China hat den Handelskrieg mit den USA nicht angezettelt. Da US-Präsident Trump sich nun aber einmal eingeschossen hat, versucht die chinesische Führung, den Konflikt für ihre eigenen Ziele zu nutzen. In diesem Fall: um damit einen Strukturwandel zu beschleunigen, der schon länger im Gang ist.
Seit 2011 erklärt die chinesische Führung öffentlich, dass Chinas lange so erfolgreiche Wachstumsstrategie nicht länger fortgesetzt werden könne. Stattdessen will man weg von der extremen Exportabhängigkeit, weg von einem Exportmodell, das auf arbeitsintensiver Billigstproduktion von Massenartikeln beruht, weg von den jahrzehntelang zu Lasten des Konsums wachsenden Investitionen, die vor allem in die Staatsunternehmen gelenkt wurden.
Denn dieses Modell ist an seine Grenzen gekommen. Die Märkte für chinesische Billigprodukte in den USA und Europa sind weithin gesättigt. Selbst Chinas riesiges Reservoir an Arbeitskräften ist langsam erschöpft, die Bevölkerung altert rasch, Massen von unqualifizierten manuellen Arbeitern werden immer weniger benötigt, die Löhne steigen.
Vor allem dort, wo Chinas Industrie hinwill: in den Hightech-Sektoren mit hoher Wertschöpfung, die hochqualifizierte Arbeitskräfte brauchen. Der private Unternehmenssektor ist rasant gewachsen, inzwischen hat China deutliche Überkapazitäten in einigen Industriezweigen. Zum Beispiel im Baugewerbe, obwohl die Städte nach wie vor eine einzige Baustelle sind. Chinas rasch wachsende Mittelklasse verlangt, was die chinesische Wirtschaft bislang nur unzureichend bieten kann: qualitativ hochwertige Konsumgüter aller Art. Und Dienstleistungen. Will die chinesische Führung vermeiden, dass ihre zu Geld gekommenen Bürger im Ausland einkaufen oder abwandern, muss sie umsteuern. Und das tut sie.
In jüngster Zeit mittels massiver Senkungen von Steuern und Sozialabgaben. Bis Ende 2019 soll die Steuer- und Abgabenlast um zwei Billionen Yuan (etwa 265 Milliarden Euro) gesenkt werden. Das sind mehr als 2 Prozent der für dieses Jahr angenommenen Wirtschaftsleistung. Die Mehrwertsteuer für Industrieprodukte wurde bereits gesenkt. Die Sozialabgaben für Unternehmen sollen in den nächsten Monaten spürbar sinken. Der Ausbau der Infrastruktur geht weiter, wenn auch weniger massiv als zuvor. Inzwischen sind alle Großstädte durch Eisenbahnen verbunden, auf denen Hochgeschwindigkeitszüge im Stundentakt verkehren. Die werden inzwischen in China gebaut und können mit den japanischen und europäischen Mustern durchaus mithalten.
Der Bankensektor ist ein Sorgenkind. Öffentliche Institute vergaben Kredite vor allem an Staatsfirmen und hielten sich von solchen an Private möglichst fern. Die Privatschulden von Haushalten und Unternehmen sind dennoch explodiert, vor allem dank der Expansion des Schattenbanksektors. In jüngster Zeit drängt die Regierung alle Banken im Lande dazu, mehr Kredite an Private zu vergeben, zu ähnlich günstigen Bedingungen, wie sie Staatsunternehmen bekommen.
Gleichzeitig wird die chinesische Wirtschaft umstrukturiert. Die Expansion des Binnenmarkts und des Privatkonsums wird gefördert, die Schwerpunkte der Industrie auf hochproduktive und kapitalintensive Produktion verlagert. Der Dienstleistungssektor wächst rasant. Die Staatsunternehmen spielen noch immer die Hauptrolle, aber inzwischen fördert die chinesische Regierung private Unternehmen mit allen Mitteln, sie betreibt sogar Politik zugunsten der rasch wachsenden Zahl von Klein- und Mittelbetrieben. Mit der öfter verkündeten Reform der Staatsunternehmen ist es jedoch noch nicht weit her. Nach wie vor ist die Konkurrenz zwischen Staats- und Privatunternehmen alles andere als fair, nach wie vor fließt der Löwenanteil der Investitionen in den Staatssektor. Erst in allerjüngster Zeit beginnt die Regierung gegenzusteuern.
Die regionalen Disparitäten zwischen den florierenden, industriell entwickelten Regionen und Provinzen und dem agrarischen Rest werden noch viele Jahre lang ein Problem sein. Ebenso die enormen Umweltschäden, die das rasante Wachstum der Industrie und die Explosion der Großstädte angerichtet haben.
Die Reform-Agenda ist lang, die Prioritäten werden gerade neu justiert. Wenigstens ein Jahrzehnt wird es noch dauern, bis die größten Ungleichgewichte einigermaßen ausgeglichen sind. Aber die langfristigen Trends sind jetzt schon unverkennbar. Die Weltbank schätzt, dass Chinas Dienstleistungsökonomie von derzeit 43 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bis 2030 auf 60 Prozent anwachsen wird. Der Anteil des Konsums am BIP dürfte von heute 50 auf über 60 Prozent steigen. China wird das strategische Ziel, die heimische Produktion auf die Binnennachfrage auszurichten, wohl erreichen. Chinas Doppelstrategie wird den aktuellen Handelskrieg überdauern. Mehr noch: Die chinesische Führung wird ihn sich zunutze machen, um den Unmut derer, die die Zeche für den anlaufenden Strukturwandel zu zahlen haben, auf die USA zu lenken. In jedem Fall hat China das Zeug dazu, in den kommenden Jahren sein Pro-Kopf-Einkommen weiter rasant zu steigern. Bis spätestens 2030 wird China die USA abgehängt haben und zur größten Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegen sein.
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