Ahnungsloses Gerede

Ökonomie Der nächste Crash kommt! Bestseller warnen ständig davor. Sie enthalten vor allem Demagogie und heiße Luft
Ausgabe 05/2020

Nein, die Ökonomie ist keine exakte Wissenschaft. Trotz der wachsenden Datenflut, trotz ausgefeilter statistischer Analysen. Weniges ist sicher in diesem Fach, das es mit Unwägbarkeiten, gelegentlich mit rationalen, aber weit öfter mit höchst irrationalen Entscheidungen und Verhaltensweisen zu tun hat. Seit der Tulpenmanie, seit den ersten modernen Finanzkrisen haben Leichtsinn, Panik und spekulatives Herdenverhalten empirisch aufgeweckte Forscher fasziniert.

Nur: In der ökonomischen Theorie der Neoklassik, die ihre Kategorien bis heute den Idealwelten vollkommener Konkurrenz und von Staat und Natur unbehelligter Märkte entlehnt, kommt derlei nicht vor. Dagegen neigen die heterodoxen Kritiker dieser Marktutopie dazu, die Krisenanfälligkeit kapitalistischer Ökonomien zu betonen. Eines ist immerhin sicher: Wenn eine Krise überstanden ist, dann kommt nach einer Weile die nächste.

Die Mär vom bösen Draghi

Neu ist: Seit der letzten großen Weltwirtschafts- und Finanzkrise kann man mit Warnungen vor dem nächsten Krach gutes Geld verdienen. Zwei Vermögensberater aus Loch bei Stuttgart – Marc Friedrich und Matthias Weik – sind inzwischen mit sechs Büchern zum nahenden Crash hervorgetreten. Ihr jüngstes Elaborat heißt Der größte Crash aller Zeiten (Eichborn 2019). Es verkauft sich wie geschnitten Brot. Wohl auch, weil die beiden den besorgten Bürgern im Untertitel versprechen, sie wüssten, „wie Sie jetzt noch Ihr Geld schützen können“. Das hört man gern, zumal die Autoren sich als Fürsprecher des kleinen Mannes aufwerfen, auch wenn ihr Kernanliegen wohl eher die Sorge um das Geld ihrer hochvermögenden Klientel sein dürfte.

Spätestens 2023 werde der nächste Crash kommen, dann gingen in Europa die Lichter aus, so ihre frohe Botschaft. Dabei sind die Zutaten, aus denen die Crash-Propheten diese Prognose zusammenmixen, doch arg schlicht: die Mär vom Euro, der sowieso längst gescheitert sei, die Mär vom bösen Draghi und der ruchlosen EZB, die dem hart arbeitenden deutschen Sparer das bisschen Zins nicht gönnen. Das alles wird von Friedrich und Weik in höchst alarmistischen Tönen gemalt und passt nahtlos ins populistische Raster: die Geschichte vom guten Volk, das von den bösen Geldeliten nach Strich und Faden betrogen wird. In der deutschen Qualitätspresse entblödet man sich nicht, derlei als gemeinverständliche Finanzmarktanalyse zu preisen. Wohl weil die Autoren ein beliebtes Vorurteil deutscher Journalisten wiederkäuen: dass Staatsschulden wie Verschuldung insgesamt viel zu hoch und schon lange nicht mehr tragbar seien, weshalb der Staats- und sonstige Bankrott drohe.

Doch so eindeutig, wie die Herren vorgeben, sind die Zeichen an der Wand keineswegs. Und ein Modell, aus dem sich der unvermeidliche Großcrash ableiten lasse, wie Friedrich und Weik behaupten, gibt es schlicht nicht.

Wo bleibt die Hyperinflation?

Dagegen tut es not, irreführende Behauptungen, die auf die Ängste des Publikums zielen, als das zu bezeichnen, was sie sind: Demagogie und Scharlatanerie. Wenn Friedrich und Weik von einer Geldschwemme schwadronieren, die die EZB angeblich per „Gelddruckerei“ verursacht habe, dürfen und sollen Ökonomen das als ahnungsloses Gerede diagnostizieren. Zumal von der nach landläufiger Meinung unvermeidlichen Folge, der galoppierenden Hyperinflation, nichts zu sehen ist. Also bleibt auch das angeblich unaufhaltsame Wegschmelzen aller Geldvermögen ein Gerücht. Letztere wachsen kräftig, während die EZB und andere Zentralbanken sich vergeblich bemühen, wenigstens ein bisschen Inflation um die zwei Prozent zustande zu bringen. Es will ihr nicht gelingen. Da kommen die Schuldenstände bei Staaten und Privatleuten ins Spiel: Die sind bei einigen viel zu hoch, während andere – zum Beispiel viele deutsche Privathaushalte, aber auch Unternehmen – sparen wie die Weltmeister.

Deutschland hat in den letzten Jahren eine Art Boom erlebt, auch wenn der wie üblich bei vielen nicht ankam. Die Angst vor der nächsten Krise ist berechtigt. Ebenso wie das Misstrauen gegenüber der Mainstream-Ökonomie, die bis heute große Mühe hat, die jüngste große Krise schlüssig zu erklären. Denn die hatte mit Marktversagen ebenso zu tun wie mit dem Scheitern einer von den Mainstream-Ökonomen gepredigten Wirtschafts- und Finanzpolitik, die eine Finanzkrise dieses Ausmaßes erst ermöglicht hat.

Bis heute sind die Maßregeln, die man zur Stabilisierung des internationalen Finanzsystems treffen müsste, nur halbherzig, ansatzweise oder gar nicht durchgeführt worden. Auch was zur Stabilisierung der Gemeinschaftswährung Euro notwendig wäre, ist seit Langem bekannt, wird aber nicht umgesetzt. Weil sich nationale Regierungen, allen voran die Deutschen, an Dogmen klammern, denen die Mainstream-Ökonomie ihren Segen ereilte.

Die letzte Krise ist überstanden, aber noch nicht überwunden. Daher kommen Prophezeiungen vom kommenden Knall an. Das gesamte Geld- und Finanzsystem stecke in einer „epochalen Krise“, sagen Friedrich und Weik. Das ist auch die Weltsicht vieler Linker, auch wenn die das Verdikt vom Geldsystem auf den Kapitalismus insgesamt erweitern würden.

Die beiden sind geschickt genug, sich für eine „plurale Ökonomie“ auszusprechen, gute Ansätze gebe es schließlich bei vielen: bei Marx, Keynes, der Österreichischen Schule. Man müsse sich nur das jeweils Gute und Beste herauspicken. Das hören viele gern, die ebenfalls auf eine andere, eine „plurale Ökonomie“ setzen.

Doch Friedrich und Weik haben keine neue ökonomische Theorie im Sinn. Sie preisen eine „perfekte Vermögensanlage“ an. Man solle nur kräftig in Diamanten, Wald und Äcker, Whisky, Kunst, Uhren und Bitcoins investieren, dann werde man beim nächsten Crash zu den Gewinnern gehören. Am besten, man kauft Anteile an dem Fonds, den ihre Firma vertreibt. Crash-Prophetie als gewöhnliches Marketing für ein zweifelhaftes Finanzprodukt. Das ist dann doch ganz alltäglicher Kapitalismus.

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