Abwarten und Tee trinken

Großbritannien Als Partei des weichen Brexits schaut Corbyns Labour Party den Tories bei der Selbstzerlegung zu
Ausgabe 37/2017
Seit Jeremy Corbyns unerwartetem Wahlerfolg gibt die Labour-Linke den Ton an
Seit Jeremy Corbyns unerwartetem Wahlerfolg gibt die Labour-Linke den Ton an

Foto: Zuma Press/Imago

Auf der Insel tobt die Brexit-Schlacht, vor allem innerhalb der regierenden Konservativen, auch wenn die Regierung May ihr Austrittsgesetz zu Wochenbeginn mit 326 gegen 290 Stimmen durch das Parlament gebracht hat. Doch alles in allem laufen die Verhandlungen über den EU-Austritt schlecht, und die Tories streiten um die Frage: Wie soll man damit umgehen, wenn der Glaube an den Brexit als Verheißung einer strahlenden Zukunft zum Mantra erhoben wurde? Was lange als Panikmache britischer Pro-Europäer verschrien war, wird jetzt sichtbar: Die EU lässt nicht mit sich feilschen und will Abtrünnigen nichts schenken, schon gar keinen Handelsvertrag, bevor nicht die Abschiedsmodalitäten geregelt sind.

Wie denkt Labour über diese Begegnung mit der Wirklichkeit nach der fulminanten Kampagne vor der Unterhauswahl Anfang Juni, die Jeremy Corbyn einen unerwarteten Erfolg bescherte? Seither gibt die Labour-Linke den Ton an. In ihrem Wahlmanifest wurden ähnliche Illusionen verkündet, wie sie die Tories pflegen: Man wolle alle Vorteile des Binnenmarkts wie der Zollunion behalten, dazu die Zuwanderung aus der EU neu justieren. Ansonsten ist die Partei in ihrem Verhältnis zu Europa gespalten, nur nicht in dem Maße, wie das für die Tories zutrifft. Eine Mehrheit der Mitglieder war und ist pro-europäisch.

Pro-europäische Jungwähler

Jeremy Corbyn kann Massen begeistern, wenn er will. Doch für einen Verbleib in der EU kämpfen und Mays desaströser Brexit-Strategie etwas entgegensetzen, das wollte er bisher nicht. Dafür gab es eine plausible Erklärung: Corbyn war immer Gegner der EU, die er für eine Verschwörung des Kapitals gegen die Arbeiterschaft hält. Das hatte schon vor dem Brexit-Votum mit der Erwartung zu tun, dass die EU eine Abkehr von der Austeritätspolitik der Tories verhindern und sich besonders bei Renationalisierungen von privatisierten öffentlichen Unternehmen querlegen werde. Ein Politikwechsel sei daher nur außerhalb der EU möglich. Kurios, gerade im Vereinigten Königreich wird ein Großteil des Transportnetzes und Energiesektors wie auch der Wasserversorgung von kontinentaleuropäischen Staatskonzernen kontrolliert.

Corbyn hat den Wahlerfolg (nicht Sieg) vom 8. Juni vor allem jungen Briten zu verdanken, die Labour in erstaunlichem Maße zu mobilisieren verstand. Es waren Jungwähler, die Neuwahlen als die Chance sahen, sich für das nicht zuletzt wegen ihrer Wahlabstinenz verlorene Referendum von 2016 zu revanchieren. Wer im Frühsommer Corbyn wie einen Popstar feierte, war überwiegend pro-europäisch und hielt einen harten Brexit für falsch. Das galt übrigens nicht nur für die Jungwähler. Labour konnte bei den vorgezogenen Neuwahlen in den Wahlkreisen die höchsten Stimmengewinne verbuchen, in denen beim Brexit-Referendum am 23. Juni 2016 mehr als 55 Prozent für einen EU-Verbleib votiert hatten. Insofern verdankte Corbyn seinen Erfolg vorrangig Wählern, die von Labour eine andere Brexit-Politik erwarten. Keir Starmer, Brexit-Minister im Labour-Schattenkabinett, hat sich deshalb vor Tagen wie folgt erklärt: Man sei für eine lange Übergangsfrist von zwei bis vier Jahren oder mehr. In dieser Zeit solle Großbritannien sowohl im Binnenmarkt als auch in der Zollunion bleiben, weiterhin Beiträge zahlen und die Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs akzeptieren. Gleiches gelte für die Freizügigkeit der EU-Bürger auf der Insel.

Damit wird Labour zur Partei eines weichen Brexits, die sich alle Optionen – bis hin zum Verbleib in der Gemeinschaft – offenhält. Für die Brexiteers bei den Tories wie einige radikale Labour-Linke ist das keine strategische Option, sondern purer Verrat. Offenbar wollen Corbyn und seine Leute einfach abwarten und zusehen, wie die Tories sich selbst zerlegen. Sie sind mit diesem Schwenk nicht zu Anhängern der EU mutiert, haben aber nun eine Position, die von vielen pro-europäischen Tory-Abgeordneten geteilt wird. Jetzt hat Labour eine Chance, die Tory-Chaoten abzulösen.

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