Warum das Klimaabkommen von Glasgow besser als sein Ruf ist

COP26 Der Klimapakt steht in der Kritik. Dabei hat er es in sich. In wesentlichen Punkten geht er sogar noch über das Pariser Übereinkommen von 2015 hinaus
Ausgabe 46/2021
Der Künstler Uili Lousi zeigt in Schottland auf eine Simulation seiner Heimat: das vom Klimawandel geplagte Tonga im Südpazifik
Der Künstler Uili Lousi zeigt in Schottland auf eine Simulation seiner Heimat: das vom Klimawandel geplagte Tonga im Südpazifik

Foto: Peter Summers/Getty Images

Der Klimapakt von Glasgow – ein historisches Moment? Darf man nach zwei Wochen Weltklimagipfel wieder Hoffnung schöpfen? Bekommen wir in allerletzter Minute doch noch die Kurve hin zu einer klimaneutralen Wirtschafts- und Lebensweise? Für die Abschlusserklärung haben China, Indien und der Iran buchstäblich in den letzten Konferenzminuten eine Verwässerung erzwungen. Statt vom Ausstieg aus der Kohleverbrennung ist jetzt allein von deren Abbau die Rede. Dies geschah zur Enttäuschung vieler Delegierter, bei denen sich der Konferenzchairman Alok Sharma, den Tränen nah, entschuldigte. Sicher konnte und durfte man frustriert sein, doch Grund zum Heulen gab es nicht. Der nun vorliegende Klimapakt hat es trotz mancher Relativierung in sich. Da wird eine Abkehr von fossilen Energien festgeschrieben und verlangt, „ineffiziente Subventionen“ für Öl, Gas und Kohle zu streichen. Und „ineffizient“ sind sie faktisch alle.

Koalition der Willigen

Damit geht der Ertrag dieses Gipfels in wesentlichen Punkten über das Pariser Klimaabkommen von 2015 hinaus. Vieles, was dort nur vage angedeutet wurde, ist nun in vergleichsweise klarer Sprache als Beschluss formuliert. Am Ziel, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen, ist nicht mehr zu rütteln. Wenn die in Glasgow teils beschlossenen, teils angekündigten Maßnahmen in den nächsten Jahrzehnten umgesetzt werden, lässt sich der Klimawandel so weit auffangen, dass die Durchschnittstemperaturen nur um etwa 1,7 bis 1,8 Grad steigen. Da COP26 ein Zwischenschritt auf dem richtigen Weg ist, muss und darf es dabei nicht bleiben. Noch in diesem Jahrzehnt, bis 2030, muss daher der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen um 45 Prozent (bezogen auf 2010) gesenkt werden, um den nunmehr geltenden Klimazielen gerecht zu werden. Das heißt, alle Staaten haben ihre Klimapläne nachzubessern und ihre Maßnahmen zu verschärfen. Und sie müssen darüber Rechenschaft ablegen, nicht mehr alle fünf Jahre, wie in Paris vereinbart, sondern alle zwei. Die Spielregeln der internationalen Klimapolitik wurden erstmals derart verbindlich und im Detail festgelegt, im Pariser Vertrag waren sie das nicht. Auch soll künftig Klimagerechtigkeit Priorität eingeräumt werden, was die traditionellen Industrieländer zwingt, mehr denn je ihre technologische Expertise einzusetzen. Begründung: Sie tragen nicht die alleinige, allerdings die größte historische Verantwortung für die Emission an Treibhausgasen. Daher wurde beschlossen, die Finanzhilfen für die von der Klimaerosion besonders betroffenen Länder im globalen Süden zu verdoppeln, von 20 auf 40 Milliarden Dollar jährlich. Überdies soll ein internationaler Hilfsfonds eingerichtet werden, um Schäden nach Dürren, Überschwemmungen und Sturmfluten zu beheben, leider wird keine konkrete Summe für dessen Finanzausstattung genannt.

Es gab in Glasgow eine Reihe von zusätzlichen Agreements, gefunden nicht von allen, aber von wichtigen Akteuren, die sich in Koalitionen der Kooperationswilligen wiederfanden. So die Europäische Union und die USA, die Emissionen von Methangas bis 2030 um 30 Prozent (bezogen auf den Wert von 2020) reduzieren wollen. Mehr als 100 Länder haben sich diesem Vorhaben angeschlossen, die zusammen fast die Hälfte dieser Emissionen verursachen. Methan sorgt für 20 Prozent der Treibhausgase und für etwa ein Drittel der Erderwärmung. Um das zu reduzieren, muss man sich mit der Öl- und Gasindustrie ebenso anlegen wie mit der Land- und der Abfallwirtschaft. Doch steht gerade eine solche Vereinbarung für den Versuch, den Druck auf die Akteure in der Wirtschaft zu erhöhen. Gleiches gilt für die von mehr als 100 Ländern unterzeichnete Verpflichtung, die Entwaldung bis 2030 zu stoppen und den Trend umzukehren, indem Wälder geschützt und aufgeforstet werden. Zu den Unterzeichnern zählen Kanada, Brasilien, Indonesien, Russland, China, die USA und die Demokratische Republik Kongo, auf deren Territorium 85 Prozent der Wälder dieser Erde liegen. Auch hier gibt es zur Kompensation Finanzhilfen für ärmere Länder und indigene Völker, wenn der Handel mit Palmöl, Soja und Kakao stärker reguliert werden soll, um die Entwaldung zu stoppen.

Schließlich sind in Glasgow 24 Regierungen, mehrere Automobilkonzerne und zahlreiche Städte übereingekommen, bis 2035 auf ihren nationalen Märkten und bis 2040 weltweit keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren mehr anzubieten beziehungsweise zuzulassen. Das Signal lautet: Der Verbrenner hat keine Zukunft mehr im Verkehr – seine Zeit ist abgelaufen. Die USA und Deutschland verweigerten sich wie einige der großen deutschen Autokonzerne. Ganz anders verhielten sich zwei Dutzend Staaten, die erklärten, sie würden die Finanzierung von Projekten zur Öl-, Gas- und Kohleförderung schon im nächsten Jahr beenden.

Warum China stur ist

Eine Sensation war zweifellos die Erklärung der USA und Chinas, in der Klimapolitik mehr und intensiver zu kooperieren, um eine Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad zu verhindern. Aller weltpolitischen Rivalität zum Trotz funktionierte so etwas wie Klimadiplomatie zwischen Großmächten. In der Klimatechnologie, bei den erneuerbaren Energien, sind die Chinesen Weltspitze, ihre derzeit noch hohe Abhängigkeit von der Kohle ändert daran nichts. Dass sich die chinesische Delegation wegen des Kohleausstiegs zuletzt querlegte, um die Formulierungen im Pakt von Glasgow abzuschwächen, hat einen einfachen Grund: Die Regierung in Peking hat sich auf Klimaneutralität bis spätestens 2060 festgelegt, nur will sie sich den Zeitplan bis zum absoluten Verzicht auf Kohle nicht vorschreiben lassen, ebenso wenig wie eine Abkehr von der Kernenergie. Argumentiert wird mit dem Verweis auf „historische Klimagerechtigkeit“ – als industrieller Spätentwickler sei China nur für maximal 13 Prozent der historischen Treibhausgasemissionen verantwortlich, auch wenn sein Anteil am globalen Kohlendioxidausstoß heute bei 31 Prozent liegt. Chinas Führung pflegt zu tun, was sie öffentlich erklärt, und vermeidet Versprechen, die sich als unrealistisch erweisen – das nennt man Good Governance.

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