Es hat sich ausgedreht

EU Mit der Senkung des Leitzinses reagiert die EZB auf die verfehlte deutsche Austeritätspolitik. Doch allein damit werden die Euroländer der Deflation schwerlich entkommen
Ausgabe 37/2014
Mario Draghi
Mario Draghi

Foto: Daniel Roland/ AFP/ Getty Images

Präsident Mario Draghi und der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) haben unerwartet laut gepfiffen. Aber ihr schriller Flötenton wurde auf dem letzten Loch gespielt. Mit der Senkung des Leitzinses von 0,15 auf 0,05 Prozent gibt es keine Trennlinie mehr, um die Eurozone von einer offiziellen Nullzinspolitik und „japanischen Verhältnissen“ zu trennen. Die EZB hat das Instrumentarium ihrer Zinspolitik ausgereizt. Negative Zinsen für bei dieser Bank geparkte Einlagen privater Geldinstitute gibt es schon – da geht nicht viel mehr. An der Zinsschraube hat es sich ausgedreht.

So bleibt Europas Leitbank keine andere Wahl, als zum Aufkauf von Kreditpapieren überzugehen, um überhaupt noch etwas in Bewegung zu bringen. Angekündigt sind zunächst Aufkäufe von Pfandbriefen und sogenannten ABS – das heißt besicherten gebündelten Kreditpapieren privater Geldhäuser –, um denen die Risiken solcher Kredite wieder abzunehmen. Von einem Volumen, das bei 800 Milliarden Euro liegen soll, ist die Rede. Doch wird sich der europäische Markt für ABS als zu klein erweisen, sodass es nur eine Frage der Zeit sein wird, bis der Ankauf von Schuldentiteln der Euroländer folgt. Das wird kommen – und damit die Vergemeinschaftung öffentlicher Schulden in der Währungsunion. Freilich geschieht das durch die Hintertür, in einer höchst unsicheren Form und mehr als vier Jahre zu spät. Vier verlorene Jahre und eine völlig überflüssige Euro-Krise zu spät – dank Angela Merkel und ihrer von Anfang an verfehlten Krisenpolitik.

Doch allein damit werden die Euroländer Depression und Deflation schwerlich entkommen. Draghi und mit ihm viele Zentralbanker sind inzwischen durch den immensen Schaden klug geworden, den eine verfehlte deutsche Austeritätspolitik in Europa angerichtet hat. Sie versuchen, mit expansiver Geldpolitik gegenzusteuern, aber die passt nun einmal nicht zum inzwischen fast überall durchgesetzten Dogma des Sparens und Schuldenabbaus. Um zusammenzubringen, was zusammengehört – eine expansive Geld- und eine nicht minder expansive Fiskalpolitik, einen Zuwachs von öffentlichen und privaten Investitionen, die auch der Bundesrepublik (mit ihrer maroden Infrastruktur) gut täten –, müssten die Bastionen der Austerianer in Europa fallen. Die in Berlin zuerst.

Nur gibt es leider in Deutschland keine Politiker, die den Mut haben, dem Wahlvolk zu sagen, dass die von einer breiten Mehrheit goutierte ökonomische Weltsicht realitätsblinder Unsinn ist. Die SPD-Granden trauen sich nicht, zur Agenda-Politik auf Abstand zu gehen. Und die Linkspartei gefällt sich überwiegend in der gleichen Nonsens-Rhetorik über böse Banker und arme Steuerzahler wie das übrige Personal.

In Deutschland rauscht der allbekannte Refrain durch die Gegend: Reformen, Reformen, den Arbeitsmarkt liberalisieren, den Sozialstaat schrumpfen und sparen, was das Zeug hält. Die Franzosen mussten endgültig auf diesen heillosen Kurs einschwenken und werden von einem Staatschef regiert, der so gut wie jede Reputation verloren hat. Im Augenblick ist der EZB-Präsident der Einzige, der etwas für die „Wettbewerbsfähigkeit“ der Euro-Wirtschaften tut, indem er den Eurokurs in den Keller knüppelt. Das mag für Wochen reichen, eine Perspektive eröffnet es nicht.

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