Bretton Woods: Das System der festen Wechselkurse hat 1973 ausgesorgt
Zeitgeschichte Die Ordnung von Bretton Woods hatte den Dollar zum Weltgeld erhoben und an eine feste Golddeckung gebunden. Die Krisen der frühen 1930er sollten der Vergangenheit angehören. Doch der Plan ging nicht auf
Mit dem Ende von Bretton Woods machte sich der Dollar von Gold unabhängig
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Seit der Finanzkrise 2007/08 wird nach einem „neuen Bretton Woods“ gerufen. Die Vereinten Nationen haben sogar ein Gutachten bei Nobelpreisträger Joseph Stiglitz in Auftrag gegeben. Hartnäckig hält sich der Mythos, Bretton Woods sei eine Konferenz weiser Staatsmänner gewesen, die nach Kriegsende über eine künftige Weltordnung beraten hätten. Tatsächlich wurde sie im Juli 1944 als Treffen von Verbündeten der Anti-Hitler-Koalition vom US-Schatzamt organisiert und abgehalten. Man tagte im Mount Washington Hotel von Bretton Woods, einem Ort im Staat New Hampshire. Vertreter von 44 Staaten einigten sich auf ein Vertragswerk, das einer Neuordnung der Weltwirtschaft in der Nachkriegszeit galt.
Nicht weise Männer, sondern Machtinteressen
interessen bestimmten die Konferenz. Die absteigende Weltmacht Großbritannien und die aufsteigenden USA verständigten sich über eine neue Machtbalance. An die Stelle des Pfund Sterling trat der Dollar als neues Weltgeld. Was die Teilnehmer einte, war die Absicht, die Finanz- und Währungskrisen der 1930er-Jahre künftig zu vermeiden. Zollkriege, Abwertungswettläufe, die teils mörderische Rivalität der Nationalstaaten sollten in der neuen Ordnung nicht mehr erlaubt sein. Die Amerikaner wollten einen „New Deal für die Weltwirtschaft“, wie es ihr damaliger Finanzminister Henry Morgenthau, ein glühender Anhänger Präsident Roosevelts, formulierte.Dagegen hatten die Briten, mit John Maynard Keynes an der Spitze, nichts einzuwenden. Sie wollten das durch den Krieg bedingte Regime der staatlichen Regulierungen auf die internationale Ökonomie ausdehnen. Was den Herren des Kapitals in den USA wie in Europa wenig gefiel, die schon bald nach Kriegsende gegen das neue System zu rebellieren begannen. Internationale Handels- und Währungskonferenzen hatte es schon früher gegeben, nun aber versuchten westliche Regierungen erstmals, den eigentlichen Machthabern der kapitalistischen Weltwirtschaft ein strengeres Regime aufzuerlegen, etwa durch Devisen- und Kapitalverkehrskontrollen, was einem marodierenden Finanzkapital Grenzen setzte.Zunächst scheiterte die im Bretton-Woods-Abkommen vorgesehene Internationale Handelsorganisation am Widerstand des US-Kongresses. Es dauerte bis in die 1950er-Jahre, das neue Währungsregime fester Wechselkurse mit dem Dollar als Anker einzuführen. Die Bundesrepublik Deutschland schloss sich dem 1952 an, so dass auch für die D-Mark der Kurs zum US-Dollar fix war – und damit der Kurs zu allen anderen Währungen. Allein die US-Regierung war verpflichtet, den Dollar zu einem festen Preis von 35 Dollar pro Feinunze Gold zu konvertieren. Dessen Stabilität hing demnach von den Goldreserven der US-Notenbank (Fed) ab. Alle anderen Zentralbanken brauchten keine Goldreserven mehr, es reichte, über genügend Dollarreserven zu verfügen, da Notenbanken jederzeit das Recht hatten, ihre Dollars der Fed zu präsentieren, um sie in Gold einzulösen. Solange die Goldvorräte in deren Tresoren ausreichten, schien alles in bester Ordnung zu sein.Auf Bretton Woods folgt ein Jahrzehnt des ökonomischen ChaosJedoch begann das Bretton-Woods-System schon nach 1960 zu wanken, als es Angriffen des international agierenden Finanzkapitals ausgesetzt war. Im August 1971 erklärte US-Präsident Richard Nixon die Einlösung von Dollar in Gold für zeitweilig aufgehoben. Nach dem vergeblichen Versuch, das System zu reparieren, wurde es im März 1973 ganz aufgegeben. Ein Jahrzehnt des weltökonomischen Chaos, der Dollarabwertung und der Wechselkurs-Eskapaden begann. Dabei war der Ölpreisschock eine Reaktion auf den fallenden Dollar, kein böser Wille intriganter Ölscheichs. Die Weltwirtschaftsordnung, wie wir sie heute kennen, entstand aus dieser Unordnung.Nach wie vor wird Bretton Woods durch den Mythos der mutmaßlich goldenen Jahrzehnte eines Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg verklärt. Tatsächlich war das Problem – eine nach 1945 stürmisch expandierende kapitalistische Ökonomie an einen nicht beliebig zu vermehrenden Goldvorrat zu koppeln und die Verantwortung für ein Weltwährungssystem in die Hände der Zentralbank einer Supermacht zu legen – den Protagonisten von Bretton Woods völlig klar. John Maynard Keynes hatte deshalb einen eigenen Plan. Ihm schwebten eine internationale Kreditorganisation, eine Art Zentralbank der nationalen Zentralbanken, und ein internationales Kreditgeld (Bancor) vor.Die USA hätten darauf verzichten müssen, die enormen Vorteile auszuspielen, wie sie ihnen der Zweite Weltkrieg verschafft hatte, als sie Handelsüberschüsse erwirtschafteten, Gläubigerstaat für den Rest der kapitalistischen Welt und das einzige Land mit einem intakten, gewaltig ausgedehnten Produktionsapparat waren. Nach Keynes’ Plan sollten die Defizit- wie Überschussländer nach den Erfahrungen der Zwischenkriegszeit akzeptieren, dass sie ein gemeinsames Problem zu lösen hatten, und zwar nicht auf Kosten der jeweils schwächeren Seite. Zugleich sollte die internationale Geldordnung dem Zugriff nationaler Regierungen entzogen sein. Keynes wollte einer Praxis vorbeugen, bei der die USA ihre Vormacht zum eigenen Vorteil ausnutzen konnten – gegebenenfalls als „freundlicher Hegemon“. Es wurde nicht bedacht, dass es den Herren des Kapitals ebenso wie den nationalen Regierungen widerstrebte, sich einer supranationalen Institution und einem Automatismus von Regeln zu unterwerfen.Sorge vor der DeflationLetztlich funktionierte in den 1950er-Jahren das auf die USA zugeschnittene Weltwährungssystem, es herrschte Dollarmangel, alle wollten das Weltgeld Dollar haben. Die USA verbuchten hohe Handels- und Zahlungsbilanzüberschüsse. Die ganze Welt war bei ihnen verschuldet. Die Ökonomien in Westeuropa und Asien erzielten traumhafte Wachstumsraten, die Fed druckte Dollar für die Welt. Nur konnten die Goldreserven nicht mithalten, sie schrumpften im Verhältnis zur Dollarflut. Mit den 1960er-Jahren begannen die USA, ins Defizit zu rutschen, sie gaben immer mehr Geld aus, nicht zuletzt, um die wachsenden Kosten des Vietnam-Kriegs zu finanzieren.Bald galt der Dollar als überbewertet, seine jederzeitige Einlösung in Gold als unsicher. Um die Fed zu entlasten, griff der Internationale Währungsfonds (IWF) auf ein Element des Keynes-Plans zurück. Im Dezember 1945 gegründet und seither als eine der zwei zentralen Institutionen des Bretton-Woods-Systems (die zweite war die Weltbank) in Washington residierend, erweiterte er seine Kreditvergabe mit der Erfindung sogenannter „Sonderziehungsrechte“ (SZR). Diese ermöglichten es den Mitgliedsländern, deutlich mehr Kredite aufzunehmen als zuvor, um ihnen bei Problemen mit der Zahlungsbilanz zu helfen. Sie konnten sich – anders als die USA – nicht selbst retten, indem sie nationales Geld druckten, das überall als Weltgeld akzeptiert wurde. Doch war mit den SZR eine systemische Weltwährungskrise nicht behoben. Der Welthandel wuchs stürmisch, die globale Goldproduktion hielt dem nicht stand, so dass die Umlaufmenge des Weltgeldes nur durch Kapitalabfluss aus den USA wachsen konnte. Folglich stieg das US-Zahlungsbilanzdefizit. Einige Zentralbanken gingen so weit, ihre wachsenden Dollarreserven in Gold einzulösen, wodurch schnell klar wurde: Sollten das alle tun, bliebe der Fed nichts übrig, als auf eine restriktive Geldpolitik umzuschalten und eine weltweite Deflation auszulösen. So die damals von vielen geteilte Befürchtung.Die USA erhöhten mehrfach den offiziellen Goldpreis, werteten also den Dollar ab und gewannen dadurch Zeit. Freilich reichte sie nicht, um das System der festen Wechselkurse zu erhalten, so dass die Herren der Finanzmärkte wieder am Ruder waren. Immerhin überlebten die Bretton-Woods-Institutionen IWF und Weltbank, und der Dollar behauptete sich als Weltgeld. In der EU wurde ein neues System fester Wechselkurse angestrebt. Ein Versuch, der nach vielem Hin und Her zu einer Gemeinschaftswährung führte. Sie ist dem Dollar bislang nicht ebenbürtig.