Zerren am Nasenring

Landtagswahl Ohne die AfD gibt es in Sachsen nur eine Mehrheit, wenn die Grünen dabei sind. Geht das gut?
Ausgabe 36/2019
Wenn er nicht mit Rechten reden will, muss er auf die Grünen zurückgreifen
Wenn er nicht mit Rechten reden will, muss er auf die Grünen zurückgreifen

Foto: Imago Images/Photothek

Weder zum Aufatmen noch zum Erschrecken laden diese Landtagswahlen ein. Zum Aufatmen? Die AfD ist zwar weder in Sachsen noch in Brandenburg stärkste Partei geworden, was noch vor wenigen Wochen keineswegs feststand. Aber sie hat mehr zugelegt als je. Nach der Europawahl im Mai hörte man das Urteil, sie habe ihr Wählerpotenzial nun ausgeschöpft. Das war falsch. Zu erschrecken braucht man aber auch nicht. Weder die Parteien des Verfassungsbogens noch die Bürgerinnen haben gebannt auf die Schlange AfD geschaut, sie haben vielmehr gekämpft und der Kampf war erfolgreich. Man muss anerkennen, dass besonders die Ministerpräsidenten beider Länder durch ihren Einsatz in den letzten Wochen viel bewirkt haben. Zum Pessimismus besteht also kein Anlass. Doch der Kampf geht weiter. Wenn man einen genaueren Blick auf den Wahlsieg der CDU in Sachsen wirft, sieht man, dass sie 84.000 ihrer bisherigen Wähler an die AfD verloren hat. So erfreulich es ist, dass 126.000 bisherige Nichtwählerinnen den Verlust mehr als ausgeglichen haben: Die AfD wurde von 226.000 bisherigen Nichtwählern gewählt.

Die Schlussfolgerung ist klar. Die sächsische Regierungspartei hat der AfD eine offene Flanke geboten. Die konnte geschlossen werden, aber das muss nicht so bleiben. Es hängt davon ab, wie die Bürgerinnen die künftige Politik der CDU wahrnehmen und bewerten. Und das fängt heute schon an, denn infolge des Wahlausgangs stellt sich Sachsens CDU die Frage, ob und wie sie mit den Grünen zusammenarbeiten kann. Allein mit der SPD wie bis dato geht nicht mehr und als Mehrheitsbeschaffer kommen einzig die Grünen infrage, da die CDU eine Zusammenarbeit mit der AfD, aber auch mit der Linken ablehnt. Würde nun eine schwarz-rot-grüne Regierungskoalition zusammengebastelt, wäre das Wasser auf den Mühlen der AfD. Schon im Wahlkampf hatte deren Bundessprecher Jörg Meuthen getönt, die Grünen in der Regierung würden die CDU am Nasenring durch die Manege ziehen. Das wird die Partei dann zu beweisen versuchen. Klar, man muss nicht immer hinhören, wenn solche Sprüche geklopft werden. Die Grünen sind nun mal der Hauptgegner der AfD. In Sachsen ist es aber tatsächlich so, dass entweder die CDU oder die Grünen einen Nasenring tragen werden, wenn sie zusammen eine Regierung bilden. Darin liegt das Problem. Diese Parteien passen in diesem Bundesland wirklich nicht gut zusammen.

Das kommt auch in den Stellungnahmen der grünen Bundesvorsitzenden zum Ausdruck. Robert Habeck sagt, die CDU werde „einige Aussagen kassieren müssen“. Strittig ist besonders der Braunkohleabbau. Annalena Baerbock kündigt an, die Grünen würden in Koalitionsverhandlungen „sehr, sehr deutlich“ werden. Sie sprechen schon jetzt deutlicher, als man es von ihnen gewohnt ist. Aber worauf soll es denn hinauslaufen? Man würde wünschen, die Vorsitzenden sprechen so, weil sie von Schwarz-Grün-Rot in Sachsen eher abraten wollen. Es wäre wirklich besser für das Land, wenn Schwarz-Rot als Minderheitsregierung weitermachen würde. Hinreichend stabil könnte auch dann regiert werden. Die Grünen würden ja keinen Haushalt scheitern lassen, auch als Opposition nicht. Aber der AfD wäre die Behauptung erschwert, ihr stünden nur Varianten ein und derselben Partei gegenüber.

Zwar wird sie von einer Scheinopposition der Grünen sprechen. Aber darum geht es ja gerade: In der Klimapolitik weit auseinander, sind Grüne und CDU einig, die Verfassung zu verteidigen. Die Differenz zur AfD erstreckt sich auf beide Fragen. Je klarer das wird, desto fester kann die CDU der AfD entgegentreten. Was im Interesse aller Verfassungsparteien liegt.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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