendenzen als solche einer neu entstehenden Arbeiterpartei zu begreifen. In seiner Sicht haben die Linken jämmerlich versagt, indem sie es so weit haben kommen lassen.

Literatur

Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft? Lars Geiges, Stine Marg, Franz Walter transcript 2015, 208 S., 19,99 €

€ 4,95 statt € 14,00 pro Monat

nur heute am Geburtstag von F+

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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