Es war ein Erfolg für die Afrikanische Union, die äthiopische Regierung und die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) in Pretoria an den Verhandlungstisch zu bringen und ihnen eine Feuerpause abzuringen. Nur einer war nicht dabei – Eritreas Präsident Isayas Afewerki. Der hat seine Armee über die Grenze nach Tigray in Marsch gesetzt, um alte Rechnungen mit der TPLF zu begleichen. Prompt erkennt Afewerki den Vertrag, der am 2. November in Pretoria unterzeichnet worden ist, nicht an. Stattdessen ordnete er die Generalmobilmachung aller waffenfähigen Männer bis zu 55 Jahren an. Die Gefechte können demnach jederzeit wieder aufflammen.
Freilich dürften diesmal die Truppen der TPLF kaum als erste angreifen. Sie brauchen die Waffenruhe, weil sie keinem
sie keinem Gegner mehr etwas entgegensetzen können. Äthiopiens Premier Abiy Ahmed hat öffentlich bekräftigt, das Agreement von Pretoria einhalten zu wollen. Humanitäre Hilfe von außen darf wieder nach Tigray, die Sicherheit der Hilfsorganisationen wird garantiert. Abiy scheint den Weg hin zu einem stabilen Frieden im Land und in der Region gehen zu wollen. Der Krieg, der vor knapp zwei Jahren ausbrach, hat seiner Reputation eines Fortschrittsgaranten am Horn von Afrika schwer geschadet. Kann er Tigray befrieden, wird er besonders im Ranking der Vereinten Nationen verlorenes Terrain zurückgewinnen.UN-Generalsekretär António Guterres hat bereits reichlich Vorschusslorbeeren verteilt. Von „neuer Morgenröte, die heraufdämmert“, ist die Rede. Noch warten etliche Hindernisse, bis es wirklich heller wird. Schon einmal ist ein Waffenruhe daran gescheitert, dass die im Krieg zerstörten Kommunikationsnetze nicht wie versprochen wiederhergestellt wurden. Dazu hat sich die Zentralregierung nun erneut verpflichtet. Für Transport und Verteilung von Hilfsgütern sind eine funktionierende Telekommunikation, halbwegs intakte Wasser- und Stromnetze unerlässlich.Eingreifen der USA?Die Volksbefreiungsfront in Tigray hat sich bereit erklärt, Waffen an die äthiopischen Streitkräfte abzugeben, die derzeit in der gesamten Provinz Kontrollaufgaben übernehmen. Eine heikle Operation, denn in anderen Teilen des Vielvölkerstaats – in der Nachbarprovinz Amhara etwa – werden ethnisch geprägte Milizen mitnichten stillgelegt. Lokale TPLF-Kommandeure könnten sich weigern, allzu kategorisch abzurüsten. Ihr Widerstand ließe sich nur mit Waffengewalt brechen.In Tigray waren bisher Rebellen an der Macht, keine legitime Regionalregierung – so sieht man das in Addis Abeba. Das Pretoria-Abkommen stellt nun Neuwahlen für die Provinz in Aussicht – jedoch ohne ein Datum zu bestimmen. Bis dahin soll eine von der Zentralregierung eingesetzte Provinzialverwaltung die Geschäfte führen. Im Gegenzug wird die TPLF nicht länger als „terroristische Organisation“ gebrandmarkt, sondern zu einem politischen Dialog mit bisherigen Feinden gebeten. Ein „Regime der Gerechtigkeit“ soll für Ausgleich und Versöhnung sorgen, aber auch Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen. Das Prinzip Hoffnung regiert. Immerhin kommt humanitäre Hilfe für Tigray wieder in Gang, sodass Nahrungsmittel dorthin gelangen. Nur sind es bei Weitem nicht genug, um die Not der Hungernden im Norden zu lindern. Man schätzt, dass 13 Millionen Menschen infolge des Krieges auf Beistand angewiesen sind, davon 5,4 Millionen direkt in Tigray, viele auf der Flucht oder als Bewohner provisorischer Auffanglager jenseits der Grenze zum Sudan. Dessen Regierung wäre erleichtert, würden Hunderttausende von Hilfsbedürftigen wieder nach Äthiopien zurückkehren. Doch müssten dazu zerstörte Dörfer aufgebaut, Felder entmint und eine schwer in Mitleidenschaft gezogene Infrastruktur wieder zum Leben erweckt werden. Dafür hätte bevorzugt die nationale Armee aufzukommen, doch wird die sich auf die Entwaffnung der TPLF-Milizen berufen und für ausgelastet erklären. Die Weltgesundheitsorganisation WHO beklagt, der Transfer von Medikamenten laufe zwar wieder an, aber erreiche die Flüchtlingslager noch nicht.Placeholder image-1Solange Eritrea dem Abkommen nicht beitritt, werden sich zumindest Teile der TPLF-Milizen schwertun, ihre Waffen abzuliefern. Nur wenn die äthiopische Armee im Norden bis an die Grenze zu Eritrea vorrücken und die Feuerpause garantieren sollte, dürfte sich das ändern. Dann aber stehen sich dort alte Feinde bis an die Zähne bewaffnet wieder direkt gegenüber. Ebenso wie die Rivalen innerhalb Äthiopiens – Amhara und Tigray. Um den Krieg auf Dauer zu beenden, wird die äthiopische Regierung den seit Langem schwelenden Territorialkonflikt zwischen diesen Provinzen wie Völkern schlichten und die Parteinahme für Amhara aufgeben müssen. Hinter diesem Konflikt (und etlichen weiteren) steht die ungelöste Frage nach der künftigen Regierungsform eines multinationalen und multiethnischen Staates. Die Tigray-Tragödie hat gezeigt, dass die bis dato gängige Formel, Äthiopien sei eine „Föderation von Völkern, Nationen und Nationalitäten“, nicht ausreicht, um den inneren Frieden zu wahren.Die USA haben durch ihre Botschafterin in Addis Abeba erklärt, sie würden jedem entgegentreten, notfalls auch mit Waffengewalt, der den Friedensprozess zu stören wagt. Das hätte gerade noch gefehlt. Ein Friedenskorps der Afrikanischen Union wäre auf jeden Fall die bessere Variante.