Chaos mit Ansage

Brexit Die Regierung May trifft massive Vorkehrungen für den Ernstfall – einen Austritt ohne Abkommen
Ausgabe 02/2019
Auf einem verwaisten Flughafen beim südenglischen Ramsgate parken LKWS, mit denen die Regierung testet, wie gut die Verkehrsinfrastruktur auf unvermeidliche Staus bei einem No-Deal-Brexit vorbereitet wäre
Auf einem verwaisten Flughafen beim südenglischen Ramsgate parken LKWS, mit denen die Regierung testet, wie gut die Verkehrsinfrastruktur auf unvermeidliche Staus bei einem No-Deal-Brexit vorbereitet wäre

Foto: Glyn Kirk/AFP/Getty Images

Am 15. Januar wird im Unterhaus über den Austrittsvertrag abgestimmt, den Theresa May mit der EU ausgehandelt hat. Geplant war das Votum schon für den 11. Dezember, wurde aber von der Premierministerin abgeblasen, um Zeit zu gewinnen – für Show-Einlagen in Brüssel und Berlin, für die Seelenmassage zu Hause bei ihren Konservativen, um der absehbaren Niederlage im Parlament zu entgehen. May setzt nach wie vor auf die Angst vor den Folgen eines ungeregelten Brexits, der immer wahrscheinlicher wird. Verliert sie am 15. Januar, bleibt keine Zeit für Wahlen oder ein zweites Referendum vor dem offiziellen EU-Ausstieg am 29. März. Die einzige Option, mit der sich ihre Regierung noch arrangieren könnte, wäre die Bitte an Brüssel, eine verlängerte Ausstiegsfrist zu gewähren. Oder doch den gesamten Brexit zu kippen? Den Ausstieg aus dem Ausstieg deklarieren? Es wäre illusionär, damit zu rechnen. Mehr zeitlichen Spielraum dürfte die EU nur gutheißen, gäbe es dafür in London einen plausiblen Plan. Im Moment dominiert dort die Chaos-Vorsorge, indem beispielsweise Vorkehrungen getroffen werden, Teile der Autobahn von Dover nach London in Parkplätze umzuwandeln, in Erwartung eines unerhörten Massenstaus von Trucks in beiden Richtungen. Schließlich muss für den Fall des Falls nach dem 29. März mit Zollabfertigungen von viele Stunden, ja Tagen gerechnet werden. Auf die Export- und Importwirtschaft auf beiden Seiten des Kanals kommen Mehrkosten in Milliardenhöhe zu, wenn das jetzige Grenzregime über Nacht kippt. In Großbritannien wie in Frankreich und Belgien sind bereits Tausende zusätzliche Zollbeamte eingestellt worden, auch wenn niemand genau weiß, auf welche Situation die sich eigentlich vorbereiten sollen.

Brexodus von der Insel

Um für Anschläge oder gar Aufruhr an der bislang fast unsichtbaren Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland gewappnet zu sein, werden 1.000 Polizisten trainiert. Der Einsatz der Armee, um bei Versorgungsengpässen für Ruhe und Ordnung zu sorgen, wurde angekündigt, dann wieder dementiert. Auf jeden Fall hat die Regierung Lager für Lebensmittel- und Medikamentenvorräte angemietet, Gleiches halten Supermarktketten, Apotheken und Kliniken für geboten. Es sind für Milliarden Pfund Verträge mit ausländischen Reedereien geschlossen worden, um genügend Fährkapazität für den Transit zwischen britischen und kontinentalen Häfen am Ärmelkanal zu haben, sobald der Verkehr zwischen Dover und Calais per Eisenbahn kollabieren sollte. Notfallpläne für den internationalen Flugverkehr komplettieren das Paket der Prävention.

Unternehmerverbände und die britische Handelskammer laufen in London Sturm gegen einen No Deal und drohen unablässig mit Konsequenzen wie der Abwanderung, dem Verlagern von Investitionen und Arbeitsplätzen. Dabei ist der Kapitalabfluss schon im Gange; verliert May am 15. Januar, wird eine Flucht daraus.

Für den Finanzplatz London bedeutet ein ungeregelter Ausstieg, dass alle dort tätigen Finanzinstitute über Nacht das Recht verlieren, in den übrigen 27 EU-Staaten zu handeln. Ein Großteil des Geschäftsvolumens, vorrangig im Handel mit dem Euro, muss demnach verlagert werden. Mehr als 80 Prozent der britischen Unternehmen haben laut letzten Umfragen Investitionspläne auf die lange Bank geschoben. Kommt der No Deal, dürfte die sehr lang werden. Auch der Verfall des Pfunds setzt sich fort im Vorgriff auf einen wilden Ausstieg, weil dann mit einem Kurssturz von bis zu 15 Prozent gerechnet wird. Das trifft keineswegs nur Vermögensbesitzer, die ohnehin im Zweifelsfall ihr Geldvermögen längst außer Landes gesichert haben wie Mays ultrakonservativer Gegenspieler Jacob Rees-Mogg und andere prominente Brexiteers.

Überdies ist der Brexodus von der Insel angelaufen, ein Erfolg für die Tory-Rechte, die Zuwanderer aus der EU stets als Zumutung betrachtet hat. Noch ist nicht klar, was auf die EU-Ausländer bei einem No-Deal-Brexit zukommt. Werden sie über Nacht zu illegalen Migranten ohne Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung? Wie auch immer – Abgeordnete aus mehreren Parteien, so sieht es jetzt aus, wollen May einen Zusatz zu ihrer Abstimmungsvorlage aufzwingen, der ihr den No Deal-Ausstieg verbietet. Ob das reicht, ein Chaos zu vermeiden?

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