Zauberlehrlinge im Weltall

China Chinas "Taikonauten" ahmen wieder nur den Westen nach - ein eigenes Ziel haben sie nicht zu bieten

Auf Olympia folgen die "Taikonauten" ­- und China kann sich erneut über sich selbst freuen. Und diesmal müsste doch auch der Westen Lob spenden. Denn die kommende Großmacht bewegt sich auf einem vorgezeichneten, allseits anerkannten, von vielen bewunderten Weg: Nach Russen, Amerikanern und Europäern können nun auch Chinesen außerhalb der Raumkapsel schweben und arbeiten können. In dieser Logik der Nachfolge aber liegt gerade das Problem.

Vor Jahrzehnten hatte Rudolf Bahro gewarnt, dass es den Planeten ruiniere, wenn das westliche Entwicklungsmodell mit seinen Kohlekraftwerken und dem motorisierten Individualverkehr in China erfolgreich imitiert wird. Von Raumfahrt hat er nicht gesprochen, obwohl sie als Sinnbild dieses Modells bestens taugt. Bahros Sorge bewahrheitet sich inzwischen, und die führenden westlichen Politiker wiederholen seinen Vorwurf. Freilich klingt er aus ihrem Mund anders. Denn der Westen ist nicht bereit, seine Ansprüche so zu definieren, dass alle Länder der Welt und also auch China sich industrialisieren können, ohne die Belastungsgrenze des Planeten zu überschreiten. Aber müsste man das westliche Entwicklungsmodell nicht erheblich modifizieren, um es mit der Philosophie der Begrenzung überhaupt kompatibel zu machen? Das war Bahros Mahnung. Individualismus, individuelle Freiheit - es scheint so selbstverständlich zu sein, dass jede deutsche, aber auch jede chinesische Familie ein oder zwei Autos braucht.

Zum westlichen Entwicklungsmodell gehört ebenso der Weg ins Weltall, auch wenn es erste Sternstunden gab, die in der Sowjetunion erlebt wurden. Auch sie war diesem Modell gefolgt, hatte es auf ihre Weise interpretiert. Das lässt sich auf Individualismus nicht reduzieren: Es gehört auch ein Wille zur Macht dazu, der zuletzt nach den Sternen greift und ihrer habhaft werden will. Mit demselben Willen kann man sich übrigens ans Steuer setzen. Die USA "einholen und überholen" war Chruschtschows Autometapher für die Wirkung gewesen, die der Kommunismus entfalten sollte.

Überhaupt unterscheiden sich Autos und Raumfähren weniger, als man denkt. Es sind zwei Stufen von Beschleunigung. Dem Futuristen Marinetti war das schon 1905 bewusst, als er seine Ode An das Rennautomobil dichtete: Sein Auto, phantasierte er, erhebt sich zu den Sternen, um des "Kontakts mit der unreinen Erde" ledig zu werden.

Nun wird man den chinesischen Kommunisten weder unterstellen, dass sie den Autoverkehr fördern, um die ökologische Krise zu verschärfen, noch dass sie auf Raumfahrt setzen, weil sie die Erde für unrein halten. Selbst das interessante Detail, dass die Taikonauten einen nach der buddhistischen Göttin "Feitian" benannten Raumanzug tragen, welchen Namen man mit "am Himmel fliegen" übersetzen kann, wird uns zu einer solchen Verdächtigung nicht verführen. Wahr ist aber, dass der Weg ins All zur Ruinierung des Planeten beiträgt - wenn auch auf etwas andere Art und Weise als der motorisierte Individualverkehr.

Denn die menschheitliche Zielsetzung, der er folgt und die er mobilisiert, stellt eine Wahl dar. Und damit drängt sie andere Optionen für eine menschheitliche Zielsetzung in den Hintergrund. Warum steckt China nicht all die Energie seiner Wissenschaftler und Ingenieure, auch alle Finanzen, die es für die Raumfahrt verbraucht, zunächst einmal in Projekte der ökologischen Sanierung? Notwendig wäre es. Die Sowjetunion hatte noch glauben können, der Mensch im All veranschauliche das kommunistische Ziel. Würde es heute nicht nahe liegen, unter diesem Ziel die Rettung der Erde zu verstehen? So sehr sich China um kleine ökologische Verbesserungen müht, von einer solchen Vision ist es weit entfernt.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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