Ende Oktober startet in Glasgow COP 26, der nächste Weltklimagipfel. Ein Jahr später als geplant, die Veranstalter – der UN-Klimarat, Großbritannien und Italien – mussten das regulär für 2020 geplante Treffen der 195 Vertragsstaaten des Pariser Abkommens (2015) wegen der Pandemie verschieben. Misslich genug, die bis dato letzte globale Klimakonferenz COP 25 gab es Ende 2019 in Madrid. Seinerzeit galt es noch als Erfolg, dass man die Angriffe der Leugner des Klimawandels unter Führung des unsäglichen Donald Trump abweisen und den Vertrag von Paris erhalten konnte. Inzwischen scheinen die Regierungen aller Signatarstaaten den Ernst der Lage wahrzunehmen, verbunden mit der Gewissheit, dass die Klimaerosion vorerst unaufhaltsam voranschreitet. Nur
Die Zukunft läuft davon
Weltklimagipfel Das anstehende Treffen in Glasgow überlagern große Erwartungen. Kann sich die UN als Moderator weltweiter Kooperation beweisen?
Nur wenige Jahre verbleiben, um dem von heutigen Produktions- und Lebensweisen ausgelösten und stetig forcierten Klimawandel zu begegnen, sodass die Erwärmung der Erdatmosphäre auf 1,5 bis 2 Grad begrenzt und der Planet nicht in weiten Regionen unbewohnbar wird.Minus 55 ProzentIm Vorfeld der Glasgow-Konferenz hat es Bewegung gegeben, immerhin. Der 12. Petersberger Klimadialog vereinte Anfang Mai Regierungschefs und Umweltminister aus über 40 Staaten. Für die deutsche Regierung eine willkommene Gelegenheit, um nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts präziser gefasste Klimaziele vorzustellen. Parallel dazu verkündete in Petersburg eine Delegation nach der anderen, allen voran die der US-Regierung, spätestens bis Mitte des Jahrhunderts über eine klimaneutrale Wirtschaft zu verfügen. Angela Merkel, vor Jahren noch als Klimakanzlerin bejubelt, stand schwer unter Druck. Viele internationale Partner erwarteten das Bekenntnis zu entschiedenem Handeln und sahen sich enttäuscht, wieder einmal, von Deutschland wurde mehr erwartet.Anfang August dann legte der Weltklimarat (IPCC) seinen sechsten Bericht zum Stand der Dinge (AR6) vor und insistierte, in 30 bis 40 Jahren müsse es mit vereinten Kräften zu schaffen sein, die Emissionen von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen so weit zu reduzieren, dass die im Pariser Abkommen vereinbarten Klimaziele erreicht werden. Kaum anzunehmen, dass irgendjemand das 4.000-Seiten-Konvolut, ein Dossier naturwissenschaftlicher Erkenntnisse über den Zustand des Weltklimas, gründlich gelesen hat. Aber der Druck ist da, an dieser Expertise kommt niemand mehr vorbei, zumal sich eine wachsende Zahl von NGOs und Klimabewegungen ihrer bedient.Die EU hat inzwischen ein eigenes Klimagesetz auf den Weg gebracht, die Kommission und das Parlament stimmten zu, der Europäische Rat nahm das ehrgeizige Projekt Ende Juni an. Damit sind Maßstäbe gesetzt für eine kontinentale Klimapolitik. Sie bestehen im Ziel, die Nettoemission von Treibhausgasen um mindestens 55 Prozent gegenüber der Periode 1990 – 2030 zu reduzieren, Klimaneutralität in der gesamten Union bis 2050 zu bewirken, danach permanent sinkende Emissionen zu haben. Bestandsaufnahmen 2030 und 2040 sind mit hinreichend quantifizierten Vorgaben vereinbart. Denen kann sich kein EU-Land entziehen.Noch eine gute Nachricht: Glasgow wird ohne die notorischen Quertreiber und Bremser aus dem Lager der Leugner und Verharmloser des Klimawandels stattfinden. Zahlreiche Industrieverbände sind auf die Linie der strikten Klimapolitik eingeschwenkt, in Deutschland fast ein Wunder nach 16 Jahren des ewigen Hinausschiebens im Merkel-Stil. Selbst wenn die deutsche Kanzlerin in Schottland noch dabei sein sollte, ihre traditionelle Rolle als Moderatorin eines Minimalkonsenses kann sie nicht mehr spielen. Boris Johnson wird den Vorsitz haben und sich in Szene setzen. Was vollmundige Versprechungen angeht, ist er unschlagbar. Im Übrigen sorgt die Agenda der COP 26 dafür, dass Merkels Navigieren auf Sicht als Ausdruck des politischen Nichthandelns in der jetzigen Lage kaum jemanden überzeugen dürfte.Für die deutsche Klimapolitik wird es in Glasgow ohnehin Kröten zu schlucken geben, denn wer nimmt die liebsten Tabus der Deutschen noch ernst? Weder das Tabu Atomenergie noch die Betulichkeit in Sachen Kohleausstieg noch die Befindlichkeiten in Sachen Wind- und Solarenergie. Wenn Chinesen, Amerikaner oder Franzosen es wollen, werden sie den Deutschen rasch zeigen, wie das geht mit dem Aufhalten des Klimawandels. Angesichts explodierender Öl-, Gas- und Kohlepreise braucht es wenig Überredungskunst, um eine Energiewende voranzutreiben. Wo die Deutschen einst Spitzenreiter waren, bei den Umwelttechnologien, sind längst andere am Zug. Und die werden nicht abwarten.Auf dem Glasgow-Gipfel ist eine riesige Agenda abzuarbeiten. Dabei kann es sich als Vorteil erweisen, dass nicht zuletzt durch die EU Klimaziele mittlerweile schärfer definiert und mit Zeitvorgaben versehen wurden. Die nötigen Technologien sind vorhanden oder im Entwicklungsstadium. Auf einen akademischen Streit um den richtigen Mix der Instrumente braucht sich in Glasgow niemand einzulassen. Alles, was wirkt, muss eingesetzt werden.Moderator UNEinen drohenden Klimakollaps kann nur globale Klimapolitik abwenden, an der alle beteiligt sind. Da die Welt so ungleich ist, wie sie ist, müssen einige Staaten und Regionen Vorreiter sein. Wenn die ärmsten Länder der Erde ihre Natur schützen sollen, um der Bevölkerung der reichsten Länder wenigstens einen Teil sich anbahnender Naturkatastrophen zu ersparen, muss ihnen dabei geholfen werden. Man sollte sie dafür entschädigen, dass sie ihre Wälder nicht abholzen, ihre Gewässer nicht verschmutzen, ihre Umwelt nicht (weiter) zerstören. Das wird einen Streit der Unnachgiebigen heraufbeschwören, wer soll die benötigten Summen aufbringen, wer zahlt die Klimazeche und übernimmt welchen Anteil? Kann man die größten Klimasünder, allen voran die USA, wirksam zur Kasse bitten? Lässt sich Brasilien dazu bewegen, die Regenwälder Amazoniens nicht fortwährend zu ruinieren? Kann die EU innerhalb Europas den nötigen Ausgleich anstoßen? Ohne die großen Nationen und Klimasünder – ohne China und Russland, ohne Indien und die USA – bleibt es aussichtslos. Die UN werden sich als Moderator weltweiter Kooperation beweisen müssen.