Die Vertreter dieser Subkultur zwischen Pubertät und Berufsleben verweigern sich allzu großer Ordnungsliebe und fallen auf durch Betteln, abgerissene Kleidung, Tätowierungen, Piercings, bunte Haare, Hausbesetzungen, aggressive Musik und ein wildes, spaßiges Gerüttel als Tanz. Die »No-Future«-Losung von 1977 haben sie dabei längst überholt, eine ähnlich prägnante neue gibt es nicht. Am Wochenende wollen sie sich wieder in Hannover zu Chaostagen sammeln, dort freilich ganz besonders unerwünscht, weil das Leine-Städtchen zur Zeit der ganze Stolz Deutschlands sein will.
Genau darin aber liegt der Reiz, und deshalb tönen die Flugblätter überwütig: »Wir sind potenzielle Massenmörder, schlimmer als die Nazis, legen Städte in Schutt und Asche und sind die Vorboten der Endzeit dieses Planeten.« Von einer »Müllhalde voll leerer Bierdosen und gefüllter Präservative« und »offener Feldschlacht« mit der Polizei wird euphorisch geträumt. Und all das findet in Hannover im »Jahr 2000 zum letzten Mal statt! Wer's diesmal verpasst, kriegt keine Chance mehr!« heißt es weiter. Dann wären die Chaostage Geschichte.
Eine leere Versprechung? Ein windiger Flugblattpoet könnte im nächsten Jahr einfach einen neuen Aufruf verfassen, und die Wiedergeburt wäre da. Denn Chaos-Tage sind unberechenbar. Und eigentlich weiß auch diesmal keiner so genau, warum es denn die letzten ihrer Art werden sollen. Den Verdacht, dass ein Generationswechsel in der Szene stattgefunden hat oder Altaktivisten intellektuell gereift sind, legen Zitate aus Schreiben nahe, die unlängst anonym einige Punk-Zeitschriften per Post oder Internet erhielten: »Das (getarnte Einsickern nach Hannover, M. K.) klappt aber auch nur, wenn Ihr euch so gut wie möglich an die Regeln haltet.« Dass auch für Punks ein Knigge zählt, ist dabei nicht neu, wohl aber die Idee, als Proll oder Business-Mann getarnt und erst recht ohne Irokesen-Schnitt anzureisen. Die Szene ist heterogen geworden, teilweise überaltert, teilweise ist aber auch das Heranwachsen einer neuen, spießigen Hobbypunk-Generation zu beobachten.
Dennoch: Die Polizei wird von Rädelsführerschaft reden wie bei allen Treffen zuvor, obwohl sich diese nie präzisieren ließ. Ein paar Initialzündungen, und schon lief das Perpetuum Mobile in den vergangenen Jahren. Nur einmal ist es der Polizei geglückt, dieses zu bändigen. 1996 war das, 6.000 Beamte schützten Hannover und erteilten den anreisenden Punks 1.500 Platzverweise. Einige wichen nach Bremen aus, um dort für Tumult zu sorgen. Kurz darauf kursierten Aufrufe, erst zur Expo wolle man sich wieder treffen, diesmal sogar vom 10. Juli an über vier Wochen. Das erste Augustwochenende aber werde der traditionelle Höhepunkt.
Das Fundament für derlei Schlachtgetöse hat sich die Polizei Anfang der Achtziger selbst gelegt. Damals existierte in Hannover eine »Punkerkartei«, wie der Journalist Jürgen Voges in der taz berichtete. Daraufhin riefen die polizeilich Erfassten aus Protest dazu auf, alle Punks sollten sich zwecks Registrierung treffen, um die Kartei wegen Überfüllung unbrauchbar machen. Bei diesem Treffen kam es im Dezember '82 laut Hannoverscher Presse zu einer »Straßenschlacht.« 1983 dann schlugen sich unverhofft angereiste rechte Skinheads und die eher links orientierten Punks gegenseitig und beide Seiten abwechselnd mit der Polizei. Ein Jahr später eskalierte die Lage so sehr, dass ein autonomes Kulturzentrum von auswärtigen Punks und der Polizei gleichermaßen demoliert wurde. In Hannovers Szene herrschte Frust. Schon 1984 sollte mit dem Chaos Schluss sein.
Zehn Jahre später war es dann aber wieder soweit. Boulevard-Medien machten aus den kleinen Scharmützeln Krawallorgien, diesen Namen verdienten aber erst die Tumulte, die Hannover im Jahr darauf erlebte - 2.000 Punks waren angereist. Hauptziel sollte damals immer die Innenstadt sein - heute ist es das Expo-Gelände -, aber oft verliefen sich die Auseinandersetzungen in das alternative Viertel Hannovers, die Nordstadt. Enge Gassen, verschachtelte Straßenzüge und Rückzugsmöglichkeiten wie alternative Wohnprojekte erwiesen sich dafür optimal, ähnlich wie Kreuzberg für die revolutionären Mai-Nächte in Berlin.
Über drei Tage und Nächte herrschte 1995 der Ausnahmezustand. Die heftigen Straßenschlachten gipfelten schließlich in der Plünderung eines Penny-Marktes - alles mit tatkräftiger Hilfe anderer jugendlicher Randgruppen und Normalbürger. In den Abendnachrichten rangierten die Krawalle noch vor den Meldungen über die kroatische Offensive in der Krajina. Der Polizeipräsident musste einige Tage später zurücktreten, weil die Einsatzleitung die Beamten fast konzeptlos durch die Nordstadt gehetzt hatte.
1996 blieb dann nur die ultima ratio: Die polizeiliche Verbotsverfügung adelte Punks zu gesellschaftlichem Sondermüll. Zur Durchsetzung ihres »Freiheitsbegriffs« sei ihnen »grundsätzlich jedes Mittel recht«, hieß es darin. Ihre Berufung sei das »Werfen von Steinen« und Flaschen gegen Privatbesitz sowie »Eindringen in Wohnhäuser/sonstige Gebäude, um Unruhe und Unordnung zu verbreiten.« Ihnen wurde hohe Aggressivität und die Lust zur Plünderung attestiert. Sie würden »übermäßigem Alkoholgenuss« bis hin zum Exzess frönen und »demonstrativen Urinieren in der Öffentlichkeit«, schloss die Verfügung.
Kein Wunder also, dass Punks derzeit den Prügel- und Pinkel-Welfen Ernst August zu ihrem Säulenheiligen erhoben haben. Immerhin gab dieser der Expo neues Fahrwasser, und das würden die Punks nun auch gerne. Grund genug, Hannover wieder unter massiven Polizeischutz zu stellen wie vor vier Jahren. Und deswegen konspiriert ein neues Flugblatt: »Tagsüber ist Tarnung sinnvoll. Nachts gehören die Straßen uns, wenn die Bullen nicht mehr alles kontrollieren.«
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