Zu viel Spagat?

Koalitionsanwärter PDS Eine sozialistische Partei braucht einen Parlamentarismus wechselnder Mehrheiten

Das Magdeburger Modell bedeutete mehr, als dass die SPD von der PDS toleriert wurde. Es war auch nicht nur eine heimliche Koalition dieser Parteien. Dazu ist es nach und nach geworden. Vielleicht wird aus der heimlichen jetzt die offene Koalition. Aber am Anfang war etwas anderes im Spiel: das Regieren mit wechselnden Mehrheiten. So selten es funktionierte, ist es doch zukunftsträchtig - nicht nur für die Regierenden.

Die PDS trägt den Sozialismus im Namen. Ihre Führung deutet gern an, "sozialistisch" heiße auch "systemoppositionell". Da dennoch Koalitionen mit der SPD geschlossen werden, befindet sie sich im Erklärungsnotstand. Sie sagt, die PDS regiere zwar mit, bleibe aber "gesellschaftlich" in Opposition und zeige das etwa durch Straßendemonstrationen. Die Parteivorsitzende ergänzte kürzlich, es könne hilfreich sein, wenn dem Berliner SPD-PDS-Senat Widerstand von Amtsträgern der PDS aus den Stadtbezirken entgegenschlage. Dieser Spagat ist kaum überzeugend. Er nährt den Verdacht, dass der Sozialismus nur eine Parteiideologie ist. Wenn die PDS ernsthaft sozialistisch, also systemoppositionell wäre, würde sie ihr Problem etwas anders definieren und könnte es mit einer Politik wechselnder Mehrheiten lösen.

Sie hätte nicht das Problem, unbedingt mitregieren zu müssen. Wohl aber gäbe es den Anspruch, die öffentlichen Angelegenheiten mitzugestalten. Sozialistische Opposition kann sich ja nicht in der Ankündigung des Jüngsten Tages der großen grundsätzlichen Veränderung erschöpfen. Sie muss sich vielmehr - in der Perspektive dieser Veränderung - in den tagtäglichen Streit einmischen, wohl wissend, dass damit das Feld der Kompromisse und Halbheiten, ja des menschlichen Versagens betreten wird. Entscheidend ist nun aber, dass Kompromisse und Halbheiten nicht dasselbe sind. Kompromisse müssen wegen der Kräfteverhältnisse eingegangen werden.

Etwas anderes sind Halbheiten, durch die hindurch eine sozialistische Partei zum Fernziel gelangen würde, wenn sie die Richtlinien der Politik bestimmen könnte. Beides ist wichtig - Kompromisse für die Tagesnöte der Menschen, damit sie nicht auf den St. Nimmerleinstag warten müssen, und gleichzeitig die laute Proklamation: So hätten wir jetzt gehandelt, wenn ihr uns das Mandat für den Weg zum Sozialismus schon erteilt hättet. Ein solcher Unterschied kann nur deutlich werden, wenn die sozialistische Partei zwar für Kompromisse die volle Verantwortung mitträgt, indem sie ihnen von Fall zu Fall zur parlamentarischen Mehrheit verhilft, den Regierungsbeitritt aber meidet.

Gegenwärtig erlangt die PDS durch Regierungsteilnahme die Anerkennung als demokratische Partei. Es ist vielleicht wahr, dass dadurch erst die Voraussetzung für den Weg wechselnder Mehrheiten als Weg zum Sozialismus geschaffen wird. Aber der Preis ist hoch. Die PDS kann nicht deutlich machen, worin sozialistische Politik hier und jetzt bestehen würde. Sie muss sich ins Schlepptau der SPD begeben. Wenn sie eine sozialistische Partei ist, wird sie bald über einen neuen Kurs beraten.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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