Eine Woche vor dem Parteitag der Tories Anfang Oktober trafen sich Labour-Delegierte in Liverpool. Es ging um die Klimakrise, um „ein gerechteres und grüneres Großbritannien“, so der Slogan. Parteichef Keir Starmer stellte dazu Labours „Green Prosperity“-Plan vor. Danach soll das Land bis 2030 zu hundert Prozent saubere Energie produzieren und eine neue Industriepolitik die Briten wieder zu einer der technologisch führenden Industrienationen machen – mit den Wasserstofftechnologien als Speerspitze. All das war schon 2018/19 in der vom damaligen Vorsitzenden Jeremy Corbyn präsentierten Programmatik vermerkt und offenbar auf der Höhe der Zeit.
Jedenfalls ist Labour derzeit von sich selbst begeistert wie schon lange nicht mehr. Daraus zu folgern, die Partei sei im Aufwind, mutet an wie eine typisch britische Untertreibung. Man führt in allen Umfragen mit weitem Abstand. Ende September gab es 54 Prozent Zustimmung, während die Tories bei 21 Prozent lagen. Der Abstand ist größer als zu Tony Blairs Glanzzeiten, vergleichbar stark war die Partei zuletzt 2001. Manche träumen schon vom „großen Sprung zurück“, nachdem es im Dezember 2019 das schlechteste Wahlergebnis seit Jahrzehnten gegeben hatte.
Täglich wachsen Frust und Empörung über die konservative Regierung. Liz Truss und ihr Finanzminister haben es in wenigen Wochen geschafft, das ganze Land, inklusive ihrer eigenen Partei, gegen sich aufzubringen. Also braucht Labour nur abzuwarten und sich auf die Schwäche des Gegners zu verlassen? Fest steht, Truss wird Labour so schnell nicht den Gefallen tun und vorzeitige Neuwahlen ausrufen, wie das laut Stimmungsbild fast zwei Drittel der Briten wünschen. Kein Wunder, das Land steht unter dem Eindruck der schwersten Wirtschaftskrise seit Langem. Die Inflation setzt Löhnen, Gehältern und Sozialtransfers zu. Enteignungen und Zwangsräumungen deuten auf eine exemplarische Verarmung bis in die Mittelschichten hinein und versetzen die Menschen in Alarmstimmung. Weder löst sich Corona in Luft auf, noch sind die Brexit-Folgen bewältigt. Wer jetzt an die Regierung will oder 2024, wenn turnusgemäß die nächsten Wahlen anstehen, braucht überzeugende Konzepte und starke Nerven. Den starken Staat zu beschwören, wie Labour das mit Vorliebe tut, reicht nicht. Davon abgesehen brauchte man im Unterhaus ein Plus von 80 Sitzen, denn nur mit einer Mehrheitsregierung lässt sich das von den Tories angerichtete ökonomische Desaster beheben. Ohne einen historischen Wahlsieg, wie es ihn im Juni 2001 mit Tony Blair gab, als Labour auf über 400 Mandate kam, wird das nicht klappen.
Keine Rampensau
Unter dem Vorsitz von Keir Starmer fehlt es der Partei zu lange schon an Zugkraft. Im Moment kann man vom Chaos bei den Tories profitieren, doch ersetzt die Schwäche des Gegners kaum die nötige eigene Stärke. Starmer ist weder Entertainer noch Rampensau wie Boris Johnson, zudem kein mitreißender Redner oder Ideengeber. Immerhin, er hat seinen Drei-Stufen-Plan abgearbeitet. So sollte die Partei nach dem Streit um Jeremy Corbyn wieder zusammenfinden, was halbwegs und dank einer harschen Reglementierung der Parteilinken gelungen ist. Dann wollte er die Tories „stellen“ – da half ihm Boris Johnson nach Kräften. Drittens sollte Labour Kompetenz nachweisen, um sich für Regierungsverantwortung zu empfehlen. Da hilft momentan Liz Truss weit mehr, als sich Starmer das wohl je erträumt hat. Freilich unterlief ihm ein gravierender Fehler. Mit der Parole „Make Brexit Work“ wollte er den langen Streit um den EU-Ausstieg beenden, der auch Labour zerrissen hat. Nur kam das anders an als gewollt, die Öffentlichkeit nahm den Slogan als Angebot zur informellen großen Koalition.
Labour hat nun einmal wie die meisten sozialdemokratischen Parteien in Europa einen fatalen Hang zur Verantwortung. Die Auffassung herrscht vor, in der Stunde der Not dürfe man eine Regierung nicht sich selbst überlassen, auch wenn Johnson und Truss an einer toxischen Mischung der Krisen im Land und dem entstandenen Chaos schuld sind. Ein defensiver Ansatz, den aufzugeben nur heißen kann: kompromisslos opponieren, Ross und Reiter nennen, die Regierenden zur Verantwortung ziehen. So links sollte man schon sein.
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