Die meisten Japan-Reisenden landen früher oder später in einem Shinkansen, einem ultramodernen Hochgeschwindigkeitszug. Der rauscht mit über 300 km/h auf speziell angelegten und sorgfältig gewarteten Strecken durchs Land, wo ihm keine Bummelzüge in die Quere kommen können. Er ist auf die Minute pünktlich, blitzsauber, der Service exzellent. Zwischen den großen Städten verkehren die Züge bis zu 18-mal pro Tag, alle halbe Stunde kommt ein Zug.
Der erste Shinkansen fuhr 1964, pünktlich zur Olympiade in Tokio. Seither wurde das Streckennetz ständig erweitert und ausgebaut. Die letzte große Linie, die fertiggestellt wurde, verbindet Tokio und die Hauptinsel Honshu mit Sapporo auf der Insel Hokkaido im hohen Norden. 2016 wurde sie eröffnet, weitere Linien sind geplant und im Bau. Gut 400 Millionen Reisende transportieren die Shinkansen pro Jahr; rechnet man die Pendler ein, die täglich oder wöchentlich hin- und herreisen, kommt man auf 1,7 Milliarden Passagiere im Jahre 2017. Eine Fahrt mit den Shinkansen ist nicht ganz billig, aber bezahlbar und auf jeden Fall günstiger als ein Flug.
Japan ist ein gebirgiges Land, das regelmäßig von Erdbeben heimgesucht wird: eigentlich schwieriges Gelände für Eisenbahner. Es ist nicht ungewöhnlich, dass man zwei oder drei kleinere Beben pro Monat erlebt. Die Ingenieurleistung auf dem Gebiet der japanischen Hochgeschwindigkeitszüge kann man deshalb nur bewundern: Die Shinkansen fahren nun schon seit Jahrzehnten – ohne Unfall, ohne Katastrophe, ohne nennenswerte Verspätungen. Nur im tiefen Winter, wenn Schneestürme über das Land fegen, kommt es gelegentlich zu Verspätungen, zehn bis zwanzig Minuten sind dann schon viel.
Ein zunächst gar nicht beabsichtigter Effekt stellte sich ein, sobald das Shinkansen-Netz in ganz Japan ausgebaut war und die Züge ihre Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt hatten: Das Volumen der Inlandsflüge nahm deutlich ab. Noch immer wird im Inland geflogen, aber die Shinkansen haben dem Flugzeug auf allen Strecken bis zu 750 Kilometer eindeutig den Rang abgelaufen. Viele Flugverbindungen zwischen großen Städten mit Entfernungen zwischen 300 und 500 Kilometer und Reisezeiten von maximal zweieinhalb Stunden wurden inzwischen gestrichen. Sie lohnen sich nicht mehr, weil die Leute lieber Bahn fahren.
Selbst auf längeren Strecken hat der Shinkansen den unschätzbaren Vorteil, dass er alle halbe Stunde fährt und die Reisenden direkt ins Stadtzentrum bringt. Nur bei Entfernungen über 1.000 Kilometer ist das Flugzeug noch eine Konkurrenz für die Eisenbahn.
China folgte, und jetzt Indien
Japan war international der Vorreiter beim Bau eines Netzes von Hochgeschwindigkeitszügen. Inzwischen sind viele Länder dem Beispiel gefolgt, am eifrigsten und erfolgreichsten China. Auch in China gibt es inzwischen, nach japanischem Vorbild und mit japanischer Technologie, ein dichtes Netz von Hochgeschwindigkeitszügen, das alle großen Millionenstädte des Landes miteinander verbindet. Überhaupt ist Japan sehr erfolgreich darin, seine Eisenbahn-Technologie zu exportieren. Nach Taiwan und China sind inzwischen auch andere Länder wie Thailand und Vietnam dabei, derartige Eisenbahnnetze zu planen und zu bauen. Mit Indien gibt es seit 2015 eine langfristig angelegte Kooperation, um auf dem indischen Subkontinent die uralten, zum Großteil noch aus der britischen Kolonialzeit stammenden Eisenbahnnetzen durch ein modernes Hochgeschwindigkeitsnetz zu ersetzen.
Und Europa? Hinkt hinterher. Gewiss, die Franzosen haben mit dem TGV ein Beispiel gegeben, andere wie Belgien, die Niederlande und Deutschland nachgezogen. Spanien und Italien besitzen Hochgeschwindigkeitszüge, allerdings nur mit wenigen Trassen. Stattdessen wird auch auf kürzesten Strecken – selbst innerhalb des vergleichsweise kleinen Deutschland – geflogen und auf Autobahnen herumgerast, während das Eisenbahnnetz schrumpft.
Kein Vergleich mit den Zeiten vor dem Ersten Weltkrieg, da man komfortabel von Leipzig nach Lissabon fahren konnte. Mit der Bahn.
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>>…selbst innerhalb des vergleichsweise kleinen Deutschland – geflogen und auf Autobahnen herumgerast, während das Eisenbahnnetz schrumpft.<<
Und das in der dichtbesiedelten BRD. In Japan wurde nie davon ausgegangen, dass das Automobil das Hauptverkehrsmittel sein solle. Deswegen wurde der Bahnverkehr konsequent ausgebaut, Streckenabbau kam niemals in Frage. Die Benützbarkeit eines Bahnsystems hängt nur teilweise von der Geschwindigkeit auf Langstrecken ab, genauso wichtig ist die Erreichbarkeit. Hier wird Geld in teuren, verkehrstechnisch fragwürdigen Projekten wie S21 oder münchner S-Bahntunnel versenkt: Geld, dass für den Ausbau des Bahnnetzes in der Fläche fehlt.
Das bahnfeindliche Regierungsprinzip lässt sich bis in die 1930er Jahre zurückverfolgen: Für den Bau eines vierspurigen kreuzungsfreien Fernstrassennetzes wurden Gewinne von der Reichsbahn abgezogen. Womit der seltsam anmutende Begriff „Auto-Bahn“ erklärt ist.
Auch die Verkehrswegepläne der BRD stellten stets die Förderung des Automobilverkehrs in den Vordergrund. Nicht nur wurde das Autobahnnetz zügig weiter ausgebaut, auch Städte wurden massiv umgebaut um den Massenautomobilverkehr aufnehmen zu können. Unabhängig davon, welche Parteien gerade regieren, war und ist der Verband der Automobilindustrie der übergeordnete Entscheider. Manche nennen das Korruption, aber das ist natürlich politisch unkorrekt.
Auch im europäischen Vergleich zeigt sich, dass dort wo ein dichtes Bahnnetz mit integriertem Fahrplan existiert dieses Angebot gerne angenommen wird.
Ausserdem nützt es eben nichts, wenn man einerseits zwar theoretisch in 4 Stunden von München nach Berlin käme, praktisch aber wegen unzureichender Wartung der Zug ausfällt.
>>Für den Bau eines vierspurigen kreuzungsfreien Fernstrassennetzes wurden Gewinne von der Reichsbahn abgezogen.<<
Ergänzung dazu: Das "Autobahn"-Projekt war von der Regierung Brüning ab 1930 als "Arbeitsbeschaffungsmassnahme" deklariert.
Im Jahre 1903 erreichte ein Elektrotriebwagen auf der Versuchsstrecke Berlin-Zossen 210 Km/h. Damals stand sozusagen der ICE ante portas.
Hätte man 1930 der Reichsbahn ihr Geld gelassen, dann hätte auf der Grundlage des Hochgeschwindigkeitstriebwagens schon damals der ICE entwickelt werden können. Mit Entwicklung und Bau von schnellen Zügen plus Trassenbau für die hohe Geschwindigkeit wären mindestens genau so viele Arbeitsplätze entstanden wie mit der Autobahn.
Sebstverständlich kann sich die Deutsche Bahn hier mal eine gehörige Portion abschneiden. was aber nicht am System Deutsche Bahn AG liegt, denn auch in Japan sind die Bahngesellschaften privatisiert.
Zudem muss man die völlig andere Mentalität dort berücksichtigen. Wer einmal in Japan mit dem Nahverkehr gefahren ist, kennt es sicherlich. Der Zug hält nur wenige Sekunden, und die auf dem Bahnsteig wartenden werden von Angestellten der Bahngesellschaft mit Gewalt in die vollen bis überfüllten Züge gepresst. Ohne Rücksicht auf Behinderte, Alte oder Kinder. Und alles nur, um die Pünktliche Abfahrt zu gewährleisten. Denn einem Lokführer, der mit Verspätung einfährt oder nicht an der vorgesehenen Stelle zum halten kommt, droht direkt eine Abmahnung, und sehr schnell die Kündigung. Von dem Verlust der persönlichen Ehre und der Achtung der Kollegen ganz zu schweigen.
Auch wenn die Bahn auf den ersten Blick natürlich umwelfreundlicher ist, so gilt doch zu bedenken, das gerade in Japan der hierzu erforderliche Srom (und ein solcher Hochgeschwindigkeitszug benötigt Unmengen) nur durch Kernkraft erzeugt wird.
Vielleicht habe ich das "verpasst" aber bei meinem Besuch in Tokyo hat der Nahverkehr erstaunlich gut funktioniert. Bei "Mentalität" hab ich eher an die schön in Schlange stehenden Menschen gedacht, die vernünftig warten bis die aussteigenden Leute alle raus sind. Und in den Zügen nehmen die Leute aufeinander rücksicht. Keiner spielt laute Musik oder telefoniert laut. Klar: Es spricht auch niemand miteinander, was auch etwas befremdlich sein kann.
Aber immer noch besser als die "deutsche Mentalität" wenn es ums Bahnfahren geht: Ein riesen Gedränge und jeder will der erste im Wagon sein. Am besten schon reinstürmen, während noch Leute aussteigen.
Wenn man einmal in Japan Zug gefahren ist, kann man in Deutschland nur noch mit dem Kopf schütteln. Und zwar in so gut wie allen Belangen, nicht nur bei der Pünktlichkeit.
>>Auch wenn die Bahn auf den ersten Blick natürlich umwelfreundlicher ist, so gilt doch zu bedenken, das gerade in Japan der hierzu erforderliche Srom (und ein solcher Hochgeschwindigkeitszug benötigt Unmengen) nur durch Kernkraft erzeugt wird.<<
Man sollte natürlich fragen, ob wirklich jede technisch machbare Geschwindigkeit gesamtgesellschaftlich vorteilhaft ist. Dort, wo die Bahn einen hohen Anteil am Verkehr hat liegt das eher an der guten Vernetzung in der Fläche als an ein paar Km/h mehr oder weniger auf den Rennstrecken.
Im Übrigen aber ist es dem Zug egal, woher der Strom kommt: In Norwegen zum Beispiel fahren sie ausschliesslich mit Wasserkraft, weil es dort keine andere Stromerzeugung gibt. In der BRD, deren Wasserkraftnutzung sehr weit unter dem europäischen Durchschnitt liegt, zum Teil mit Kohle. Denn wenn noch mehr Züge ausfallen weil gerade die Sonne untergegangen ist und der Wind nicht bläst wäre es ja auch wieder nicht recht.
>>Wenn man einmal in Japan Zug gefahren ist, kann man in Deutschland nur noch mit dem Kopf schütteln.<<
Das Kopfschütteln erlebe ich auch, wenn ich mal wieder in Schweiz war. Der Unterschied zum Teil krass.
Weiter oben wurde es bereits angedeutet, im Artikel fehlt der Bezugspunkt ganz. Zur Erinnerung
"Der Schienenverkehr bildet in der Schweiz das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs [...] Das schweizerische Eisenbahnnetz hat eine Länge von 5'251 km (Stand 2010), mit Bezug auf eine Fläche von 41.285 km² ist es, ebenso wie das Netz der Tschechischen Republik und abgesehen von den Stadtstaaten Monaco und Vatikanstaat, das dichteste der Welt und bis auf wenige Kilometer vollständig elektrifiziert." (wikipedia)
Es geht also nicht um Hochgeschwindigkeit (alleine), sondern um den infrastrukturellen Grundgedanken. Japan eignet sich dementsprechend wenig als Vorbild für Deutschland, weil der Warenverkehr auf langer Strecke dort hauptsächlich per LKW und per Schiff erledigt wird, https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/suche,t=logistik-in-japan,did=1968118.html
In Südkorea gibt es das Netz der KTX Hochgeschwindigkeitszüge, die auf dem französischen TGV basieren. Sie verbinden allerdings nur die großen Ballungsgebiete, vor allem im Westen. An der Ostküste gibt es nicht mal eine durchgehende Bummelzugstrecke, was sich jetzt als besonders fatal herausstellt, weil man die bräuchte, um den angestrebten Güteraustausch mit Nordkorea zu intensivieren. Der KTX ist ziemlich teuer und steht in Konkurrenz zu dem dichten Netz von Fernbussen, die von Hunderten von privaten Linienbusgesellschaften betrieben werden. Schlecht ist, dass man den KTX mehrere Tage im voraus buchen muss, weil man sonst nicht mal einen Stehplatz ergattert. Dabei ist z.B. der relativ neue KTX von Seoul über Daegu nach Pohang keinesfalls voll, sondern nur auf dem Hauptabschnitt zwischen Seoul und Daegu. Dort ist er ausgebucht, aber zwischen Daegu und Pohang weitgehend leer.
Hinzu kommt, dass die KTX Bahnhöfe oft so weit außerhalb der Städte gebaut wurden wie bei uns die Flughäfen. Wer mit "normalen" Zügen fährt, muss ggfls. in ein Taxi steigen um den nächsten KTX Bahnhof zu erreichen. Dasselbe gilt für die Fernbus-Terminals die oft weit entfernt vom nächsten Bahnhof liegen. In den Megacities existieren sogar mehrere Fernbus-Terminals, von denen jeder nur eine Himmelsrichtung bedient. Wer also z.B. mit dem Fernbus von Incheon nach Andong fahren möchte, steigt in Seoul am West-Busterminal aus, fährt mit der U-Bahn zum 10 km entfernten Ost-Busterminal und von dort mit dem Südost Bus nach Andong. Es gibt keinen landesweiten Fahrplan, so dass man immer raten muss, wann und wo man Anschluß zu einem anderen Linienbus (einer anderen privaten busgesellschaft) hat. Das verlängert die Reisezeiten ungemein, so dass die meisten Menschen doch mit dem Privatauto unterwegs sind, was zu riesigen Staus führt, die wiederum Verspätungen bei den Fernbussen nach sich ziehen, die ja dieselben Autobahnen benutzen.
Das U-Bahn Netz in Seoul ist gigantisch und super pünktlich. Aber es reicht für die 24 Millionen Einwohner des Großraums Seoul trotzdem nicht aus. Wer mit der U-Bahn vom Süden in den Norden fährt steht womöglich 3 Stunden dicht gedrängt im Mittelgang.
Natürlich wird alles mit der Kraft des Atomstroms bewegt.