Der britische Premier pokert hoch, weil er blufft. Aber ihm sitzen nun einmal die EU-Gegner in der eigenen Partei und die UKIP-Wutbürger im Nacken. Um sie milde zu stimmen, hat er vor geraumer Zeit ein Referendum über den Verbleib in der EU angekündigt. Spätestens 2017. Oder schon im nächsten Jahr? Man hätte dann ein Druckmittel in der Hand, um in der EU mehr Sonderrechte herauszuschlagen. Klappen würde das freilich nur, gäbe es mit Ach und Krach eine knappe Mehrheit für die EU. Es kann ebenso passieren, dass die konservativ-liberale Regierung ein Ergebnis bekommt, das sie erschreckt: die Aufforderung zum EU-Ausstieg. Die europafreundlichen Schotten hätten einen Grund mehr, unabhängig zu werden.
Denn ein EU-Abschied käme die Briten teuer zu stehen. Gut die Hälfte ihres Außenhandels wird mit EU-Ländern abgewickelt, ein Drittel ihrer Finanzdienstleistungen in der Union erbracht. Mit einem Schlag läge die Insel auf der anderen Seite der Zollmauer, die den EU-Binnenmarkt vom Rest der Welt scheidet. Es ist durchaus nicht sicher, dass den Briten dann EU-Außenzölle erlassen würden. Auch auf die Handelspolitik in Brüssel hätte man in London keinen Einfluss mehr und würde in der Welthandelsorganisation (WTO) allein dastehen. Das wäre misslich, weil Großbritannien schon lange keine Welthandelsmacht mehr ist, um deren Gunst andere Nationen buhlen. Und dass mit dem Commonwealth die EU zu ersetzen wäre, wie man auf der Insel hört, ist ein schlechter Witz.
Die Umstände eines EU-Abgangs könnten zudem dazu führen, dass die Briten danach keine ähnlich großzügigen Sonderregelungen erhalten wie Norwegen, die Schweiz oder Südafrika – allein für den Finanzplatz London ein Desaster. Die Branche sorgt für rund zwei Millionen gut bezahlter Jobs. Und der Export von Finanzdienstleistungen ist die wichtigste Stütze der britischen Leistungsbilanz. Etwa die Hälfte der Finanzoperationen in London entfallen auf ausländische Banken, die an diesem Ort sind, weil sie mit dem Rest Europas Geschäfte machen wollen. Läge die britische Hauptstadt außerhalb der EU, würde der Finanzplatz über Nacht an Wert einbüßen. Und das gehörig.
Kein Wunder also, dass amerikanische, asiatische und europäische Geldinstitute gedroht haben, nach Frankfurt abzuwandern, sollten die Briten kein EU-Mitglied mehr sein.
Daraus folgt, Cameron pokert hoch, weil sich viele britische Wähler nicht über die Folgen einer EU-Verweigerung im Klaren sind. Zumal die deutsche Kanzlerin auf Camerons Bluff eingeht, weil der ihr von Nutzen ist. Dabei geht es nicht so sehr darum, dass ein EU-Austritt Großbritanniens deutschen Exportinteressen schadet, sondern eine deutsch-britische Achse (mit Holland und Schweden als Juniorpartnern) soll erhalten bleiben, die sie in der Euro-Krise geschmiedet hat. Angela Merkel benutzt Camerons Anti-Juncker-Kurs als Hebel, um die nächste Kommission auf ihre Reformagenda einzuschwören. Das gilt besonders für ihr Lieblingsprojekt, den Fiskal- und Wettbewerbspakt.
Man wird kurz vor dem entscheidenden Nominierungsgipfel aus Berlin hören, bei allen Personaldebatten sollte man inhaltliche Fragen nicht vernachlässigen. Das sähe Premier Cameron genauso, worüber die deutsche Regierung froh sei.
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