Zweite Halbzeit

Insider In "Peak Oil" fragt der britische Geologe Jeremy Leggett, ob ein Börsencrash den ökologischen Umbau herbeizwingen kann

Der Buchtitel der deutschen Ausgabe ist mit Peak Oil gar nicht glücklich gewählt, und auch die Unterzeile ist zu undeutlich: Die globale Energiekrise, die Klimakatastrophe und das Ende des Ölzeitalters. Von diesen drei Themen wissen wir alle, aber nicht jeder bezieht sie so dramatisch aufeinander wie Jeremy Leggett. Der Umstand nämlich, dass ein Einbruch des Ölmarkts wahrscheinlich schon in den nächsten Jahren erfolgen wird, kann nach seiner These ebenso schnell den weltweiten ökologischen Umbau erzwingen. Halb vorbei (Half Gone) heißt das Buch im Original. Damit ist nicht nur Peak Oil gemeint, die Förderspitze der Ölgewinnung, die eintritt, wenn die obere Hälfte der Ölfelder erschöpft ist - die untere kann dann nur noch auf umständlichen und teuren Wegen abgepumpt werden -, sondern wie uns signalisiert wird, könnte nach dieser Erfahrung endlich die rettende zweite Halbzeit im ökologischen Endspiel anfangen. Der Autor, seit 1990 Chefwissenschaftler von Greenpeace Großbritannien, hat vorher als Geologe für die Ölindustrie gearbeitet: ein Abtrünniger und ein Fachmann, der besser als die meisten Politiker, Betriebs- und Volkswirte weiß, wovon er spricht.

Nun hat es einige fundierte Veröffentlichungen zum Thema Peak Oil schon vor Leggett gegeben. Er spielt aber eine neue Karte aus mit dem Hinweis, dass wahrscheinlich ein Zeitpunkt plötzlicher Aufrüttelung der Öffentlichkeit bevorsteht, ausgelöst durch die Ölpreise, und ein großer Börsencrash die fast zwangsläufige Folge ist. Man braucht sich ja nur anzusehen, auf wie kleine Irritationen der internationale Geldmarkt reagiert oder was während der vergleichsweise bescheidenen Ölkrise von 1973 passierte. Leggett berichtet, dass damals die Saudis aus eigenem Interesse die Ölpreise wieder senkten: weil sie eine Weltwirtschaftskrise befürchteten, in die sie selbst hineingerissen worden wären. Die zweite Ölkrise konnte 1981 nur deshalb beendet werden, weil es Öl-Lagerbestände und die damals neu entdeckten Ölfelder Alaskas und der Nordsee gab. Nichts, was dem entspricht, wird in der kommenden Krise zur Verfügung stehen. Eher stehen Mittel bereit, sie noch zu verschlimmern: zum Beispiel die Hedge Fonds, die schon einmal 2004 den Ölpreis in künstliche Höhen trieben, indem sie auf ihn spekulierten.

Wenn es schlimm kommt, sollte man sich der alternativen Energiequellen und ökologischen Produktionsmöglichkeiten entsinnen, die in der zweiten Buchhälfte so prägnant wie umfassend dargestellt sind. Auch hier ist nicht alles neu, aber wieder finden wir Hinweise, durch die das Buch hervorsticht. Es sind Früchte von Leggetts Insiderwissen. Erstens hören wir, in wie großem Umfang die Wirtschaft schon selber, so sehr sie sich gegen eine Wende stemmt, mit alternativer Produktion liebäugelt - ein erstaunlicher Widerspruch. Zweitens wird unsere Erwartung enttäuscht, das schwerste Geschütz gegen den Umbau könne nur die Atomkraft sein. Leggett meint, dass sie schon wegen des Zeitfaktors keine große Rolle spielt: Bis man so viele neue AKWs, wie nötig wären, genehmigt, errichtet und in Betrieb genommen hätte, wäre 2020 angebrochen. Das ist viel zu spät, wenn es schon in den nächsten drei Jahren wegen Peak Oil zum Börsencrash kommt. Außerdem "treffen am Ende nicht Staaten, sondern Investoren die Entscheidung, ob ein Kraftwerk gebaut wird oder nicht" - und da beobachtet Leggett, dass Atomkraft von den Finanzinstituten längst nicht mehr für besonders wirtschaftlich gehalten wird. Sie würden nämlich ein sehr hohes Risiko eingehen, wenn sie hier auf geordneten Kapitalrückfluss hofften.

Viel eher kann es daher zur Renaissance der Kohle kommen: "Derzeit sind 94 Kohlekraftwerke in 36 US-Bundesstaaten in Planung. Diese Anträge haben sich in den drei Jahren, seit Bush seinen Energieplan vorstellte, angesammelt. Sie würden die gegenwärtige US-Kapazität in der Kohleerzeugung, die heute die Hälfte des Stroms in den USA abdeckt, um 62 Gigawatt oder 20 Prozent steigern." Dass dadurch der Treibhauseffekt vergrößert wird, kümmert die Verantwortlichen nur vordergründig. Sie reden von "Sequestrierungstechniken", das wären Mittel, die Schadstoffe irgendwie wegzusperren, bevor sie in die Atmosphäre gelangen - gefährliche Träume, wie Leggett zeigt. Wenn sie zum Beispiel im Meer gelagert werden, bildet sich Kohlensäure, und die Schalen und Skelette der Meerestiere werden zerstört. Im Mai 1993 diskutierte Leggett auf dem Podium einer internationalen Kohlekonferenz mit dem US-Amerikaner Harlan Watson. Der teilte dem Publikum mit, dass Umweltaktivisten Kommunisten seien und man möglichst viel Kohle auf den Markt bringen müsse. Heute spricht er von Sequestrierung und ist Chefunterhändler der USA bei den internationalen Klimaschutzverhandlungen.

Am Ende versucht Leggett, sich ganz konkret vorzustellen, was in wenigen Jahren beim Erreichen von Peak Oil geschieht. Bestimmend wird die Erfahrung des Crashs sein, und das bedeutet, es wird eine faschistische Gefahr geben. Realistisch ist zum Glück auch die Erwartung, dass sich die Wut der US-Bürger zunächst auf die Bush-Administration richten dürfte, die so offenkundig an den Fäden der Öl- und Kohleindustrie hängt, und daher erst einmal ein Präsident der Demokratischen Partei gewählt werden wird. Bis hierher reicht Leggetts Realismus. Und hier beginnen die Fragen. Haben die Demokraten ihre Chance nicht schon gehabt? War Al Gore nicht acht Jahre lang Vizepräsident? Ist in dieser Zeit die Ölindustrie zurückgedrängt worden? Im Gegenteil, die Clinton-Administration hat deren Ausgreifen nach Zentralasien flankiert und im Grunde schon den Krieg in Afghanistan vorbereitet, weil dort eine Pipeline verlaufen sollte.

Auch die Vorstellung, dass ein gewaltiger öffentlicher Meinungsumschwung die Konzerne zu ganz anderen Investitionen führt, könnte sich als recht weltfremd erweisen. Leggett hat doch selbst gezeigt, wie gut sie schon heute wissen, was sie eigentlich tun müssten. Warum steuern sie trotzdem nicht um? Es gibt da eine eherne ökonomische Logik, mit der er sich nicht auseinandersetzt. Ein Ölkonzern mag noch so viel Gewinn machen und deshalb Geld zur Alternativinvestition haben und guten Willen noch dazu: Viel größer bleibt doch die Wertsumme der vorhandenen Anlagen und des ungeförderten, aber schon gekauften Öls, die zuallererst erhalten werden muss; würde sie nicht erhalten, wäre Wertvernichtung die Folge. Deshalb wird der Konzern darauf bestehen, das Öl bis zum bitteren Ende zu fördern, und auch das Kohleunternehmen wird es so halten, wie wir ja wissen, dass hierzulande das Atomkapital auf der längstmöglichen "Laufzeit" der AKWs bestanden hat. Die Erfahrung lehrt weiter, dass Konzernherren willens und mächtig sind, demokratisch gewählte Regierungen und sogar grüne Bundesumweltminister und, wenn es sein muss, auch Naziminister zu gängeln. Warum sollte das anders werden?

"Ein Unternehmen ist letzten Endes eine Ansammlung von Individuen", meint Leggett, der selbst die größte britische Firma für Solaranlagen leitet. Er hat Recht, aber nur bis zur Halbzeit. Ist ein Unternehmen nicht auch eine Anstalt der Kapitalverwertung? Individuen, die dort angesammelt sind, sind am Ende deren "Charaktermasken". Wahrer Realismus müsste sich wohl der Begriffssprache von Marx bedienen: Ökologisches Umsteuern wäre möglich, weil die Produktivkräfte dafür offenbar vorhanden sind. Aber sie scheitern an den Produktionsverhältnissen. Wenn diese nicht fallen, bleibt alles, wie es ist.

Jeremy Leggett: Peak Oil. Die globale Energiekrise, die Klimakatastrophe und das Ende des Ölzeitalters. Aus dem Englischen übersetzt von Anne Hemmert und Helle Schlatterer. Kiepenheuer Witsch, Köln 2006, 308 S., 16,90 EUR


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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