Draghis teuflisches Kalkül

Eurozone Die EZB kauft nun die Anleihen in Europa ansässiger Unternehmen auf. Ein gewagter Schritt?
Ausgabe 24/2016
Während des Lichtfestivals „Luminale“: Nicht nur die Geldpolitik der EZB ist gewagt
Während des Lichtfestivals „Luminale“: Nicht nur die Geldpolitik der EZB ist gewagt

Foto: Daniel Roland/AFP/Getty Images

Noch immer bleibt die von der EZB betriebene Politik der Null- und Negativzinsen den versprochenen Effekt schuldig: mehr Inflation und steigende Investitionen. Inzwischen grast die Bank die Märkte für europäische Unternehmensanleihen ab, die seither mit Neuemissionen überflutet werden. Großkonzerne (darunter die europäischen Töchter solcher Multis wie McDonald’s) haben in der Hoffnung auf EZB-Geld gleich mehrere neue Anleihen aufgelegt, zumal die EZB das Volumen ihrer Ankäufe bisher nicht begrenzen will. Zwischen fünf und zehn Milliarden Euro sollen es zunächst pro Monat sein. Nicht gerade viel bei einem geschätzten Gesamtvolumen des Marktes für Anleihen europäischer Unternehmen von 600 Milliarden Euro.

Besorgte Börsianer

Angenommen, die EZB bleibt bei den jetzigen Monatstranchen, dann könnte sie bis Anfang 2017 mehr als 100 Milliarden Euro in diesen Markt gepumpt haben. Eine stolze Summe, wenngleich wenig im Vergleich zu vorherigen Programmen. Wie die Bank erklärt, will sie sich auf Anleihen von Firmen beschränken, die im Euroraum ansässig sind und ein hinreichend hohes Rating aufweisen, sprich: von Ratingagenturen als seriöse Player beurteilt werden. Ansonsten gilt, Papiere von Banken werden ausgeschlossen, die Anleihen müssen in Euro aufgelegt sein, eine Rendite über dem EZB-Einlagenzins (von derzeit minus 0,4 Prozent) aufweisen und Laufzeiten von sechs Monaten bis zu 30 Jahren haben. Schließlich soll die EZB nicht mehr als 70 Prozent der Anleiheemission eines Unternehmens erwerben.

Doch ändert dieses Limit nichts am Effekt: Nachdem die EZB Staatsanleihen der Euroländer in der Größenordnung von deutlich über einer Billion Euro übernommen hat, zielt die jetzige Praxis auf eine Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken der Eurozone. Kaum überraschend sehen die Börsianer – vorrangig die Anleihehändler – diese Strategie mit gemischten Gefühlen. Sie fürchten, die EZB-Käufe könnten den Markt für Unternehmensanleihen austrocknen, wonach es ganz und gar nicht aussieht. Und ob die Geschäfte einiger Börsenhändler in Europa schlechter gehen als zuvor, dürfte Mario Draghis geringste Sorge sein.

Allerdings hat der EZB-Präsident bisher nicht erläutert, was und wohin er will. Durchgesickert ist nur, dass die Bank vor Wochenfrist Papiere des Krisenkonzerns VW mit Laufzeiten bis 2019 geordert hat, dazu Anleihen des französischen Telekommunikationsunternehmens Orange und des deutschen Autozulieferers Continental. Dass VW-Aktien ins EZB-Portefeuille geraten, erstaunt nicht weiter. Denn darum geht es ja gerade: die Zinsen für Unternehmensanleihen zu drücken, ihre Refinanzierung zu erleichtern und so Großunternehmen zu kräftigen Investitionen zu nötigen. Die brisante Frage lautet: Kann die EZB dies alles auch nur annähernd erreichen?

Mit ihrer bisherigen Zinspolitik hat sie die konjunkturelle Kehrtwende nicht geschafft, aber immerhin mit dem Kauf von Staatsanleihen die Nerven der Großanleger beruhigt. Um die private Finanzierung von Investitionen beeinflussen zu können, müsste die EZB auch auf Bankanleihen zugreifen, was sie wohlweislich nicht tut.

Verschreckte Sparer

In Deutschland haben beunruhigte Wirtschaftsprofessoren prompt Klage gegen die jüngste EZB-Aktion beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Neben der Angst vor Preisverzerrungen auf den Anleihemärkten treibt sie die Sorge um, was Draghi den braven deutschen Sparern noch alles zumuten will. Zwar nimmt die legendäre Sparwut der Deutschen inzwischen deutlich ab, doch ist die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen, dass die EZB die Zinsen für sichere Geldanlagen wie Unternehmensanleihen mit langer Laufzeit weiter absenken wird. Im Extremfall könnte sie den Anleihemarkt leerkaufen, so dass Privatanleger das Nachsehen hätten. Ihnen bliebe wie Versicherungen und Pensionsfonds nichts anderes übrig, als auf riskantere Finanzanlagen auszuweichen. Fürwahr ein teuflischer Plan der EZB, deutsche Sparer als Aktienbesitzer einzuspannen.

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