Wo bleibt das Positive?

Kommentar Gescheiterte Föderalismusreform

Die Föderalismusreform ist an Parteiinteressen gescheitert. Deshalb ist es wenig wahrscheinlich, dass ein Versuch ihrer Rettung im nächsten Jahr Erfolg haben könnte. Union und SPD waren offenbar hauptsächlich darauf aus, möglichst günstige Weichen für den kommenden Bundestagswahlkampf zu stellen. Wie sollten sie sich da auf ein gemeinsames Projekt einigen?

Schon an der Wiege der erstrebten Föderalismusreform standen Parteiinteressen. Das ist nicht weiter zu bedauern. Parteien sind nun einmal die Hauptsubjekte der Politik in der Demokratie. Es war nicht von vornherein zu erwarten, dass der Reformversuch allein deshalb schon scheitern würde. Ein wenigstens kleiner Schritt konnte gelingen. Die Parteivorsitzenden Müntefering und Stoiber setzten ja ihre persönliche Reputation aufs Spiel, indem sie sich für eine Sache exponierten, deren Ausgang unsicher war. Da nun alles gescheitert ist, hat Stoiber tatsächlich Schaden erlitten. Seine Parteifreunde werfen ihm vor, der SPD zuletzt zu sehr entgegengekommen zu sein, so dass sie die Notbremse ziehen mussten. Aber um das Scheitern der Reform ist es nicht schade, denn es wäre in der Sache keine geworden, auch kein kleiner Schritt zeichnete sich ab.

Gerade das Kernstück dessen, worauf sich Müntefering und Stoiber persönlich einigen konnten, war auch nur eine Schnittmenge von Parteiinteressen. Die SPD-Regierung ärgert sich, weil sie so viele Gesetze mit dem Bundesrat abstimmen muss, alle, deren Ausführung Ländersache ist. Nach dem Kompromiss der Parteivorsitzenden hätten einige dieser Gesetze künftig allein vom Bundestag beschlossen werden können. Aber dafür wäre die Ausführung in dem neuartig eminenten Sinn Ländersache geworden, dass die Länder die Gesetze im Zuge der Ausführung verändern konnten. Sachlich gesehen, war diese "Problemlösung" des Strukturproblems Föderalismus ein schlechter Witz. Nur parteistrategisch machte sie Sinn: Wenn der SPD-Kanzler Gesetze beschließen lässt, die dann von den Ländern verändert werden, kann er denen die Schuld zuweisen; umgekehrt können die Unions-Ministerpräsidenten ihre Opposition gegen den SPD-Kanzler auf dem Rücken der Gesetzlichkeit austragen.

Zuletzt schien es den Unionsstrategen mit Recht, dass die SPD bei dem Kuhhandel doch mehr gewonnen hätte als sie. Dass sie den Kompromiss an der Bildungsfrage scheitern ließen, war kein Zufall. Denn wenn zum Beispiel die Bildungsplanung beim Bund bleibt, kann die SPD, wie sie es vorhat, mit Lernprogrammen für besser finanzierte Kindertagesstätten in den Bundestagswahlkampf ziehen. Da die CDU das nicht verhindern kann, will sie wenigstens ihre Vetomacht im Bundesrat behalten. Und nun? Sollen wir über die "Unregierbarkeit" unseres Landes jammern? In Grenzen; denn das Positive ist, dies ist ein Land, in dem sich Parteiinteressen an der Verfassung brechen. Die braucht von Müntefering und Stoiber nicht erst ausgehandelt zu werden, sondern sie ist schon da und gibt den Ausschlag.


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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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