Auf spindeldürren Beinchen

G20-Treffen Beim Gipfel in Seoul gilt es, einen Handels- und Währungskrieg zu verhindern, der sich mehr denn je abzeichnet, seit die US-Notenbank die Geldmenge künstlich vermehrt

Anfang der Woche bereits gab es Massenproteste auf den Straßen Seouls. Zu Recht. Die G20 tagen, und es herrscht Krieg – Weltwirtschafts-, Handels- und Währungskrieg. Offiziell will das niemand. Alle haben das Gespenst von 1929 vor Augen, als die US-Regierung Monate nach dem großen Crash den Smoot-Hawley-Zoll einführte und Abgaben auf fast alle Importwaren erhob. Protektionismus pur. Der Handelskrieg 2010 findet vorerst trotzdem statt. Es sei denn, die G20 finden eine Friedensformel, die weiter reicht als bis zum Ende der nächsten Waffenruhe.

Vor zwei Wochen herrschte noch eitel Optimismus, inzwischen ist die US-Administration vom Wahlvolk abgestraft. Präsident Obama muss sich mit seinen Erzfeinden arrangieren, er braucht Erfolge bei der Krisenabwehr und zwar schnell. Weitere Konjunkturprogramme sind nicht mehr durchsetzbar, daher muss die US-Zentralbank (Fed) einspringen mit ihrer „quantitativen Lockerung“ und ihren aufgeblähten Geldmengen.

Wie Kanzlerin Merkel, der britische Premier Cameron und auch die chinesischen Gegenspieler setzt Obama auf Exportzuwachs und Schuldenabbau. Er nutzt dafür die Dollar-Hegemonie oder was von der übrig ist. Der Beschluss von Zentralbankchef Ben Bernanke, die Zinsen auf Nullniveau zu halten und mindestens 600 Milliarden Dollar, vermutlich mehr, an zusätzlichem Kredit in die US-Wirtschaft zu pumpen, kommt nicht von ungefähr. Geholfen hat diese Politik des spottbilligen Geldes bisher nur, wenn sie in mehr oder weniger konzertierter Aktion mit den maßgebenden Zentralbanken weltweit erfolgte. Und auch dann hat ein solcher Kurs den Finanzmärkten oft nur zu neuen Spekulationsblasen verholfen. Diesmal riskiert die Fed einen Alleingang, betreibt reine US-Politik, kaum wirksam im Innern und schädlich nach außen wie sich zeigt. Der Dollar sackte in wenigen Tagen ordentlich durch – ein Sturzflug, der alle Welthandelsländer unter Druck setzte.

Gunst der Stunde

Ben Bernankes Entscheidung sorgt damit für einen Eklat, ohne dass der G20-Gipfel begonnen hat. Der Internationale Währungsfonds ist in seiner neuen Rolle als oberster Weltwährungshüter desavouiert, bevor er die überhaupt antritt. Erkennbar brüskiert verlangt der IWF von den USA eine glaubhafte Strategie zum Schuldenabbau und wird lange darauf warten müssen. Ebenso wie China, Japan oder Brasilien, die Gleiches wollen. Auch die Schwellenländer protestieren heftig, denn im Welthandel und auf den internationalen Finanzmärkten wird in Dollar gerechnet und gezahlt. Niemand kann sich dem Kursverfall des Weltgelds entziehen.

Südkorea und Brasilien haben bereits Kampfmaßnahmen gegen die Dollarflut angekündigt – auch Thailand, Indonesien und die Türkei wollen sich gegen den Aufwertungsdruck wehren. Das heißt: Kapitalverkehrskontrollen, Steuern auf Kapitalimporte, Steuern auf ausländische Investitionen, Steuern auf Finanztransaktionen, alles zum Verdruss der praktischen Finanzkapitalisten.

So haben sich die Fronten seltsam verkehrt. Bis vor wenigen Tagen noch stand China am Pranger – wegen angeblicher Währungsmanipulation. Nun sind es die USA, die den Dollarkurs kräftig drücken, ohne Rücksicht auf Verluste. Und es sind die Schwellenländer, die sich ein Beispiel an China nehmen und die geheiligte „Freiheit des Kapitals“ beschränken. Damit steht die Agenda des G20-Treffens von Seoul auf dem Kopf: Die USA werden keine Allianz gegen die Wechselkurspolitik Chinas schmieden können – sie stehen selbst am Pranger. Aus reiner Not begehen sie eine Todsünde wider den heiligen Geist des Neoliberalismus nach der anderen, sie fangen sogar an, ihre Staatsschulden über Notenbankkredite zu finanzieren. Gleichzeitig wird knallhart gespart wie in Großbritannien oder Griechenland mit den gleichen verheerenden Folgen für den Binnenmarkt.

Ein neues Bretton Woods

Weder eine Politik der Geldschwemme im Innern noch eine Politik der weichen Währung lotsen aus der Weltwirtschaftskrise. Nur die Regierung Merkel glaubt allen Ernstes, Deutschland könne sich auf Kosten aller anderen aus der Krise heraus exportieren, und nutzt die Gunst der Stunde, um die USA und deren frivole Geldpolitik auf die Anklagebank zu setzen.

Es war der Finanzkrise zu verdanken, dass die G8 durch die G20 abgelöst wurden, doch sind auch die derzeit heillos zerstritten. Die Folgen der Dollarschwemme treffen alle. Auf zentralen Weltmärkten wie denen für Rohstoffe, Energie und Nahrungsmittel galoppiert die Inflation, während allerorten Deflation droht. Der Wettlauf um die radikalste Sparpolitik in der EU kann das Gespenst einer Depression nicht bannen.

Fast auf den Tag genau zwei Jahre ist es her, dass sich die G20 in Washington zum ersten Weltfinanzgipfel trafen, von der neuen Finanzarchitektur kann jedoch bis heute keine Rede sein. Auch wenn die Reform des IWF und Basel III, das Regelwerk zur besseren Eigenkapitalausstattung der Banken, in Seoul abgesegnet werden. Soll der globale Handels- und Währungskonflikt ausbleiben, müssen sich die G20 der Strukturprobleme einer kapitalistischen Weltökonomie annehmen. Es geht um in Jahrzehnten aufgebaute Ungleichgewichte zwischen großen Handelsblöcken, es geht um Wirtschaftsräume ohne riesige Defizite, ohne Massen- und Luxuskonsum auf Pump, ohne Exportweltmeister vom Schlage Japans, Deutschlands oder Chinas. Ohne Korrekturen kein Währungsfrieden – ohne Währungsfrieden kein koordiniertes, bewusst begrenztes Wachstum.

Allen Beteiligten in Seoul dürfte klar sein: Das Dollarregime hat ausgesorgt. Protagonisten wie Weltbankpräsident Robert Zoellick rufen nach der neuen Weltwährungsordnung. Ein neues Bretton Woods muss her – entweder durch ein internationales Kunstgeld auf der Basis eines Währungskorbs oder durch einen neuen Goldstandard. Gebraucht wird eine Ordnung, die nur so viel Verstand erfordert, wie ihn unsere Großväter 1944 schon hatten, die der Einsicht folgten, dass die Defizite der anderen nicht zuletzt das eigene Problem sind. Darin bestand einer der Grundgedanken des ursprünglichen Keynes-Plans. Er scheiterte am Widerstand der Amerikaner, damals mit weitem Abstand die größte Gläubigernation der Welt. Heute sind die USA die größte Schuldnernation – ihre Hegemonie steht nur noch auf spindeldürren Beinchen.

Michael Krätke, Wirtschaftsprofessor in Lancaster, analysiert mit diesem Text den vierten G20-Gipfel seit Ausbruch der Weltfinanzkrise im Herbst 2008 In der nächsten Ausgabe finden Sie eine Fotoreportage von Julian Röder, der auch dieses Foto für den Freitag aufgenommen hat

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