Rot-Grün war im März 1999 erst ein paar Monate im Amt, da beerbte Hans Eichel den zurückgetretenen Oskar Lafontaine. Der neue Finanzminister galt eigentlich als „Linker“, war ein Schüler des sozialistischen Politologen Wolfgang Abendroth (1906 – 1985) und sollte nun die von Schröder kommandierte Riege der „Modernisierer“ komplettieren. Deren Mission – endlich einen allseits bejammerten Reformstau auflösen. Das sollte einem wirtschaftsliberalen Kurs zu verdanken sein, das Vorspiel für die Hartz-Gesetze begann.
Es ging los mit einem Kurswechsel in der großen Steuerreform, die Lafontaine noch auf den Weg gebracht hatte. Eichel machte daraus eine Steuersenkungsrallye für Großunternehmen. Im Juli 2000 verabschiedete der Bundestag zunächst das Steuersenkungsgesetz, das darauf zielte, in Etappen die Einkommenssteuer, die Körperschaftssteuer und weitere Unternehmenssteuern zu senken. Am 1. Januar 2005, im Jahr des Abtritts von Rot-Grün, trat die letzte Stufe dieser Steuerreform in Kraft.
Das Ergebnis war phänomenal – zur Verblüffung der Wirtschaftsverbände, zur Freude von Managern und Unternehmern hatten ihnen die „Modernisierer“ Steuergeschenke überreicht, von denen sie kaum zu träumen wagten. Dank der drastisch nachgebenden nominalen Steuersätze bei der Einkommens- und Körperschaftssteuer wie der Öffnung neuer Steuerschlupflöcher sank ihre reale Steuerlast von 2001 bis 2005 um ein gutes Drittel. Dabei war – im Paragraphenwald fast versteckt – besonders den Finanzkonzernen eine Riesenbonbonniere kredenzt worden. Im Dezember 1999 schon hatte die rot-grüne Bundesregierung die Veräußerungsgewinne aus dem Verkauf von Aktien, Unternehmensanteilen und Tochterunternehmen steuerfrei gestellt. Das Geschäft mit Fusionen und Firmenübernahmen boomte drauf los. Die Deutschland AG als Hort der Industrie hatte ausgedient, stattdessen der Finanzstandort einen kräftigen Schub erhalten.
Verstoß gegen Maastricht
Die Freude wurde ein wenig getrübt, als dem Bund wie den Gemeinden die Steuereinnahmen wegbrachen. Obwohl die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen weiter stiegen – nur leicht gebremst durch das Platzen der Dot.com-Blase 2000/2001 –, gingen die Einnahmen aus Steuern auf Unternehmens- und Vermögenseinkommen immer schneller zurück. Die Gemeinden sahen sich mit einer einbrechenden Gewerbesteuer konfrontiert. Wenn bis heute über die andauernde Finanzmisere deutscher Kommunen geklagt wird, dann haben vor gut einem Jahrzehnt die rot-grünen Wirtschaftsfreunde dafür das Fundament gelegt. Parallel dazu stieg die jährliche Neuverschuldung des Bundes und lag 2005 bei 71 Milliarden Euro, womit Deutschland die heilige Maastricht-Defizitgrenze gleich in Serie durchbrach, aber Sanktionen stets abwenden konnte.
Entgegen einer eifrig verbreiteten Legende war die Bundesrepublik auch vor der rot-grünen Steuerreform kein Hochsteuerland. Immer schon hatte das Steuerrecht den Unternehmen Möglichkeiten geboten, die Höhe ihres steuerpflichtigen Einkommens kreativ zu gestalten. Finanzminister Eichel folgte dieser Tradition und setzte noch einiges darauf. Mit seiner Steuerreform wurden nicht nur die nominalen Steuersätze deutlich gesenkt – von zuvor 30 auf 25 Prozent bei der Körperschaftssteuer und von 53 auf 42 Prozent bei der Einkommenssteuer –, sondern auch die Spielräume zur Manipulation der Steuerschuld drastisch erweitert. Nirgendwo in Europa konnten Unternehmer und Manager so viel an Betriebskosten von der Steuer absetzen wie im rot-grün regierten Deutschland. Und sie nutzten die neuen wie alten „Gestaltungsofferten“ mit Feuereifer, so dass die reale Steuerlast für Unternehmen und Vermögensbesitzer unablässig sank: bei den Ertragssteuern (Körperschafts-, Einkommens- und Gewerbesteuer) von 24 Prozent im Jahr 2000 auf 16 Prozent 2005. Im EU-Vergleich lag fortan die Steuerbelastung für deutsche Firmen deutlich unter dem Durchschnitt. Nur die baltischen Staaten und Griechenland – damals für seine vorbildliche Steuersenkungspolitik hochgelobt – konnten es noch besser.
Der Schlussstein
Um die Einnahmeausfälle zu kompensieren, wurde 2006 – dann schon unter der Koalition aus CDU/CSU und SPD – die Mehrwertsteuer erhöht und damit ein altes Tabu der Sozialdemokratie über Bord geworfen. Zugleich wurden die Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen im Inland (einst die steuerpolitische Geheimwaffe in mythischen Wirtschaftswunderzeiten) drastisch reduziert – ein wahrer Schildbürgerstreich.
Der Effekt blieb nicht aus, wurde doch die Talfahrt der privaten Investitionen am Wirtschaftsstandort Deutschland beschleunigt, während kreative Finanzprodukte wie Derivate in Umlauf waren, die aber dummerweise für so gut wie keine Arbeitsplätze sorgten, dafür aber zu Unfallverursachern bei der 2008 ausbrechenden Weltfinanzkrise wurden.
Schröders und Eichels Reformen sollten ein kräftiger Schuss Standorthilfe sein und den Finanzplatz Deutschland gegen die angelsächsische Konkurrenz aufhübschen. Schließlich wollte man vom internationalen Finanzboom etwas abhaben. So wurden mit dem Investmentmodernisierungsgesetz, das 2004 in Kraft trat, den bis dato in Deutschland verpönten Hedgefonds Tür und Tor geöffnet. Im ursprünglichen Gesetzentwurf sollten diese Fonds ihrer riskanten Geschäfte wegen noch der Finanzaufsicht unterstellt werden, doch schaffte es die Bankenlobby, den entsprechenden Paragraphen aus dem Gesetz zu werfen. Den Private Equity Fonds hatte man mit der Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne ohnehin schon den roten Teppich ausgerollt.
Der deregulierte Finanz-, korrespondierte mit einem deregulierten Arbeitsmarkt. Die Hartz-Gesetze von 2004 waren gewissermaßen der sozialpolitische Schlussstein eines neoliberalen Reformwerkes, das keine konservative Regierung so hätte durchsetzen können. Rot-Grün verstand es, sich um den Kapitalmarkt verdient zu machen. Nur brauchte das Niedrigsteuerland BRD eben auch einen Niedriglohnsektor, was möglich war, sofern der Kernbestand des Sozialstaates geschleift bzw. „modernisiert“ wurde. Die SPD zahlt dafür bis heute mit anhaltendem Vertrauens- und Wählerverlust.
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