Die Geschichte werden einige kennen: Ein aufstrebender Autor will ein Stück schreiben über einen aufstrebenden Helden der Finanzwelt. Der Schreiber will verstehen, was sein Held so treibt. Doch kann ihm niemand erklären, was da an den Börsen vor sich geht. Die Getreidebörse von Chicago erweist sich als unbegreiflicher, jeder Vernunft barer „Getreidesumpf“, den die Akteure selbst nicht durchblicken. Das Stück wird nie geschrieben. Der Autor, Bertolt Brecht, beginnt stattdessen, Marx zu studieren. Dann erst habe er seine eigenen Stücke verstanden, heißt es. Das Ganze spielt 1928, im Jahr darauf beginnt die Große Depression.
Börsengeschäfte können den Tod bringen. Denn an den Warenbörsen der Welt wird auch mit Nahrungsmitteln gehandelt und der Nahrungsmittelpreis für Milliarden Menschen bestimmt.
In unseren Breiten bedeutet Armut nicht gleich den Hungertod. Für über eine Milliarde Menschen aber ist Unterernährung real. Ebenso real wie die gigantischen Mengen an Nahrungsmitteln, die pro Jahr erzeugt werden und ausreichen, mehr als die heutige Weltbevölkerung zu ernähren. Dennoch gerät die Welt von einer Lebensmittelkrise in die nächste.
Derzeit ist es wieder so weit. Vor wenigen Tagen protstierten in der mosambikanischen Hauptstadt Maputo Tausende gegen die gestiegenen Brot- und Energiepreise. Die Polizei schoss scharf, es gab mindestens zehn Tote. Bereits 2007 und 2008 stiegen die Preise vieler Nahrungsmittel dramatisch. Sie verdoppelten oder verdreifachten sich für Weizen, Reis und Mais und erreichten teils die höchsten Werte seit 30 Jahren. Der Reispreis zum Beispiel stieg um fast 180 Prozent in weniger als zwei Jahren. Alles starrte auf die Finanz- und Bankenkrise, während sich im Hintergrund eine Lebensmittelkrise von enormer Härte anbahnte. Mindestens 120 Millionen Menschen stürzten unter die Armutsschwelle. In etlichen Ländern des globalen Südens, die dank der Globalisierung keine Nahrungsmittel mehr exportieren, sondern sie importieren müssen, brachen Hungerrevolten aus – es kam zu Unruhen in mehr als 30 Staaten.
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Während momentan in Deutschland ein Konjunkturschub beschworen wird, schießen weltweit die Preise für Kaffee, Kakao, Zucker und Milchprodukte in die Höhe. Gleiches gilt an den Warenterminbörsen für Getreide, Soja und Reis. Die wichtigsten Handelsplätze befinden sich in New York (NYMEX /COMEX) und in Chicago mit dem schon 1848 gegründeten Board of Trade (CBOT) sowie dem 1898 entstandenen Chicago Mercantile Exchange (CME). In Europa werden Nahrungsmittel und Rohstoffe an Warenterminbörsen in London, Paris (Matif), Amsterdam und Frankfurt/Main (Eurex) gehandelt, auch in Mannheim, seit 1998 sogar in Hannover. Überall dort werden Agrarprodukte nicht in natura, sondern in standardisierten Einheiten gehandelt. Die Kauf- und Verkaufskontrakte beziehen sich auf einen bestimmten Termin in der Zukunft und heißen „Futures“. So kann man beispielsweise mit Getreide handeln, bevor es ausgesät ist – ein spekulatives Geschäft mit den Erträgen und Agrarpreisen der kommenden Monate.
Brotpreis in Russland
Ende 2007 flüchteten auch die Schwergewichte unter den Finanzmarktakteuren (voran die Hedgefonds) vor der Finanzkrise und wertlosen Giftpapieren, um in die Spekulation mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen einzusteigen. Die Warenterminbörsen wurden jäh überrannt, die Folge war eine Explosion der Rohstoff- und Ölpreise. Unweigerlich stiegen auch die Preise jener Nahrungsmittel, die an den normalen Warenbörsen gehandelt werden. Fonds wie Banken verdienten sich ein paar goldene Nasen mehr, trotz Krise. In Deutschland warb die Deutsche Bank bei Anlegern mit glänzenden Gewinnaussichten dank steigender Agrarpreise.
Die Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hat nun gerade angekündigt, sich auf dem Agrargipfel im Januar 2011 in Berlin und auch auf dem G-20-Gipfel im Juni 2011 gegen missbräuchliche Spekulationen auf Agrarmärkten einsetzen zu wollen. Doch verriet Aigner auch sofort, dass sie bislang weder Vorschläge noch Konzepte habe. Das Thema sei „sehr komplex“. Man möchte ergänzen: und die Lage für die Bundesregierung eher entspannt.
Denn im September 2010 hat sich die Panik vor drohenden Staatsbankrotten in Griechenland, Spanien oder Portugal wieder gelegt, so dass die Preise der Staatspapiere wie auch die Zinsen sinken. Eben deshalb aber sind die Spekulanten nach ihren Fischzügen bei den hoch verschuldeten Staaten wieder an die Warenterminbörsen zurückgekehrt, um sich an Rohstoffe und Nahrungsmittel zu halten. Chinesen oder Brasilianer erleben kleine Wirtschaftswunder. Reichliches und gutes Essen gilt als wichtiges Statussymbol in diesen Ländern, wichtiger noch als das Auto. Noch ein Grund mehr für lukrative Anlagemöglichkeiten, die satte und vor allem schnell Gewinne einbringen – Agrofutures erfüllen diesen Zweck.
Jubel der Spekulanten
2007 und 2008 gab es schlechte Getreideernten in Australien, einem der größten Weizenexporteure der Welt. 2010 gibt es Dürrekatastrophen in Russland. Die Ernteausfälle treiben den dortigen Brotpreis um mehr als 20 Prozent hoch. Wenn die Regierung in Moskau die Nahrungsmittelexporte einschränkt – gerade hat Ministerpräsident Wladimir Putin das Exportverbot für Weizen sogar verlängert – , sorgt das für Jubel bei den Spekulanten. Zwar werden nicht alle Nahrungsmittel an den Warenterminbörsen gehandelt, aber jene für die Ernährung der Weltbevölkerung wichtigsten wie Weizen, Reis, Soja und Mais auf jeden Fall.
Die US-Aufsichtsbehörde Commodity Futures Trade Commission (CFTC), die ihren Blick auf die Warenterminbörsen in den USA richtet, hat mehrfach konstatiert, dass die Preisbestimmung bei den Agrofutures mit Angebot und Nachfrage, mit Ernteaussichten und Absatz nichts mehr zu tun hat. Die Manie der Märkte lässt die Preise extrem schwanken. Obwohl die Nahrungsmittelproduktion kaum steigt oder stagniert, explodiert die Zahl der Agrofutures. Wurden vor ein paar Jahren noch rund 30.000 Weizenfutures pro Tag in Chicago gehandelt, sind es heute mehr als 250.000.
Natürlich spekulieren dabei die großen Geldherren wie die Deutsche Bank oder die BN Paribas nicht selbst, sondern lassen spekulieren – durch dafür geschaffene Spezialfonds, die auf ganze Bündel von Agrarprodukten spekulieren. Deren Zahl hat sich in den vergangenen zwei Jahren rasant erhöht. Je mehr Spekulanten an den Warenbörsen unterwegs sind, desto heftiger die Wirkung der Spekulation auf die Nahrungsmittelpreise. Nur zwei Prozent der gehandelten Agrofutures führen zu einer wirklichen Transaktion im Warenhandel – sprich: zur tatsächlichen Lieferung der Ware im Austausch gegen das Wertpapier zum Verfallstermin. Der ganze große Rest ist reine Spekulation – auf steigende oder fallende Preise – und dient allein der Bereicherung.
Veitstanz der Börsen
Der Lebensmittelpreisindex der Welternährungsorganisation (FAO) wird für einen Warenkorb mit den wichtigsten Nahrungsmitteln der Erde berechnet, von denen nicht alle an den Börsen gehandelt werden, was den Preisauftrieb zwar dämpft, aber nicht aufhält. So stiegen von 2007 zu 2008 die Lebensmittelkosten in den ärmsten Ländern zwischen 30 und 37 Prozent, dann 2008 nochmals zwischen 37 und 40 Prozent. Es folgte eine Erholung im Sommer 2009, aber seit Dezember 2009 weist der Trend des FAO-Index wieder nach oben.
FAO-Experten konstatieren deshalb den Ausbruch der nächsten Hungerkrise, die sich kaum aufhalten lässt. Denn die fast risikolose Spekulation an den Warenterminbörsen ist ein Milliardengeschäft, für das man noch weniger Eigenkapital braucht als im Aktienhandel. Das Geschäft korrumpiert die Produzenten nachhaltig, denn weltweit versuchen die Bauern, dem Veitstanz der Börsen zu folgen, um ein wenig mitzuverdienen. Schlechte Nachrichten also für die Ärmsten dieser Welt – sie zahlen die Zeche für die Rallye an den Warenbörsen. Mit millionenfachem Hunger, mit zehntausendfachem Tod.
Michael Krätke ist Professor für Ökonomie und Steuerrecht an der Universität Lancaster. Er schreibt seit 2004 regelmäßig für den Freitag
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