Ein Mann, dem der Wind so entgegen bläst, kommt nicht mehr voran; er muss aufgeben. Die Frage ist, wo der Wind eigentlich herkommt. Von dem, was die Medien antworten, wird sie eher verschüttet. Immer wieder liest man, Stoiber habe den Fehler gemacht, erst in Merkels Kabinett gestrebt und dann den Rückzug angetreten zu haben. Doch so altbacken, eine gefasste Absicht auch dann nicht ändern zu dürfen, wenn eine neue Situation eingetreten ist, können selbst bayerische Christ-Soziale nicht sein. Das Neue bestand darin, dass der ursprüngliche Plan der großen Koalition, eine Regierung der drei Parteivorsitzenden Merkel, Stoiber und Müntefering zu bilden, am erzwungenen Rückzug des letzteren von der SPD-Spitze scheiterte. Die SPD sei unberechenbar geworden, kommentierte Stoiber und begründete damit auch, weshalb er in Bayern bleiben wollte. Den Ärger der Parteifreunde kann man sich wohl nur so erklären, dass Stoiber nach der letzten Bayernwahl, in der er die CSU fast zur Zweidrittelmehrheit geführt hatte, zum immer autoritärer regierenden Chef geworden war. Gern wäre man ihn losgeworden. Aber mögen die Zähne auch geknirscht haben: Einen Chef, der Erfolg hat, verlässt man nicht so schnell.
Als jedoch Frau Pauli, die nicht irgendeine "provinzielle" Landrätin ist, sondern dem CSU-Vorstand angehört, Stoiber anzugreifen begann, hatte die große Koalition schon eine Weile gearbeitet. Dem Ministerpräsidenten war der Spagat von Kritik und Unterstützung der Merkel-Regierung, für den er nach Bayern zurückgegangen war, zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr gelungen. Eine Blitzumfrage der ARD hat ergeben, dass die Zustimmung zu ihm seit seinem Verzicht auf ein Bundesministeramt wieder kräftig gestiegen war, von Oktober 2006 an aber sank. War da nicht die Enttäuschung über die Gesundheitsreform auf dem Höhepunkt? Stoiber spielte da keine glückliche Rolle. Als Merkel 2003 auf dem Leipziger Parteitag der Christdemokraten ihre neoliberale Gesundheitspolitik durchsetzte, erklärte die CSU, sie schließe sich nicht an. Ein Jahr später gab Stoiber den Widerstand jedoch auf. Die große Koalition versuchte er dann als sozialstaatsfreundlicher Hemmschuh und Zauderer zu begleiten. Natürlich musste er auch den Unmut der Bevölkerung über den Gesundheitskompromiss von Union und SPD irgendwie aufgreifen. Aber zuletzt trat er nur als Schutzherr der Privatversicherungen auf. Das ist kein Spagat mehr, sondern Entstellung zur Kenntlichkeit.
Der Spagat gehört in Bayern zum politischen System. Wenn Stoiber ihn nicht bringt, muss es ein anderer versuchen. Die CSU kann ihre absolute Mehrheit nämlich nur halten, wenn sie als Regierung auch die Oppositionsneigung weithin absorbiert. Wo wäre aber der bessere Ersatz? Das Problem liegt weniger in Figuren wie Beckstein, Huber oder Herrmann, von denen man vorerst nicht weiß, welche Spagatfähigkeiten sie noch entwickeln könnten. Dass sie es könnten, ist doch immerhin möglich. Das Problem heißt Seehofer. Frau Pauli ist Anhängerin dieses beliebten und politisch versierten Mannes, der seine Ämter niedergelegt hatte, als Stoiber Merkels gesundheitspolitischer Linie nachgab, und den diese beiden dennoch zum Bundesminister machen mussten.
In Bayern gingen zu Wochenanfang alle davon aus, dass Horst Seehofer neuer Parteivorsitzender wird. Wenn er dann noch einen Ministerpräsidenten stützte, der Merkels Linie näher steht als er, wäre der Spagat bereits bestens gesichert. Aber es scheint, dass er selbst auch Ministerpräsident werden will. Gelänge es ihm, würde die große Koalition spannend. Zu spannend vielleicht. Viele werden es verhindern wollen, und er ist stark genug, andere zu verhindern.
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