Schon im April haben sich die EU-Außenminister auf eine neue Strategie für den Indopazifik geeinigt, jetzt legt die Kommission mit einem detaillierten Strategiepapier nach und will sich in Fernost als weltpolitischer Player in Szene setzen. Es geht um das Verhältnis zur weiter aufsteigenden Weltmacht China. Auch wenn man in Brüssel gewohnt zurückhaltend formuliert und den Eindruck vermeidet, die EU lasse sich von den USA zu einer härteren Gangart drängen, bleibt die Frage: Wie will man es künftig mit den Chinesen halten?
Wirtschaftlich ist die Europäische Union im indopazifischen Raum omnipräsent und höchst einflussreich, als Investor, als Handelspartner, als Kreditgeber in der Entwicklungszusammenarbeit. Für China wiederum ist die EU der mit Abstand wichtigste Handelspartner. Auch wenn man auf beiden Seiten mittlerweile darauf setzt, gegenseitige Abhängigkeiten zu reduzieren. Spätestens seit der Corona-Krise ist für Europa unstrittig, dass man auf Einfuhren aus China und asiatischen Billiglohnländern nicht allzu sehr angewiesen sein sollte. Das gilt vor allem für Halbleiter, bei denen Taiwan als Alternative gilt, ebenso bei Medikamenten, Impfstoffen und medizinischem Equipment. China will seine Exportabhängigkeit ebenfalls verringern und drängt in alle Hightech-Sektoren des Weltmarktes.
Amerikas Kalter Krieg
Kooperation statt Konfrontation, so heißt es im üblichen EU-Duktus. Offene Kritik an der Politik des Eindämmens und Zurückdrängens, wie sie die USA seit Donald Trump und nun kaum anders mit Joe Biden im Stil eines Kalten Krieges betreiben, gibt es nicht. Vage wird vor Aufrüstung und „zunehmender Spannung in der Region“ gewarnt. Andererseits will die EU auch militärisch mitmischen, durch „verstärkte Marineeinsätze“ etwa, um in den Gewässern des Südchinesischen Meeres Flagge zu zeigen. Nur wozu? Und wen soll das beeindrucken? China will – nicht anders als die EU – Seerouten schützen und die Freiheit der internationalen Schifffahrt garantieren.
Fest steht: Das seit Ende 2020 ausgehandelte Investitionsschutzabkommen mit China wird die EU vorläufig nicht ratifizieren, obwohl es für Unternehmen beider Seiten gesicherte Marktzugänge verspricht, dazu angeglichene Wettbewerbsbedingungen. Stattdessen setzt Brüssel auf den Ausbau von Wirtschaftsbeziehungen mit anderen Ländern in der Region und hat zuletzt Handelsverträge mit Japan, Singapur und Vietnam geschlossen. Nun geht es um weitere Kooperationsabkommen mit Malaysia und Thailand, zugleich um Übereinkünfte zum Freihandel mit Australien, Indonesien und Neuseeland. Das wird im Strategiepapier als Alternative zum restriktiven Kurs der USA vorgestellt und mit dem Label „Internationale Handelsdiplomatie“ versehen, auch weil die aufgezählten Abkommen über den Warenverkehr hinausgehen sollen.
So richtig es für die Weltwirtschaftsmacht EU ist, auf mehr und intensivere Handelskontakte zu setzen, übermäßig beeindrucken kann sie damit weder China noch die USA. Peking hat bereits seit Jahren – parallel zur Agenda einer „Neuen Seidenstraße“ – auf verstärkte Kooperation mit den Nachbarländern bis hin zu den pazifischen Inselstaaten gesetzt. Von dieser Klientel wird sich bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber der EU niemand dazu bewegen lassen, Front gegen China zu machen. Japan, immer noch eine der größten Industrie- und Handelsnationen weltweit, wird sich wegen des Economic Partnership Agreement (JEFTA) mit der EU nicht vorrangig auf die europäischen Märkte einlassen. Für seine Maschinenbaubranche bleibt China der bei weitem wichtigste Absatzmarkt. Und für die japanischen Autobauer spielt die Musik mindestens ebenso laut in China wie in Europa und den USA.
Keine Frage, für die EU stellt sich eine eigene China-Politik als lebenswichtig dar. Dass danach auf Drängen der deutschen, französischen und niederländischen Regierung hin gesucht wird, ist bemerkenswert – dass sie von überflüssiger militärischer Symbolik flankiert wird, bedauerlich. Warum lässt sich die EU-Zentrale dazu verleiten, bei ihrer China-Politik im Zeichen westlicher Werte aufs hohe Ross zu steigen? Eine Konzession an die Amerikaner? Dabei wird doch stets und zu Recht betont, wie unverzichtbar ein Schulterschluss in der Klimapolitik ist. Zumal die oft zu Unrecht gescholtenen Chinesen auf diesem Feld in vielerlei Hinsicht Vorreiter sind, trotz ihrer Kohlekraftwerke.
China hat inzwischen auf die Gründung der neuen Militärallianz AUKUS (Australia/United Kingdom/United States) reagiert. Und das auf eine Weise, die dem Plan der EU-Kommission ähnelt. Statt mit dem Säbel zu rasseln, soll die ökonomische Integration im indopazifischen Raum beschleunigt werden. Vor einer Woche hat die Volksrepublik formell den Antrag gestellt, als zwölftes Mitglied dem transpazifischen Handelsvertrag CPTPP beitreten zu können, aus dem die USA 2017 ausgestiegen sind. Dieses Begehren dürfte wohlwollend behandelt werden. Immerhin hat Peking im November 2020 seinen bislang größten handelspolitischen Erfolg feiern können, als das asiatisch-pazifische Abkommen RCEP geschlossen wurde, an dem neben China 14 pazifische Anrainerstaaten beteiligt sind. Was die EU im indopazifischen Raum will und zum Teil schon erreicht hat, das kann China schon lange. Das heißt, Brüssel wird auf Jahre hinaus nichts anderes übrig bleiben, als unverrückbaren handelspolitischen Realitäten Rechnung zu tragen.
Australiens Dilemma
Das Beispiel Australien dürfte rasch für Ernüchterung bei allen Freunden von Anti-China-Koalitionen sorgen. Als weltgrößter Exporteur von Kohle ist dieses Land stärker von China abhängig als die USA oder Großbritannien. Für Australiens Kohlebergbau wird es ungemütlich, wenn die chinesischen Abnehmer ihre Anstrengungen forcieren, bei der Energiegewinnung so rasch wie möglich aus der Kohle auszusteigen. Auch hat Präsident Xi soeben vor der UN-Vollversammlung versichert, sein Land wolle keine Kohlekraftwerke mehr im Ausland bauen. Bisher profitierte Australien überdies von zehntausenden Studenten aus China, doch können es dessen Spitzenuniversitäten mittlerweile mit der Konkurrenz weltweit aufnehmen und sind dabei, in Europa Fuß zu fassen.
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