Jeder zweite Deutsche soll sich inzwischen die D-Mark zurückwünschen, während in südeuropäischen Euro-Ländern wie Portugal und Spanien eine Mehrheit der EU überhaupt den Rücken kehren will. Und das lieber heute als morgen. Von rechts bis links, von den Standort-Nationalisten der Alternative für Deutschland (AfD), von Berlins Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin und dem Ökonomen Heiner Flassbeck bis zu Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht reicht die seltsame Einheitsfront der Anhänger eines Euro-Ausstiegs. Griechenland, Spanien, Portugal, selbst Italien – allen wurde seit Ausbruch der Eurokrise Anfang 2011 schon ein Austritt nahegelegt. Jetzt mehren sich die Stimmen, die für ein Deutschland ohne Euro plädieren oder gleich eine „geordnete Auflösung“ der Gemeinschaftswährung befürworten. Offenbar hat die wenig glückliche Zypern-Rettung das Fass zum Überlaufen gebracht.
Fatale Illusionen
Frustration über die Verbohrtheit der Troika-Krisenmanager ist ebenso berechtigt wie Kritik an den Konstruktionsfehlern der Währungsunion. Aber eine Rückkehr in die Wagenburg nationaler Währungen sorgt für keine Lösung. Niemand sollte der fatalen Illusion erliegen, dadurch werde eine neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik aufgehalten. Ganz im Gegenteil. Solange der 2007 unterzeichnete Vertrag von Lissabon gilt, geht der Tanz weiter. Der kardinale Denkfehler beim Euro-Krisenmanagement besteht darin, die Währungsunion mit einem Gehege für den Standortwettbewerb zu verwechseln. Das aber würde mit der Auflösung des Euro um kein Jota korrigiert. Ebenso wenig wäre es mit gravierenden ökonomischen Ungleichgewichten zwischen der EU im Norden und der im Süden vorbei. Dass ein Abwertungswettlauf Krisenländern aus der Misere hilft, glauben nur Illusionisten. So wenig sich angeschlagene Staaten aus der Krise sparen können, so wenig lässt sich durch den Wertverlust von Währungen ein Aufschwung erzwingen. Auf die Währungsschocks, die dann folgen, dürfen sich nur internationale Devisenspekulanten freuen. Regierungen, die ihre Währung mal eben um 20, 30 oder mehr Prozent abwerten, brauchen sich über die Reaktionen der Finanzmärkte nicht zu wundern. Wer den Kurs drückt, wird mit höheren Zinsen und Risikoaufschlägen bestraft. So viel sollte man aus der Vorgeschichte des Euro gelernt haben. Auch haben sich die Euro-Krisenländer ja nicht in ihrer eigenen Währung verschuldet. Da die Auslandsvermögen und -schulden ihrer Bürger auf Euro lauten, verlieren sie bei jeder Abwertung und haben keinerlei Chance mehr, aus der Schuldknechtschaft herauszukommen.
Am sonderbarsten wirkt die Ausstiegsdebatte, wenn linke Kritiker der bisherigen Euro-Krisenpolitik in den Refrain von der „Wettbewerbsfähigkeit“ einstimmen. Für rechte Standort-Nationalisten ist das normal – sie glauben das Mantra von der Konkurrenzfähigkeit, die mutmaßlich allein an den Lohnkosten hängt. Leider hält sich auch bei anderen hartnäckig das Märchen, die Exportstärke Deutschlands sei unbestreitbaren (und unsinnigen) Reallohnverlusten zuzuschreiben. Demzufolge sei die Schwäche von Krisenländern zu starken Lohnzuwächsen geschuldet. Da die Austeritätsfanatiker den gleichen Denkfehler machen, betreiben sie überall die falschen Strukturreformen – im Namen der Wettbewerbsfähigkeit.
Wer genauer hinsieht, wird bemerken: Nirgends in der westlichen Welt hängen so viele Arbeitsplätze am Außenhandel wie in Deutschland, nur werden dort in den Exportindustrien und -betrieben selten Niedriglöhne gezahlt. In der Regel sind für deren Belegschaften die Einkommen real gestiegen – ganz anders, als es der durchschnittlichen Lohnentwicklung zu entnehmen ist. Deutsche Exporteure haben jedoch deutlich niedrigere Lohnstückkosten als ihre Konkurrenten in der Eurozone. Allein darauf kommt es an. Darin spiegelt sich der erzielte Produktivitätsgewinn, den man gerade nicht durch Lohndrücken oder Niedriglöhne erreicht.
Sicher hat die Euro-Union Konstruktionsfehler, nur eben nicht jene, die in den Debatten der Ausstiegsaspiranten herumgereicht werden. Ökonomische Disparitäten und Strukturunterschiede gibt es in jedem Währungsraum. Selbst kleine Länder wie die Niederlande oder Belgien weisen erhebliche regionale Unterschiede auf. Daraus folgt nicht, dass jede Provinz eigenes Geld haben muss; der homogene, optimale Währungsraum existiert nur in einer Modellökonomie.
Rückfall in Kleinstaaterei
Auch ein Land wie Deutschland hat es seit Jahrzehnten mit ungleichen ökonomischen Standards einzelner Landesteile zu tun, kompensiert durch einen innerdeutschen Finanzausgleich, quasi eine staatlich organisierte Solidarität zwischen Ländern und Regionen. Dass die in der Währungsunion fehlt, wird seit Aufflammen der Eurokrise in einseitiger Weise korrigiert: Ganz Euroland bekommt dank deutscher Hegemonie die Zwangsjacke einer Austeritätsunion verpasst: Fiskalpakt plus Pakt für Wettbewerbsfähigkeit. Insofern gibt es sie, die gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik, nur leider eine völlig falsche. Die richtige, sogar von deutschen Wirtschaftsweisen vorgeschlagene, wird von einer Schulden- sowie Inflationsangst verhindert und scheitert an nationalem Egoismus. Dabei haben die Deutschen, die vom Euro bisher am meisten profitieren konnten, keinen guten Grund, sich einer Haftungsgemeinschaft – Euro-Bonds oder eine Transferunion – zu verweigern. Sicher, ein Kurswechsel würde die Bundesrepublik einiges kosten, aber erheblich weniger als ein Rückfall in eine von der DM geförderte und beherrschte Kleinstaaterei.
Ein Deutschland ohne Euro muss mit schweren ökonomischen Schäden rechnen. Kaum wäre die DM wieder da, würde sie von den Devisenmärkten aufgewertet und das nicht zu knapp (s. oben). Selbst die Bundesbank hätte wenig Freude an einer neu gewonnenen Dominanz. Ihr würde der Euro-Exit die Bilanz verderben, denn ein Großteil der Forderungen, die sie wie der deutsche Staat, wie private Banken und Unternehmen gegenüber dem Euro-Ausland hält, wäre verloren. So bekämen die Euro-Aussteiger genau das, was sie nicht wollen: erheblich höhere Staatsschulden – sprich italienische oder griechische Verhältnisse – im Mutterland der Schuldenhysteriker.
Eine wiederkehrende DM gerät unter erheblichen Aufwertungsdruck gegenüber den verbleibenden Euro-Staaten oder den Ländern, die ebenfalls ihre nationalen Währungen wiederauflegen. Der Kurssprung für die DM liegt bei 20 bis 30 Prozent. Das belastet die deutschen Ausfuhren enorm, das Exportwunder hat sich erledigt. Entweder stürzen die Löhne ab oder die meisten Exportunternehmen. Auf jeden Fall sind der Arbeitsmarkt und die Binnenkonjunktur schwer in Mitleidenschaft gezogen.
Die Bundesbank steht enorm unter Druck, schreibt Verluste und kann nichts mehr zum Bundeshaushalt zuschießen. Der Bundesregierung bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder wertet sie die deutschen Goldreserven auf, was aber angesichts eines schwankenden Goldpreises riskant ist. Oder sie stockt das Kapital der Bundesbank aus Reserven des Bundes auf. In jedem Fall dürfte die Staatsverschuldung wachsen und bald bei mehr als 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) liegen.
Die prekäre Wirtschaftslage vieler EU-Staaten hatte dazu geführt, dass deutsche Exporte vielfach mit deutschen Krediten bezahlt wurden. Sich daraus ergebende Target-2-Forderungen der Bundesbank lagen am 30. April 2013 bei 607,9 Milliarden Euro – knapp zwei Bundeshaushalte. Wenn Deutschland die Währungsunion verlässt, wäre davon vieles verloren. Schließlich würde der Euro gegenüber einer neuen DM im Wert drastisch fallen, was auch für die Schulden vieler EU-Partner gelten würde.
Run aufdie Banken Selbstverständlich bleiben auch die privaten Banken nicht verschont, die nicht nur mit Wertberichtigungen und Abschreibungen zu kämpfen haben, sondern von heute auf morgen ihre Kreditwürdigkeit verlieren. Die Bundesbank kann ihnen nicht mehr helfen, also trifft es die Einleger, sodass ein Banken-Run unausweichlich sein wird, um zu retten, was zu retten ist. Es geht um Sparguthaben und Lebensversicherungen im Wert von 3,2 Billionen Euro, die bedroht sind und durch eine teure DM auf jeden Fall an Wert verlieren.
Michael Krätke ist Professor für Ökonomie an der Universität Lancaster
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