Der Einspruch Dirk Niebels, des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, gegen den weiteren Verkauf des Biosprits E10, ja überhaupt gegen die Förderung und Nutzung von Pflanzen zum Zweck der Energiegewinnung, hat eine wichtige Debatte ins Bewusstsein zurückgerufen.
Vielleicht wäre Niebel gar nicht gehört worden, hätte er nicht ins Sommerloch gesprochen. Aber es war ja nicht skurril, was er sagte, und man muss sich auch damit, dass er der ungeliebten FDP angehört, nicht länger aufhalten. Denn wo er recht hat, hat er recht: Es besteht Anlass, gegen den Energiepflanzenanbau im höchsten Grad misstrauisch zu sein, weil er zu Anpflanzungen, die unserer Nahrung dienen, in „Flächenkonkurrenz“ steht. Je mehr Biospritpflanz
pritpflanzen, desto teurer die Nahrungsmittel. Je teurer die Nahrungsmittel, desto größer die Wahrscheinlichkeit von Hungerrevolten in Entwicklungsländern.Interessant ist nun aber, dass eine solche Debatte, kaum flammt sie wieder auf, sich sogleich in eine Vielzahl von Nebendebatten zersetzt. An der einen Frage hängen viele andere, und bald findet man sich in ihrem Gewirr nicht mehr zurecht. Ist Bioenergie etwa der Hauptfaktor der Nahrungsmittelverteuerung, sind Börsenspekulation auf Nahrungsmittel und die größere Nahrungsmittelnachfrage der Schwellenländer nicht wichtiger? Und selbst wenn sie der einzige Faktor wäre, ist denn ihr Anbauanteil der Rede wert bei sechs Prozent Energiemais-Ackerbau in Deutschland, sieben Prozent Getreideverarbeitung zu Bioethanol in der Welt? Ist der Reispreis nicht in diesem Jahr stabil? Und einmal angenommen, wir würden mehr Nahrungsmittel anbauen, sollen wir sie etwa billig an arme Länder weitergeben, um dort die einheimischen Märkte zu ruinieren?Ein komplexes ProblemJetzt, wo das Problem so komplex geworden ist, sehen wir zugleich, wie harmlos seine Anfänge waren. Schon in der Weimarer Republik, als es den Begriff Ökologie noch nicht gab, wurde Kartoffelsprit dem Benzin beigemischt – „Monopolin“ der „Reichskraftsprit-Gesellschaft“. Als viel später das ökologische Bewusstsein entstand, weckte dieser Weg anfangs kaum Interesse, obwohl Einzelne, wie der deutsche Publizist Franz Alt, sich für ihn starkmachten. Es war eine von vielen erneuerbaren Energien, die Fantasie wurde aber viel mehr von Sonne, Wind und Wasser angeregt. Wer wollte schon so genau wissen, wie das mit dem Mais funktioniert – Energiegewinn aus den Gasen des Verwesungsgestanks! Dennoch gehörten Energiepflanzen dazu: Sie hatten ihren Platz im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) der rot-grünen Bundesregierung. Dafür, dass sie wichtig wurden, sorgte die ökonomische Logik. Wasser und Sonne zu nutzen, sind gewaltige Aufgaben, die der Staat schultern muss. Windräder sind wegen der „Landschaftsverschandelung“ nicht jedermanns Sache. Sie sind trotzdem heute in Deutschland der wichtigste erneuerbare Energieträger. Aber die Gewinnung von Bioenergie kommt gleich danach, denn auch für sie sieht das EEG Subventionen vor.In anderen Weltregionen ist ihre Bedeutung noch viel größer als hierzulande, wo sie vor allem infolge ökologischen Denkens auf die Agenda kam. So sorgte sich im Jahr 2006 der US-Präsident George Bush um die Abhängigkeit seines Landes von auswärtigem Rohöl. Seine Amtsvorgänger hatten das auch getan, Bush aber schlug vor, bis 2025 sollten 75 Prozent der Rohölimporte aus dem Nahen Osten durch einheimischen Alternativsprit, vor allem Bioethanol ersetzt werden.Tatsächlich leiden die USA inzwischen unter Futtermaisknappheit, und die Welternährungsorganisation FAO hat das Land aufgefordert, die Ethanolproduktion zu stoppen. In jenem Jahr 2006 wurde auch gemeldet, Brasilien habe die nationale Selbstversorgung auf der Basis von Bioethanol erreicht. Brasilien als Schwellenland hatte diese Technologie schon seit den siebziger Jahren subventioniert. Ende der achtziger Jahre fuhren bereits neun von zehn Autos mit Ethanol, der dort aus dem Zuckerrohr gewonnen wird. Da bis 2006 nur 1,5 Prozent der verfügbaren Anbaufläche genutzt worden waren, schien Brasilien einen ungeheuren Weltmarkttrumpf in Händen zu halten.Immer mehr Kritik an der BioenergieAuf diese Entwicklung wurde die EU aufmerksam und betrachtete sie als vorbildlich. Es wurde beschlossen, den Anteil von Bioethanol und Biodiesel am Verbrauch der EU-Autos bis 2010 von 1,4 auf 5,75 Prozent zu steigern. So kam es zum Beimischungssprit E10, es gab Debatten über seine Preisentwicklung, und es stellte sich heraus, dass er kein Publikumsrenner war. Seit 2008 aber, als zusammen mit der Weltwirtschaftskrise die Hungerrevolten ausbrachen, wuchs die Zahl der Menschen, die aus grundsätzlicher Erwägung Bioenergie ablehnen. Ihnen schloss sich 2012 Dirk Niebel an, der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der von Amts wegen für Entwicklungen im Ausland besonders sensibel sein muss.2006, 2008, 2012: historisch gesehen ein Wimpernschlag. Jetzt sehen wir das Problem, wenn wir auch von einer Lösung weit entfernt sind. Wir überblicken, was geschehen ist: Die Menschen haben ohne Bewusstsein eine Wahl getroffen, sie haben Bioenergie gewählt. Da es hinter ihrem Rücken, wenn auch durch sie hindurch geschah, werden die Bestimmungsgründe der Wahl, die man der Theorie nach vorher hätte diskutieren müssen, nun allenfalls hinterher diskutiert. Endlich mit Bewusstsein geführt, macht diese Debatte aber nicht den Eindruck, als könne sie wenigstens zur Vorbereitung einer anderen bewussten Wahl dienen: der Wahl, ob wir die Bioenergie aufgeben oder auf dem Weg weitergehen sollten. Die erste Wahl konnte nicht getroffen werden, weil man nicht wusste, was man tat; die zweite scheint auch nicht möglich zu sein, weil es in unserer Gesellschaft schwer ist und jedenfalls Jahrzehnte dauert – Stichwort Atomenergie –, Dinge, die einmal laufen, noch zu beenden.An der einen Frage hängen viele andere: Eine verdient besonders hervorgehoben zu werden. Die FAZ warf sie vor zwei Wochen auf. Wenn Nahrungsmittelerzeugung prinzipiell vorrangig wäre, schrieb sie, „dann dürften auch nicht mehr als 50 Prozent des Getreides an Tiere verfüttert, neue Wohn- und Gewerbegebiete erschlossen und bis zu sieben Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der EU zu Blumenwiesen umgewandelt werden, wie es die kommende Agrarreform vorsieht“. Wie es typisch ist für komplexe Sachverhalte, geht hier etwas durcheinander. Denn daran, dass der Mensch wirtschaftet, wohnt und sich der Blumenwiesen erfreut, geht er nicht zugrunde, vielmehr gäbe es ihn nicht, wenn es anders wäre. Aber dass Tiere so viel Getreide verbrauchen, weil der Mensch so viel Fleisch frisst, gehört nicht zu seinem Begriff.Auf zwei Menschen kommt ein RindDass weltweit auf zwei Menschen ein Rind kommt, ist eine Katastrophe. Tatsächlich ist nicht nur die energiepflanzliche, sondern auch die vom Tierfutteranbau befeuerte Flächenkonkurrenz kritikwürdig. Keine Rede kann davon sein, dass das eine das andere rechtfertigt, vielmehr ist beides schon als verbrecherisch bezeichnet worden. So sagte der UN-Sondergesandte für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, die „Biotreibstoff-Fabrikation heute“ sei „ein Verbrechen gegen die Menschheit“. Und in Jeremy Rifkins Sachbuch über das „Imperium der Rinder“ lesen wir, die „veränderte Nutzung des Getreides als Futter statt als Nahrungsmittel“, die sich im 20. Jahrhundert weltweit vollzogen habe – durchgeführt von den Überflussgesellschaften des Nordens, denen dafür die eigenen Getreidefelder nicht ausreichen, sondern die auch den Ertrag der Getreidefelder des Südens in ihre Nahrungskette umlenken –, offenbare „eine neue Seite des Bösen“, der Gewalt von Menschen gegen Menschen.Auch die Rinderschwemme geht aus harmlosen Anfängen hervor, die Rifkin nachzeichnet. Der Genuss von fetthaltigem Rinderfleisch gilt seit dem Neolithikum als Quelle nicht nur biologischer, sondern magischer Kraft. In der europäischen Neuzeit taten sich zuerst nur die Adligen daran gütlich, im 19. Jahrhundert hielt man es für opportun, die britische Arbeiterklasse zu beteiligen. Damit war ein Modell für die ganze westliche Welt entstanden. So wurden immer mehr Rinder gezüchtet, und heute liegen die schlimmen Folgen auf der Hand. Die Flächenkonkurrenz ist nur eine davon. Rinder brauchen auch Wasser. Schon in den Neunzigern wurde die Hälfte allen Trinkwassers der USA von Rindern getrunken. Methan, das die Rinder absondern, ist am Treibhauseffekt beteiligt. Ebenso die Brandrodung des Regenwalds zwecks Weidegewinnung. Auch werden Steppengebiete durch Überweidung zu Wüsten.Atomkraft und FleischfresserBiospritpflanzen und Rinderschwemme haben gemeinsam, dass sie die Kraft und Stärke des Menschen oder anders gesagt seine „Energie“ befördern sollen. Warum hat dieses Thema einen so gewaltigen Umfang? Weil die Frage der „Energie“ mit dem Thema „Mensch“ praktisch zusammenfällt. Es handelt sich um die Frage, was der Mensch mit seiner Kraft anfängt. Je nachdem, was er glaubt tun zu müssen, wird er „die Energie“ gezielt einsetzen oder ins Unmäßige steigern. Wenn er Letzteres tut, findet er sich in der Komplexität der Folgen bald nicht mehr zurecht.Neben Bio-Treibstoff und Rinderschwemme kann auch die Atomenergie zur Anschauung dienen. Sie sogar am meisten, weil ihre „friedliche Nutzung“ mit viel Bewusstsein begonnen wurde. Fleischfraß war anfangs nur ein unschädlicher Genuss, Bioethanol ein Weg von vielen, erneuerbare Energie zu gewinnen. In die Atomkraft aber hatte man die menschenfreundlichsten Hoffnungen gesetzt. „Eine praktisch unbegrenzte Menge von Rohstoffen und Nahrungsmitteln“ sah John Desmond Bernal, der berühmte Physiker, als Nutzen voraus: „Pflanzen können in allen Wüstengegenden angebaut werden, nachdem diese mit hochgepumptem Grundwasser oder destilliertem Meerwasser gespeist wurden.“Sonnenenergie als BewährungsprobeWie haben wir uns verwickelt! Wir setzen auf Pflanzen, um die Nichterneuerbarkeit fossiler Rohstoffe zu kompensieren; wird das kritisiert, verweisen wir darauf, dass sie mit dem gleichen Recht angebaut werden wie Futterpflanzen; in diesen steckt ein noch größerer Skandal. Bioenergie schien eine Alternative zur Atomkraft zu sein, doch stellt sich heraus, dass sie im Guten wie im Bösen das Gleiche sind: destruktive Strategien, die aus beeindruckenden Ideen entsprangen. Ja, am harmlosen oder sogar guten Anfang ist gar nicht zu zweifeln. Um seinen Weg zu finden, kann der Mensch kein Orakel befragen. Trial and error ist das Einzige, was ihm bleibt. Aber könnte er nicht sorgsamer mit seinen Möglichkeiten umgehen? Nicht gedankenlos anfangen! Nicht undiszipliniert durchführen! Nicht den Zeitpunkt des Ausstiegs verpassen! Die nächste Bewährungsprobe wird die Sonnenenergie sein. Auch deren Nutzung ist offenbar eine grandiose Idee. Nur, wer denkt über die Nebenfolgen nach? Wer plädiert für begrenzte, kontrollierbare Experimente, bevor man zum ganz großen Schlag ausholt, wie dem Megasolarium in der Sahara mit Rohrleitungen durch Europa oder dem Brennspiegel im Orbit, der auch immer noch in der Diskussion ist? Solche Fragen dürfen nicht kleinen „Experten“runden überlassen bleiben. Die Demokratie muss sich ihrer bemächtigen.
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