Zu viele Kredite

Finanzen Schöpfen Geschäftsbanken wirklich Geld aus dem Nichts? Verursachen sie so Krisen? Was können wir dagegen tun? Ein Gedankenaustausch mit dem Ökonomen Mathias Binswanger
Ausgabe 26/2015
Wer sät, der erntet
Wer sät, der erntet

Illustration: der Freitag, Material: Alswart/Fotolia; Skodonell/Istock

Früher war das mit den Banken einfach. Ihr Geschäftsmodell stellte man sich gemeinhin so vor: Sie brauchen Ersparnisse. Nur wenn ihnen solche anvertraut werden, dann können Banken auch Kredite vergeben, etwa an Firmen, die in neue Maschinen investieren wollen.

Doch diese Auffassung vom Wesen der Banken und des Geldes ist heute mehr denn je umstritten. Zunehmend verbreitet sich die Ansicht, die Kreditvergabe habe mit den Ersparnissen gar nichts zu tun. Vielmehr geschehe sie einfach dadurch, dass eine Bank ihrem Kreditnehmer ein Konto mit Buchgeld eröffnet, in der Erwartung, es werde ja später zurückgezahlt. Das ist die Geldschöpfung „aus dem Nichts“.

Diese Perspektive teilt der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger. Gerade hat er ein Buch zur Bekämpfung von Finanzkrisen veröffentlicht, es trägt den Titel Geld aus dem Nichts. Unorthodoxe Sichtweisen auf die Ökonomie liegen in der Familie des Autors: Sein Vater, Hans Christoph Binswanger, ist der Erfinder der Ökosteuer sowie ein vielzitierter Geld- und Wachstumskritiker. Mathias Binswanger setzt dieses Forschungsprogramm fort. Seine Auseinandersetzung mit der Geldschöpfung hat Brisanz: Denn wie verantwortungslos Banken agieren, das wurde spätestens mit der 2007 ausgebrochenen Finanzkrise offenbar. Wie gefährlich ist oder wäre es also, wenn Banken tatsächlich so leicht Geld schöpfen könnten!

Gold und Silber

Lange Zeit galten nur Gold oder Silber als vollwertiges Geld. Doch im 17. Jahrhundert entdeckten englische Goldschmiede die Papiergeldschöpfung – für Binswanger war das die Geburtsstunde der Geldschöpfung „aus nichts“. Denn die zunächst von den Schmieden, dann von mehreren Banken, schließlich nur noch von der Zentralbank ausgegebenen Geldnoten waren von Anfang an nur teilweise durch Gold gedeckt. Dadurch war die Möglichkeit entstanden, viel höhere Kredite zu vergeben als zuvor.

Daraus erwächst die Möglichkeit zum Wachstum der Realwirtschaft. Eine Firma soll in neue Maschinen investieren können, etwa weil sich nur mit ihrer Hilfe ein bestimmtes Produkt herstellen lässt. In einer Geldwirtschaft wie der unseren kann die reale, produktive Wirtschaft nur mittels der Vergabe von Krediten wachsen.

Doch es ist wichtig, zu unterscheiden – Binswanger selbst unterscheidet: Kreditvergabe und Geldvergabe sind nicht ein und dasselbe. Mit der Menge der vergebenen Kredite steigt die Geldmenge, aber sie steigt nicht von selbst: Wenn Banken „zu viele Kredite vergeben“, wenn also ein Teil davon nicht produktiv verwendet wird, sondern etwa für reine Spekulation, dann kommt überschüssiges Geld in Umlauf. Das kann zu Inflation und Krisen führen.

Ist die Ursache dieses Problems die fehlende Deckung von Geld durch Gold? Diese und weitere Fragen habe ich Mathias Binswanger gestellt, in einer längeren Konversation via E-Mail.

Lieber Herr Binswanger, aus manchen der Formulierungen in Ihrem neuen Buch könnte man herauslesen, Geld sei nicht mehr „real“, seit es nicht mehr durch Gold gedeckt ist. Heißt das, die Geldschöpfung „aus dem Nichts“ sei eine Schöpfung nicht aus dem Gold? Oder umgekehrt: Geld, das nicht aus Gold sei, sei aus nichts?

fragt sich, herzlich grüßend,

Ihr Michael Jäger

Lieber Herr Jäger, „Geld aus dem Nichts“ bezieht sich vor allem auf die Tatsache, dass Banken praktisch ohne Ressourcen Giralgeld durch Kreditvergabe schaffen können, ohne dass jemand vorher entsprechende Ersparnisse bei ihnen deponiert hat. Es geht hier also nicht zwingend um die Golddeckung, sondern um die Tatsache der Geldschöpfung. Das neu geschaffene Geld kann nicht mehr auf etwas „Reales“ zurückgeführt und in es umgetauscht werden. Man kann zwar Giralgeld in Banknoten umwandeln, aber dann ist Schluss. Banknoten stellen heute eine nicht rückzahlbare Schuld der Zentralbanken dar, da diese nicht mehr verpflichtet sind, dafür eine entsprechende Menge Gold zu liefern.

Viele Grüße, Ihr Mathias Binswanger

Zur Person

Mathias Binswanger, 52, ist Professor für Volkswirtschaft slehre in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Sein Buch Geld aus dem Nichts. Wie Banken Wachstum ermöglichen und Krisen verursachen ist im März 2015 erschienen

Foto: Müller-Stauffenberg/Imago

Lieber Herr Binswanger, danke! Aber müsste nicht die Formulierung, Geld werde „aus nichts“ geschöpft, mindestens eingeschränkt werden? Denn es ist doch richtig zu sagen, es gehe aus der Produktivität einer gut funktionierenden Volkswirtschaft hervor.

Viele Grüße, Michael Jäger

Lieber Herr Jäger, man könnte sagen, dass in einer Wirtschaft, in der Banken Geld „aus dem Nichts“ schaffen, dieses Geld indirekt durch das dadurch ermöglichte zukünftige Wirtschaftswachstum gedeckt ist. Solange man davon ausgehen kann, dass zumindest ein Teil des neu geschaffenen Geldes auch produktiv verwendet wird, es also eine Zunahme und auch qualitative Verbesserung der Produktion bewirkt, wird man dem Geld auch trauen. Auf diese Weise wird seine zukünftige Kaufkraft gesichert. Das ändert aber nichts daran, dass das Geld aus dem Nichts geschaffen wird.

Viele Grüße, Mathias Binswanger

Lieber Herr Binswanger, Sie schreiben, man könne von Geldschöpfung aus dem Nichts sprechen, „da es keine physische Produktion braucht“, um Buchgeld zu schaffen. Aber ein Kredit besteht nicht nur aus dem Geldkörper in Gestalt von Banknoten oder Guthaben, das abgehoben werden kann. Sondern es ist ein Betrag von bestimmter Höhe. Sie sprechen von Einlagen, die „als Zahl“ auf dem Konto des Kreditnehmers existieren. Von dieser Zahl, dem Kreditbetrag, kann man doch nicht sagen, dass er aus dem Nichts komme.

Viele Grüße, Michael Jäger

Michael Jäger, 69, arbeitet seit 1990 für den Freitag und hat gerade das Buch Gender und Parteiensytem. Links-Rechts, das Problem der falschen Fronten veröffentlicht. Geldschöpfung war ein Thema seines Blogprojekts Die Andere Gesellschaft

Foto: Daniel Seiffert

Lieber Herr Jäger, der Betrag auf dem Bankkonto entsteht im exakt gleichen Moment, in dem der Kredit vergeben wird. Er wird dann dem Konto des Kreditnehmers gutgeschrieben und ab diesem Moment ist eine „größere Zahl“ auf seinem Konto. Der Kreditnehmer kann aber über diese Zahl verfügen und sie für Zahlungszwecke einsetzen. Aus diesem Grund scheint mir der Begriff „Geldschöpfung aus dem Nichts“ dabei gerechtfertigt.

Viele Grüße, Mathias Binswanger

In seinem Buch schreibt Mathias Binswanger, es werde gefährlich, wenn Banken „zu viele Kredite vergeben“. Das jüngste Beispiel dafür ist der Ursprung der Finanzkrise 2007: US-Banken erzeugten durch die verantwortungslose Vergabe von Hypothekarkrediten – an Arbeitslose etwa, bei denen völlig klar war, dass sie nicht würden zurückzahlen können – eine gigantische Immobilienblase. Deren Folgen beeinträchtigen die ganze Welt und vor allem Europa bis heute. Wie Binswanger zeigt, vergeben Banken seit 1990 mehr Hypothekar- als andere Kredite. Schon deshalb häufen sich seitdem die Immobilienblasen. Warum haben die Zentralbanken diesem Treiben nicht Einhalt geboten?

Eine Antwort: Die Aufgaben einer Zentralbank sind nicht so definiert, dass die Verhinderung von Blasen zu ihnen gehört. Wohl sollen sie das Ihre tun, um die Wirtschaft im Gleichgewicht zu halten. Man hält es aber für hinreichend, ihnen aus diesem Grund die Inflationsbekämpfung anheimzustellen. Das heißt, sie verfügen über Mittel, die Geldmenge zu drosseln. Wenn allerdings nicht nur Zentral-, sondern auch Geschäftsbanken Geld schöpfen, können solche Mittel nicht hinreichend sein. Hier macht Binswanger seine theoretische Innovation geltend: Er fragt, was wir unter Inflation verstehen.

Inflation, klassisch

Wuchernde Preise für Güter und Dienstleistungen, denen kein reales Wirtschaftswachstum entspricht, das ist die klassische Antwort. Dabei sind aber ausgerechnet Immobilienmärkte ausgenommen, dortige Preissteigerungen werden in den Statistiken nicht als Inflation geführt. Und schon gar nicht tauchen Finanzmärkte dort auf. Deshalb wandte man diesen beiden Märkten „im Zusammenhang mit der Geldschöpfung keine besondere Aufmerksamkeit zu“, schreibt Binswanger. Obwohl auch dort überschüssiges Geld zum Preiswucher ohne Wirtschaftswachstum führt.

Wie Binswanger zeigt, tragen extrem gestiegene Manager-Boni erheblich zu diesem Überschuss bei. Deren Empfänger zahlen viel Geld für Aktien, Wertpapiere oder Wohnluxus. Mit den Preisen für Wohnluxus steigen die Mieten allgemein. Aber all dies zählt offiziell nicht als Inflation. Folglich sind Zentralbanken nicht in der Pflicht, diese Entwicklungen zu bekämpfen.

Durch ihre Kreditvergabepraxis sind die Geschäftsbanken an der inflationären Entwicklung stark beteiligt. Was also tun Banken bei dieser Vergabe eigentlich? Streuen sie willkürlich „Geld aus dem Nichts“ in die Wunden? Können sie das tun oder lassen, wie immer es ihnen beliebt?

Die Kreditvergabe ist ein Vorgang, der nur im Kontext von Bilanzlogik verständlich wird, hier der Bankbilanz. Links steht das Vermögen der Bank (Aktivseite). Rechts die Herkunft des Vermögens, also ihr Kapital, das sind die Schulden der Bank, darunter ihr Eigenkapital, worunter man solche „Schulden“ verstehen kann, die sie bei sich selbst macht und nicht irgendwem zurückzahlen muss (Passivseite). Beide Seiten der Bilanz sind dinglich betrachtet dasselbe: Die Schulden sind im Vermögen angelegt, das Vermögen repräsentiert die Schulden. Analog könnte ein Wohnungseigentümer bilanzieren: Links der Wert der Wohnung, die sein Eigentum ist und sein Vermögen bildet, rechts der schon abgezahlte Teil des Hypothekarkredits (Eigenkapital) plus das noch Abzuzahlende (Fremdkapital).

Binswanger bestreitet, dass „Banken Geld ausleihen, welches sie vorher von den Sparern erhalten haben“. Aber vielleicht ist die Abhängigkeit der Kreditvergabe von Ersparnissen anderer Art als es sich Vertreter der Schöpfung aus dem Nichts vorstellen.

Lieber Herr Binswanger, natürlich werden Ersparnisse nicht in der Weise weitergegeben, wie man ein Buch verleiht, das man dann erst einmal nicht mehr hat. Aber es ließe sich so argumentieren: Banken geben Ersparnisse nicht weg, sondern legen sie in den Krediten an, genauer: in ihren Forderungen auf Kredit-Rückzahlung. Das würde bedeuten, sie haben diese Forderungen, und auch die Ersparnisse, die Bankschulden den Einlegern gegenüber, sind als ihr angelegtes Fremdkapital noch da. Nach dieser Vorstellung wird eine „Geldschöpfung aus nichts“ unnötig.

Es grüßt herzlich Michael Jäger

Lieber Herr Jäger, entscheidend ist, dass die Schulden gegenüber den Einlegern auch erst in dem Moment entstehen, in dem der Kredit vergeben wird. Vorher existieren diese noch gar nicht. Wir können uns eine Bank vorstellen, die ohne Ersparnisse ihre Geschäftstätigkeit beginnt, nur mit etwas Eigenkapital für die Finanzierung der Gebäude und Computer. Alle weiteren Aktiven und Passiven werden erst durch Kreditvergabe an Kunden geschaffen. Natürlich kann dann von einer einzelnen Bank Geld ab- oder von einer anderen Bank zufließen. Diese Zahlungen müssen über die Konten der Geschäftsbanken bei der Zentralbank ausgeglichen werden.

Viele Grüße, Mathias Binswanger

Lieber Herr Binswanger, das bedeutet, dass die Kreditvergabe zu einer Bilanzverlängerung führt: Links (Aktiva) wird die Rückzahlforderung an den Kreditnehmer gebucht, rechts (Passiva) in gleicher Höhe die Schuld der Bank an den Kreditnehmer, das heißt die Verpflichtung, ihm liquides Geld in Höhe des Kreditbetrags auszuzahlen. Dazu schreibt der Wirtschaftsanalytiker Helmut Creutz: Würde eine Bank Kredite „durch einfache Bilanzverlängerungen“ schöpfen, „könnte die damit geschaffene Kaufkraft die Bank nicht verlassen“. Er vergleicht sie mit Kundenkrediten eines Kaufhauses. „Denn alle Übertragungen auf andere Banken werden von diesen nur in Zentralbankgeld akzeptiert, das allein die Notenbanken schaffen können.“ Schaffen Banken also so Geld, mit dem nicht bezahlt werden kann?

Viele Grüße, Michael Jäger

Lieber Herr Jäger, selbstverständlich kann der Kreditnehmer mit dem durch die Kreditvergabe geschaffenen Geld bezahlen. Er muss dieses nicht in Bargeld umtauschen und die meisten Zahlungen finden heute ohne Bargeld statt. Allerdings ist nicht der Kredit selbst Geld, sondern das dadurch geschaffene Giralgeld auf dem Konto des Kunden. Die neu geschaffene Kaufkraft muss das Bankensystem auch gar nicht verlassen, weil Zahlungen von einem Bankkonto auf ein anderes Bankkonto stattfinden. Die meisten Zahlungen werden auch nie in Zentralbankgeld zwischen verschiedenen Banken abgewickelt. Solche Zahlungen finden nur für Nettobeträge am Ende des Tages statt. Wenn Zahlungen in der Höhe von einer Million von Bank A an Bank B überwiesen wurden und Zahlungen in der Höhe von 1,1 Millionen von Bank B an Bank A, dann muss Bank B der Bank A 100.000 Euro an Reserven überweisen. Das hindert aber weder Bank A noch Bank B, Geld aus dem Nichts zu schaffen. Sie brauchen einfach zusätzlich noch etwas Reserven von der Zentralbank.

Viele Grüße, Mathias Binswanger

Lieber Herr Binswanger, die Kreditvergabe schafft Konten aufseiten der Bank und aufseiten des Bankkunden irgendwann in einem Jahr, die nur im verschwindenden Moment der Vergabe alle gleich hoch sind; sofort danach verwendet der Kunde den Betrag, um etwa Produktionsfaktoren wie Maschinen zu kaufen, zu diesem Zweck hat er den Kredit genommen. In der Bankbilanz am Jahresende steht links dieser Betrag zusammen mit allen anderen während des Jahres vergebenen Kreditbeträgen als Forderung der Bank an die Kunden. Rechts steht aber keine Bankschuld an die Kunden, weil diese bereits beglichen ist. Stattdessen steht da, was die Bank anderen Banken schuldet, bei denen die Kunden ihren Kauf etwa von Maschinen bezahlt haben. Diese Schuld besteht aus liquidem, also Zentralbankgeld. Die Bank, von der wir ausgegangen sind, hätte dann solches liquides Geld kreditiert.

Viele Grüße, Michael Jäger

Lieber Herr Jäger, dazu gibt es zwei Dinge zu sagen: Erstens steht die Geldschöpfung nie in einem Verhältnis von 1:1 zu den vergebenen Krediten. Geldschöpfung findet auch statt, wenn Banken Wertpapiere und andere Aktiva kaufen beziehungsweise. Geld wird wieder vernichtet, wenn sie diese wieder verkaufen. Werden zum Beispiel Kredite in großem Stil verbrieft, wie dies in den USA vor der jüngsten Finanzkrise für Hypothekarkredite der Fall war, dann wird die durch die Kreditvergabe entstandene Geldschöpfung durch den nachfolgenden Verkauf der verbrieften Kredite wieder rückgängig gemacht. Zweitens bleiben die Bankschulden der Banken an die Kunden so lange erhalten, bis der Kredit wieder zurückbezahlt wird. Das betrifft allerdings das Bankensystem als Ganzes. Bei einer einzelnen Bank können netto Gelder abfließen. In diesem Fall findet die Gegenbuchung aber auf der Aktivseite in der Bankbilanz statt, wo sich entsprechend der Reservebestand (Zentralbankgeld) verringert.

Viele Grüße, Michael Binswanger

Lieber Herr Binswanger, Sie erinnern daran, „dass die Kriterien zur Deckung des von der Zentralbank geschaffenen Geldes (Reserven und Bargeld) offiziell noch nie so locker waren“ wie seit 2007, insofern als die Zentralbank etwa „nicht handelbare Kreditforderungen der Geschäftsbanken“ akzeptiert. Das wird für Sie zum historischen Argument: „Letztlich ist dies das Ende einer langen Entwicklung, die durch ein stets größer werdendes Vertrauen in das von den Banken“ aus dem Nichts „geschaffene Geld verbunden ist“.

Viele Grüße, Michael Jäger

Lieber Herr Jäger, gehen wir zurück zu den Goldschmiedewerkstätten, dann fand schon damals eine Geldschöpfung aus dem Nichts statt. Allerdings wurden die in Form von Papiergeld vergebenen Kredite als Zahlungsmittel akzeptiert, weil man sie in Gold umtauschen konnte. Ob das Geld aber aus dem Nichts geschaffen wurde oder nicht, war für die Geldbenutzer von Anfang an zweitrangig.

Es grüßt Ihr Mathias Binswanger

Lieber Herr Binswanger, eigentlich müssten gerade die Geberländer der Eurozone wie Deutschland dem Geld aus dem Nichts vertrauen. Der griechische Finanzminister meint, dass sie ihm nicht vertrauen. Was meinen Sie?

Lieber Herr Jäger, da muss ich zurückfragen: Welches „aus dem Nichts geschaffene“ Geld wird denn heute von den Geberländern der Eurozone nicht akzeptiert?

Lieber Herr Binswanger, darauf antworte ich gerne: Yanis Varoufakis bezieht sich auf das OMT-Programm der Europäischen Zentralbank 2012: Es sei „ein Versprechen oder vielmehr eine Drohung an die Finanzmärkte, dass die EZB notfalls so viele Euros wie nötig ‚drucken‘ werde“ gegen Anleihen bestimmter Mitgliedsländer, falls deren Wert unter eine bestimmte Schwelle fällt. Das heißt doch nichts anderes, als dass sie droht, Geld aus dem Nichts zu schaffen. Deutschland aber, so Varoufakis, habe für dieses Programm unerfüllbare Bedingungen gestellt. Es habe trotzdem funktioniert, aber nur als Drohung, „ohne dass die EZB eine einzige Anleihe kaufen musste“. Längerfristig könne das nicht gut gehen, denn „wenn es nötig wird, Anleihen zu kaufen, nachdem die Märkte wieder nervös werden, wird Deutschland versuchen, die Käufe zu stoppen“. In der Sicht von Varoufakis hat die EZB durch Lockerung der Kriterien einen Vorstoß zur Schaffung von Geld aus dem Nichts gemacht, den das Geberland Deutschland aber nicht akzeptiert.

Viele Grüße, Michael Jäger

Lieber Herr Jäger, in diesem Fall geht es um die Geldschöpfung der EZB, einer Zentralbank. Dass Zentralbanken selbst Geld aus dem Nichts schaffen können, ist ja völlig unstrittig. Das macht eine Zentralbank jedes Mal, wenn sie eine Geschäftsbank mit weiteren Reserven versorgt. Mit den lockeren Kriterien meinte ich, dass es für die Banken noch nie so leicht war, weitere Reserven zu bekommen. Die „Geldschöpfung aus dem Nichts“ in meinem Buch bezieht sich aber vor allem auf die Fähigkeit der Geschäftsbanken, Geld durch die Vergabe von Krediten zu schaffen. Wenn die Zentralbank dann zusätzlich großzügig Reserven zur Verfügung stellt, wird der Prozess der Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken weiter vereinfacht.

Viele Grüße, Mathias Binswanger

Wir befinden uns nun in der Krise, weil Geschäftsbanken nur ungern Kredite vergeben, es gibt eine „Kreditklemme“. Entstanden ist die Krise aber durch „zu viele Kredite“. Binswanger will dieses periodisch wiederkehrende Problem auflösen. Seine Vorschläge zielen auf Kredit- und nur indirekt auf Geldkontrolle. Wer die Kredite kontrolliert, kontrolliert die Geldmenge gleich mit. Die Geldmenge für sich genommen, als papierner oder elektronischer Geldkörper der Kredite, kommt unstrittig fast ohne Produktion zustande, kommt also „aus dem Nichts“.

Wenn es nur um sie ginge, könnte man sie durch „Vollgeld“ kontrollieren. Der Ausdruck bedeutet, dass nur Zentralbanken berechtigt sind, Geld zu emittieren. Binswanger indessen kann den Mangel des Vollgeld-Vorschlags aufzeigen. Der Grundzug jedweder Lösung wäre offenbar, dass die Banken nur „gute“ und keine „schlechten“ Kredite vergeben. Doch dann müssten der Zentralbank alle Kreditvorhaben bekannt sein und zur Prüfung müsste sie eigene realwirtschaftliche Zielsetzungen haben, nach denen sie die Geldmenge steuern würde. In der Tat ist sie dazu „kaum in der Lage“, Vollgeld würde so nichts nützen.

Weniger pauschal anzusetzen ist besser. Binswangers erster Vorschlag zielt auf die Manager-Boni, die zu den jüngsten Blasen beigetragen haben: Er fordert eine „Anreizverträglichkeitsprüfung der Vergütungssysteme durch die Zentralbank oder eine andere staatliche Institution“. Der Status quo, wonach es sich „lohnt, kurzfristig viele Kredite zu vergeben, weil dadurch das eigene Gehalt substanziell in die Höhe geht“, wäre passé. Nur Systeme, in denen die Anreize so gesetzt sind, dass sie „mit dem Ziel der makroökonomischen Stabilität einigermaßen kompatibel bleiben“, bestünden die Prüfung. Der Vorschlag ist gut. Er sollte für alle Manager gelten. Binswanger begnügt sich mit den Finanzmanagern, weil sein Buch von der Geldschöpfung handelt.

Die zweite Idee resultiert aus seiner Erweiterung des Inflationsbegriffs. Bisher achten Zentralbanken nur darauf, „dass der Anstieg des Konsumentenpreisindex unter zwei Prozent bleibt“. Ebenso müsste festgelegt werden, dass die Preise für Einfamilienhäuser nicht um mehr als zum Beispiel drei Prozent steigen dürfen. So einfach wäre es längst gewesen, Blasen zu stoppen! „Auch für Aktienkurse kann ein Maximalwert für den Anstieg formuliert werden“, wo es aber schwerfällt, „die Inflation mit bestimmten Krediten in Verbindung zu bringen“. Aber weil die meisten Kredite Immobilienprojekten dienen, wäre schon viel gewonnen.

Variables Eigenkapital

Auch beim dritten Vorschlag liegt die Plausibilität auf der Hand. Dass Banken, um im Notfall liquide zu sein, mehr Eigenkapital halten sollten, ist heute ein Gemeinplatz; was ihnen bisher tatsächlich abverlangt wurde, kann kaum als Verschärfung gelten. Binswanger indes fordert nicht nur wirkliche Verschärfungen, sondern will die Anforderungen je nach Situation und sogar je nach Bank variieren. „Droht beispielsweise eine spekulative Blase auf dem Immobilienmarkt, dann können die Eigenkapitalanforderungen spezifisch für Hypothekarkredite verschärft werden, während die übrigen Kredite davon nicht betroffen sind.“ Banken, die bei der letzten Immobilienblase verantwortungslos agierten, müssten mit schärferen Anforderungen rechnen als andere. Sogar der Eigenkapitalanteil der Kreditnehmer könnte variiert werden.

Solche Regeln ließen sich auch bei einer Vollgeld-Reform anwenden. Das ist der Schlussstein von Binswangers Argumentation. Man muss „differenzieren zwischen verschiedenen Arten von Krediten und nicht nur die Entwicklung der gesamten Geldmenge betrachten. In Zukunft wird es für Zentralbanken nicht mehr möglich sein, die geldpolitischen Ziele wie bisher mit Zinssatzvariationen zu erreichen. Es braucht mehrere spezifisch wirksame Instrumente, um die Stabilität des Finanzsystems weiterhin zu garantieren.“

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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