Nach der Annexion der Krim 2014 warf man Russland aus dem Club der Mächtigen, die G8 schrumpften zu G7. Im Vorfeld des G20-Treffens in Indonesien verlangten einige Staaten, Russland auch aus diesem Format zu entfernen. Mit einem Aggressor könne man nicht an einem Tisch sitzen. Konsens darüber gab es nicht, Russland blieb dabei, auch wenn Wladimir Putin nicht anreiste, sondern Außenminister Sergej Lawrow den Auftritt überließ. Doch stand dies zunächst ganz im Schatten einer ersten persönlichen Begegnung zwischen Joe Biden und Xi Jinping kurz vor Gipfelbeginn. Beide konnten sich gestärkt fühlen – Xi durch den XX. KP-Parteitag im Oktober, Biden durch die Kongresswahlen vor einer Woche. Sie schienen bemüht, die zuletzt beträchtl
htlichen Spannungen zwischen ihren Ländern nicht ausufern zu lassen.An einem forcierten Wirtschaftskrieg können beide Seiten so wenig interessiert sein wie an einer Eskalation im Ukraine-Krieg. Dass sich beide darin einig sind, verdient den Vermerk „gute Nachricht“. Obwohl Xi Russlands Vorgehen gegen die Ukraine nach wie vor nicht öffentlich infrage stellt, ist Unbehagen darüber durchaus erkennbar. Als Kanzler Olaf Scholz vor gut zwei Wochen seinen Antrittsbesuch in Peking absolvierte, wurde Chinas Staatschef deutlich: Sein Land lehne die Drohung mit und den Einsatz von nuklearen Waffen ab. Xi soll das im Gespräch mit Biden nochmals bekräftigt haben. Diese Position gilt selbstverständlich auch für Nordkorea, Chinas eigenwilligen Partner. Biden dringt darauf, dass Peking bei Staatschef Kim Jong-un vermittelt, blendet aber aus, dass die von seinem Vorgänger Donald Trump versprochenen Sicherheitsgarantien für Pjöngjang nach wie vor ausstehen.Beide Präsidenten beschworen beim Thema Taiwan die „Ein-China-Politik“, die sie allerdings entgegengesetzt auslegen, im Moment aber den Status quo respektieren. Wenn die Machtverhältnisse in Taipeh sich ändern, wäre eine friedliche Wiedervereinigung durchaus denkbar. Dagegen können die Amerikaner kaum etwas einwenden. Derzeit aber brauchen beide Seiten Taiwan weniger als Konfliktherd denn als Weltmarktführer in der Halbleiterindustrie.Agenda des GastgebersDass China und die USA seit Langem nicht mehr ernsthaft miteinander verhandelt haben, lähmt die Klimapolitik, die nur global erfolgreich sein kann. Weil die Weltmächte, auf die es ankommt, sich anschweigen, kommt die Klimakonferenz COP27 nicht voran. Dabei ist ihr Beitrag unverzichtbar für eine klimapolitische Wende in letzter Sekunde. Kurioserweise betreiben Chinesen und Amerikaner im eigenen Land vielfach eine vorbildliche Klimapolitik. Gerade China ist – anders als in Deutschland oft verbreitet – ein Vorreiter bei der Energie- und Verkehrswende, von dem man lernen könnte, wenn man wollte. Die G20-Länder sind für gut 80 Prozent der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich. Wer, wenn nicht sie, könnte die unerlässliche Kehrtwende in der Klimapolitik zustande bringen? Anders als die G7 kennen die G20 weder die regelmäßige Konsultation noch Kooperation auf Ministerebene, sondern dienen als Bühne für symbolische Weltpolitik, hinter deren Kulissen die Diplomatie zum Zug kommt, sei es bei informellen Treffen oder Runden Tischen. Für die nötige Regie sorgte als Gastgeber diesmal Indonesien. So hatte Präsident Joko Widodo eine Agenda vorgelegt, mit der es um die Reform des weltweiten Gesundheitswesens nach der Pandemie gehen sollte, die Digitalisierung und um erneuerbare Energien – um deren ökonomische Voraussetzungen.Recovery – Erholung nach den jüngsten Schocks –, so das Gipfelmotto, ist richtig und aller Ehren sowie Mühen wert. Jedenfalls war Indonesien für Deutschland und die EU ein wichtiger Gesprächspartner. Das bevölkerungsreichste Land Südostasiens, die einzige halbwegs resistente Demokratie in der Region, ein Land, das in Zusammenschlüssen wie ASEAN und APEC durchaus Gewicht hat, sollte ernst genommen werden. Auch als Brückenbauer zwischen Europa und Asien. Gern hätte Indonesien auf dem Gipfel den Vermittler im Ukraine-Krieg gespielt, doch das blieb Joko Widodo verwehrt. Wenn die G20 mehr als Polittheater bieten wollten, hätten sie in dieser Hinsicht zu handfesten Entscheidungen kommen müssen. China, die USA und EU wären dazu in der Lage, das Sterben in der Ukraine zu beenden, würden sie an einem Strang ziehen. Nur das tun sie nicht.