Er lebte im Elfenbeinturm und wahrte Distanz in jeder Beziehung. Albrecht Fabri, 1911 in Köln geboren und 1998 dort verstorben, war der Anachoret der deutschen Nachkriegsliteratur. Cliquenfern und quer zu dem, was gerade Zeitgeist war, hielt er sich stur an seinen ästhetischen Grundsatz: "Der Schriftsteller schreibt nicht, was er denkt, er denkt, was er schreibt."
Folglich interessierte dieser Schriftsteller sich für Weltanschauungsfragen so wenig wie für die Atombombe; ihn beschäftigten Kommaprobleme. Sprache als Mittel zu deskriptiven oder ideologischen Zwecken zu benutzen, wäre ihm absurd erschienen. Schreiben hieß für ihn, sich auf sein Material zu konzentrieren, hieß: mit und vor allem in der Sprache zu denken. Ein Abenteuer, das mit Erkenntnisgewinn lockte, freilich auch das Risiko implizierte zu irren. Beide Möglichkeiten indessen schlossen das Schlimmste, das einem Wort- und Denkspieler wie ihm hätte widerfahren können, aus: die Langeweile nämlich, zu schreiben, "was man vorher weiß".
Fabris Âuvre - auch dies dokumentiert jetzt die vorzüglich edierte Gesamtausgabe seiner Schriften - ist vergleichsweise schmal geblieben. Seine dünnen Sammelbändchen, die er in wachsenden Abständen publizierte, unter anderem Der schmutzige Daumen (1948), Interview mit Sisyphos (1952), Der rote Faden (1958), Stücke (1971), Viererlei (1989), ergeben in der Summe gerade mal ein Dutzend. Aber wie sollte es anders sein bei einem Autor, der auf das Wesentliche konzentriert war, der, ein Meister im Weglassen, "immer weniger, kürzer und knapper" schreiben wollte.
Sein Werk, die geschliffenen, auch die feinsten Nuancen der Sprache beherrschenden Essays, seine funkelnden Aphorismen und Aperçus, entstand à l'occasion. Fabri war das, was man einen "Gelegenheitsarbeiter" nennt. Er schrieb aus verschiedenen Anlässen und zu unterschiedlichen Themen. Sein Stil jedoch und das Niveau, das er schon mit seinen ersten Texten erreicht hatte, sind über Jahrzehnte hinweg konstant geblieben. Gleichviel, in welcher Form er sein Thema angeht, ob Essay, Notiz, Rezension, Rede oder Scholie: in jeder Kategorie entpuppt sich ein poetischer Sprachdenker von Rang. "Denn was lohnt an einem Thema, ist nicht das Thema, vielmehr das, wozu man es bewegt."
So konnte er über Wittgensteins Tractatus und eine neue Montaigne-Übersetzung, zu Gottfried Benns Fragmenten oder Über zwei Sätze von Rimbaud schreiben, er konnte das Fugato über einen Reklamespruch komponieren, das Gerede von der Krise kritisieren oder über den Ruhm variieren: stets entzünden sich seine Reflexionen an den sprachlichen Details. Und fast immer münden die Detailüberlegungen in eine dezente Verteidigung seines formalen Autonomieprinzips: "Für den Schriftsteller ist die Welt Syntax; er untersucht und erforscht sie in den Strukturen seiner Sätze."
In ihrer offenen, abstrakten Gestik überschreiten Fabris Schriften die Grenzlinien von Philosophie und Literatur. Sein Denken folgt der Logik des Spiels, und weil der Sprachspieler in seinen fugenlos konstruierten Prosa-Architekturen erkennbar anwesend ist, sind seine Reflexionen, sein Nachdenken über das, was die Welt der Wörter in ihrem Innersten zusammenhält, immer auch eine Einladung zum Mittun: "Haben Sie", fragt er zum Beispiel, "schon einmal darüber nachgedacht, was Sie eigentlich sagen, wenn Sie Âfabelhaft sagen? Fabelhaft im strikten Verstand sind doch wohl Kentaur und Einhorn. Was Sie als fabelhaft bezeichnen, verweisen Sie also, genau genommen, aus der Welt hinaus."
Dieserart bringt der philologisch versierte Prosaist die Sprache selber zur Sprache. Indem er die Wörter kritisch beim Wort nimmt, durchbricht er die aus dem gedankenlosen Umgang mit Floskeln und Phrasen resultierende "Taubheit für Sprache". Womit sich dem Gehör nicht nur das untergründige Beziehungsgeflecht der Zeichen entdeckt, sondern eben auch der Nexus von etabliertem Gerede und schlampig Gedachtem. Man verwechsle Fabris sprachkritisches Verfahren nicht mit der kalten Laborkunst der konkreten Poeten. Seine Vernunftspiele durchweht ein hirnerfrischender Humor. Der Humor eines Autors, der um die Grillen der Sprache weiss, der es liebt, sich in Paradoxien zu bewegen und seine Aussagen treffsicher auf die Spitze zu treiben. Nicht linear, sondern sprunghaft-assoziativ verläuft seine Schreib-, die Denkbewegung, wobei immer schon der Prozess des Schreibens als solcher Erkenntnisfunktion hat. Der Weg ist das Ziel. Und er verlangt den beweglichen Leser.
"Nur phantasielose Männer heiraten schöne Frauen." Punkt. In seiner Aphoristik zeigt sich der Sprach- als heiterer Universalskeptiker. Hier verdichten sich die Denkvorgänge zu einer lakonisch-launigen Mini-Prosa über Gott und die Welt: "Andächtig ist, wer, wenn er Tee trinkt, Tee trinkt." - "Elefanten baden, Fische nicht." - "Wenn es stimmt, dass Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat, wimmelt es nur so von Gotteslästerungen." Wer Lichtenbergs Sudelbücher zu schätzen weiss und die artistischen Greguerías von Ramón Gómez de la Serna, der wird in den zeitlosen Aphorismen Fabris die Position dazwischen finden.
Die Herausgeber haben ihre Werkübersicht thematisch, nicht chronologisch eingerichtet. Was dem Laien die Lektüre erleichtert, den Fachmann allerdings ans Blättern bringt. Dafür aber erhält der nun auch Einblick in unveröffentlichte Texte, Briefauszüge und Selbstzeugnisse. Ein Einblick, der um so aufschlussreicher ist, als Fabri - den literaturtheoretischen Post-Diskursen ohnedies in manchem voraus - die konsequente Anonymisierung seiner schriftstellerischen Existenz betrieb. Er war ein Autor ohne Biografie. Als Person des Zivilstandsregisters gleichen Namens habe er eine Biografie, als Schriftsteller nicht. Als Schriftsteller sei er nicht weniger "Kunstprodukt" als das Werk selbst.
Fabri, als Person des Zivilregisters, hatte Musikwissenschaft, Philosophie und Germanistik studiert. Er war Frontsoldat und in russischer Kriegsgefangenschaft, bevor er an der Deutschen Buchhändlerschule Dozent für französische und moderne Literatur wurde. Später arbeitete er für Funk und Fernsehen sowie als Lektor und Übersetzer, wobei er unter anderen Paul Valéry, Alain, Chapman Mortimer und Blaise Cendrars ins Deutsche hinüberholte.
Indes hat Fabri nicht nur zu seinen Wahlverwandten in der Literatur Verbindung gehalten. Ebenso hat der "Bücherbewohner" sich für die Sache der Bildenden engagiert, zumal für jene Künstler, die nach dem Krieg vom Gegenständlichen zum Abstrakten fanden. Was er in den Werken seiner Malerfreunde, den Bildern von Ernst Wilhelm Nay, Hann Trier, HAP Grieshaber, Hans Hartung erblickte, war die Umsetzung der von ihm verfochtenen Poetik mit anderen Mitteln. Schrieb dieser nicht etwas, sondern Worte, so malten jene nicht dinglich, sondern das Malen.
Legendär sind Fabris Fünf-Minuten-Auftritte als Eröffnungsredner bei den Vernissagen in der Kölner Galerie Der Spiegel, in den fünfziger Jahren eine erste Adresse der damals noch umstrittenen abstrakten Malerei. Freilich sprach Fabri nicht über die ausstellenden Künstler, er stellte den Exponaten seine eigene Kunst an die Seite: fundierte Atelierkritik und glossierende Bemerkungen zum Kunstbetrieb. Der kurz angebundene Wortsteller dürfte die Verstörungskraft der avantgardistischen Gemälde noch übertroffen haben, wenn er seine Ansprachen mit Sentenzen intonierte wie: "Der für mich größte Vorzug von Bildern ist der, daß sie stumm sind"; oder: "Nur Eunuchen denken mit dem Kopf; nur Stiere denken mit den Hoden."
Natürlich könnte man sich jetzt darüber echauffieren, dass dieser Autor bis heute so weiträumig umgangen worden ist. Und überhaupt: dass der Typus des Schriftstellers, wie Fabri ihn verkörpert, in der deutschen Leselandschaft einfach keinen Boden unter die Füße bekommt. Nicht ärgern! All jene, die von der Literatur etwas mehr erwarten als das, was alle lesen, werden von Fabris gesammelten Fabrikationen auf ihrem Niveau unterhalten. Eher noch darüber. Zu den Schriftstellern, die Eindruck machen, wird man ihn ohnehin nicht zählen wollen. Denn: "Eindruck mache ich meinem Kopfkissen."
Albrecht Fabri: Der schmutzige Daumen. Gesammelte Schriften. Herausgegeben von Ingeborg Fabri und Martin Weinmann. Verlag Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2000, 758 S., 48,- DM
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.