In Bereitschaft: Japan stellt sich auf einen militärischen Konflikt um Taiwan ein

Aufrüstung Eine pazifistische Verfassung war gestern: Tokio rüstet massiv auf, um dabei zu sein, wenn sich die Reihen gegen China schließen. Mit der neuen Sicherheitsdoktrin, die Auslandseinsätze wieder erlaubt, exponiert sich Japan neben den USA
Ausgabe 15/2023
Probt den Ernstfall: Japans Verteidigungskräfte
Probt den Ernstfall: Japans Verteidigungskräfte

Foto: Tomohiro Ohsumi/Pool/AFP via Getty Images

Kaum irgendwo sonst auf der Welt war der Pazifismus nach 1945 so tief verwurzelt wie in Japan. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der amerikanischen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki fand sich in Artikel 9 einer neuen Verfassung der Verzicht auf Krieg als Mittel der Politik und auf eigene Streitkräfte festgeschrieben. Offiziell hat Japan bis heute keine Armee, sondern „Selbstverteidigungsstreitkräfte“. Trotz etlicher Versuche, jenen Artikel zu streichen, ist er noch immer vorhanden, wird aber in seiner Auslegung von geopolitischen Ambitionen beeinflusst.

Premier Fumio Kishida gewährt der Ukraine zwar finanzielle und humanitäre Hilfe, liefert aber bisher keine Waffen. Der Transportweg gilt wegen seiner Länge als eher unsicher. Dafür jedoch werden die Kräfte der Selbstverteidigung in einem rasanten Tempo hochgerüstet. Nur das Beste ist dafür gut genug, eingekauft wird mit Vorliebe in den USA, auch wenn die eigene Rüstungsindustrie Fahrt aufnimmt. Im Dezember 2022 wurde eine neue nationale Sicherheitsstrategie vorgestellt, inklusive eines auf 43 Billionen Yen (etwa 330 Milliarden Dollar) aufgestockten Verteidigungsbudgets. Das soll ein eigenes, weitreichendes Raketensystem aufbauen helfen, allerdings ohne Kernsprengköpfe – Atomwaffen sind nach wie vor tabu.

Kishida will eine robuste Sicherheitspolitik fortführen, wie sie Vorgänger Shinzo Abe eingeleitet hat. Unter diesem Regierungschef begann nicht nur das Hochfahren des Verteidigungsetats, er legte bereits 2013 ein Sicherheitskonzept vor, das im Jahr darauf zu einer neuen Militärdoktrin führte. Danach durfte sich Japan wieder an Verteidigungskriegen seiner Verbündeten beteiligen und Soldaten ins Ausland schicken. Abe war das einen Nationalen Sicherheitsrat samt einem Sekretär mit Kabinettsrang und ein neues militärisches Beschaffungsamt wert. Das kauft seither Munition und Waffensysteme in atemberaubendem Tempo ein: F-35-Jets, Tomahawk-Marschflugkörper, Kampfpanzer und gepanzerte Fahrzeuge neuester Bauart, dazu Raketenwerfer, U-Boote und Kreuzer.

Bislang war vereinbart, dass Waffensysteme, die Japan in den USA erworben hat, weiterhin unter amerikanischer Kontrolle stehen und nur mit Zustimmung des Pentagons eingesetzt werden können. Davon hat sich Tokio inzwischen emanzipiert, und das mit wohlwollender Akzeptanz der USA. Zusammen mit Großbritannien und Italien soll ein neuer Kampfjet entwickelt werden. Und das ist erst der Anfang.

China steht im Zentrum der japanischen Sicherheitspolitik

Japans neue Verteidigungspolitik richtet sich vorrangig gegen Nordkorea und China. Während Pjöngjang mit Raketentests direkt vor den Küsten Japans auffällt, sind Konfrontationen mit chinesischen Kriegsschiffen oder Flugzeugen bisher ausgeblieben. Um die sollte sich – nach der bisher geltenden Doktrin – die US-Marine kümmern. Zwischenzeitlich sind die Rollen anders verteilt. Sollte es tatsächlich zum Krieg um Taiwan kommen, sollen japanische Streitkräfte, so die Lesart in Tokio, in der Lage sein, einzugreifen und US-Kontingente zu unterstützen.

Als dritter möglicher Gegner wird Russland eingestuft, mit dem im Ochotskischen Meer und im nördlichen Pazifik ein seit Jahrzehnten schwelender Konflikt besteht. Japan betrachtet die südlichen Kurilen-Inseln, die – unterstützt von der US-Armee – in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs von der Sowjetunion eingenommen wurden, als sein Territorium. Anfang 1946 hatte der Oberste Sowjet in Moskau diesen Teil des Kurilen-Archipels zum eigenen Hoheitsgebiet erklärt. Da es nie zu einem Friedensvertrag zwischen den beiden Staaten kam, befinden sie sich formell noch immer im Krieg. Das historische Gedächtnis bewahrt den Russisch-Japanischen Krieg von 1904/05, den Japan gewann, was 1905 eine erste Revolution gegen den Zarismus begünstigte.

Vorläufig allerdings steht China im Zentrum der neuen japanischen Sicherheitsdoktrin. Die Volksrepublik wird als strategische Herausforderung wahrgenommen. Gemessen an anderen G7-Staaten befindet sich Japan in einer exponierten Lage, wenn man denn die Möglichkeit eines Krieges um Taiwan für realistisch hält. Die Regierung in Tokio tut das, sie hat jüngst erklärt, im Kriegsfall unbegrenzt Flüchtlinge aus „dem Kriegsgebiet“ aufnehmen zu wollen. Damit war offenkundig Taiwan gemeint.

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