Es ist eine historische Wende, ein gigantischer Sprung über den eigenen Schatten. Kaum jemand hätte Angela Merkel so viel Mut noch zugetraut – nach über drei Jahren fortdauernden Abblockens und Aussitzens aller Reformvorschläge, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron immer wieder vorgetragen hat. Der Reformwille der Franzosen scheiterte zuverlässig an der Sturheit der eisernen Kanzlerin, das deutsch-französische Tandem schien endgültig zerbrochen.
Nun also, im Angesicht der größten Krise, die Europa und die Welt seit Generationen erlebt haben, die große Kehrtwende. Der deutsch-französische Plan für einen europäischen „Wiederaufbaufonds“ in Höhe von 500 Milliarden Euro markiert einen möglichen Neustart des europäischen Projekts, nach Jahren der Stagnation. Die deutsch-französische Initiative setzt ein Signal gegen die Kleinstaaterei, gegen die Fluchtreflexe zurück hinter die Grenzen des eigenen Zwergstaats, die unverzüglich griffen, sobald die Pandemie sich bemerkbar machte. Viren kümmern sich nicht um nationale Grenzen, genauso wenig wie CO2-Emissionen. Statt dem Trugbild einer längst illusorischen „nationalen Souveränität“ nachzujagen, setzen Merkel und Macron auf die „europäische Souveränität“ in Sachen Gesundheitsschutz, Klimaschutz, Forschung und Technologie. Europa kann und soll seine Stärken ausspielen. Das geht nur, wenn sich die Europäer von nationalen Egoismen und „Standortkonkurrenz“ jeder gegen jeden verabschieden. Auch wenn der Plan nur zum Teil gelingt, werden wir nach der Krise eine stärker integrierte, handlungsfähigere EU haben.
Das war überfällig
Zwar bleibt das finanzielle Volumen des Krisenpakets weit hinter den 1,3 bis 1,5 Billionen Euro zurück, die die Franzosen ursprünglich vorgeschlagen hatten. Es ist aber deutlich mehr als die 320 Milliarden Euro, die die Europäische Kommission bisher vorgeschlagen hat. Der Wiederaufbaufonds soll in den EU-Haushalt integriert werden, was die Europäische Kommission und das Europäische Parlament stärkt. Die begrüßen den Plan, beide werden alles tun, um die damit angestoßene Aufstockung des EU-Haushalts zum Erfolg zu führen. Überfällig war sie seit langem.
Merkel ist etlichen Ideen Macrons gefolgt: Europa soll zukünftig Kompetenzen in der Gesundheitspolitik bekommen, gemeinsame Forschung, gemeinsame Lager- und Produktionskapazitäten für Medikamente und medizinische Geräte. Die pharmazeutische wie die medizinisch-technische Industrie – samt Forschung - werden als „strategische Industrien“ für die gesamte Union ausgezeichnet. Sie sind nicht die einzigen Industrien, von denen Europas Zukunft und Sicherheit abhängen. Gelingt der Plan (auch nur zum Teil), werden wir eine europäische, grenzüberschreitende Industriestrukturpolitik bekommen, mit regionalen Schwerpunkten.
Da es sich um Mittel des EU-Haushalts handelt, werden sie über Projekte vergeben, landen also nicht zur freien Verfügung in den Haushalten einiger Mitgliedsländer. Das ist eben keine Verteilung von Geldgeschenken, sondern ein Instrument gezielter Investitionen der Gemeinschaft in relevante Industrien und Regionen. Mittel aus diesem Fonds bekommt nur, wer sinnvolle Investitionsvorhaben präsentieren kann – und wer Auflagen und Bedingungen akzeptiert. Fördergelder abgreifen und weiter Nationalsüppchen kochen, das wird zwar nicht völlig aufhören, aber es soll Profiteuren wie Viktor Orbán schwerer gemacht werden.
Europaweites Eisenbahnnetz
Wenn alles nach Plan läuft, werden die Mittel aus dem Wiederaufbaufonds an Regionen in Europa, nicht an einzelne Mitgliedsstaaten fließen. Im Idealfall also an Gemeinschaftsprojekte, die in europäischen Regionen, grenzübergreifend, realisiert werden. Die Praxis gibt es längst, dank der bislang leider winzig kleinen europäischen Fonds (Regionalfonds, Kohäsionsfonds usw.). Das läßt sich fortsetzen, z.B. in Tirol und in Savoyen, im Baskenland, in Katalonien, in Flandern und Friesland, um nur einige Regionen zu nennen. Und sie läßt sich leicht erweitern – auf solche Projekte, die für viele Regionen und Länder in Europa zugleich wichtig und dringend sind. Ein europaweites Eisenbahnnetz, ein europaweites Netz der Stromversorgung, eine europaweite Berufsausbildung zum Beispiel. Was China und Japan können, sollten die Europäer schon lang können.
Was die Anhänger vermeintlich reiner Lehren der „Marktwirtschaft“ besonders fuchst: Dieses Mal sollen Nägel mit Köpfen gemacht werden. Statt Geld zu verteilen und „den Markt“ machen zu lassen, soll auf allen Ebenen und in allen Phasen eingegriffen werden, mit Vorgaben und Plänen, an denen europäische Institutionen vom Anfang bis zum Ende beteiligt werden. Ein Kernelement der Marktideologie wird geschleift: der Glaube, „der Markt“, d.h. private Unternehmen könnten alles besser als jede öffentliche und demokratisch rechenschaftspflichtige Institution. Wer Gelder aus dem Wiederaufbaufonds haben will, wird sich eine direkte Beteiligung der EU gefallen lassen müssen. Der Staat bzw. die EU zahlt und hat ferner zu schweigen, dieses „Geschäftsmodell“ ist passé.
Endlich soll getan werden, was schon vor Jahren hätte getan werden müssen: es wird Transferzahlungen innerhalb der EU geben, es wird gemeinsame Schulden geben, die EU wird nicht nur höhere Eigenmittel, sondern auch das Recht jedes Souveräns bekommen, Kredite aufzunehmen. Ohne dieses Recht – und seine Konsequenzen, also die eigene Steuerhoheit der EU – gibt es keine stabile Gemeinschaftswährung und keine voll handlungsfähige und gegenüber den Gliedstaaten unabhängige Zentralbank. Merkel hat sich im Angesicht der größten zu erwartenden Krise aufgerafft und ist über den langen schwarzen Schatten der in Deutschlang lange bestgeglaubten Dogmen gesprungen. Merkel und Macron haben die Reizvokabeln Euro- oder Corona-Bonds sorgfältig vermieden. Aber in der Sache geht es eben genau um gemeinschaftliche Schulden aller EU-Länder, die gemeinschaftlich getragen und für die gemeinschaftlich gehaftet wird. Wie die Anleihen heißen, ist völlig egal, wie sie ausgestaltet werden, ist nicht ganz unerheblich, denn das Narrativ derjenigen, die bei Europa immer zuerst ans eigene Portemonnaie denken, beruht ja nach wie vor auf der Stammtischidee, Schulden müssten immer zurückgezahlt werden. Müssen sie nicht, schon gar nicht, wenn es sich um Schulden solventer und ökonomisch potenter Staaten handelt, erst recht nicht, wenn es sich um gemeinschaftliche Schulden der Staaten handelt, die zusammen den nach wie vor die mit Abstand stärkste Wirtschaftsmacht der Welt bilden. Die Techniken der „ewigen Staatsschuld“ sind Europa seit dem 18. Jahrhundert wohl bekannt, offenbar leider nicht in Deutschland.
Das Undenkbare ist plötzlich denkbar geworden. Die europäischen Verträge – Maastricht und Lissabon – müssen und können verändert werden. Um die berühmt-berüchtigten Verschuldungsregeln des Maastricht Vertrags ist es nicht schade. Sie waren in Schönwetterzeiten irrelevant, zu allen anderen Zeiten nur schädlich. Ebenso wie die No-Bailout-Klausel, die nur als Vorwand für nationale Egoismen und unsinnige Austeritätspolitik gedient hat. Europäische Solidarität heißt eben, dass man sich nicht mit der Rolle des lachenden Profiteurs begnügen kann, sondern die Lasten der anderen – verschuldet oder nicht – mitzutragen hat. Die Corona-Krise hat nichts mit nationaler Misswirtschaft zu tun. In dieser Krise begreifen wohl alle, dass man sich gelegentlich zum Nutzen aller heftig verschulden muß, statt reflexhaft die Steuer- und Sparschrauben anzuziehen.
Club der Verhinderer
Der Anfang, ein großer Schritt nach vorn ist gemacht. Merkel hat den Kampf gegen die Wutbürgerei im eigenen Land aufgenommen. Da scheint das Bundesverfassungsgericht mit seinen falschen Konzessionen an den ökonomischen Unverstand der deutschen Eliten einen weiteren Auslöser geliefert zu haben. Zur Unzeit und ohne Not wird der EZB ihr Geschäft erschwert, Merkel kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass die Geldpolitik ihr Zeit zum Nichthandeln kauft. Mit den Mitteln, die der EZB zur Verfügung stehen, mit Geldpolitik allein ist die jetzige Krise nicht zu bewältigen. Ebenso wenig wie die vorige es war. Die Lektion immerhin scheint in Berlin gelernt worden zu sein: Man kann sich nicht endlos darauf verlassen, dass die EZB einem die nötige Zeit zum wirtschaftspolitischen Handeln schon kaufen werde – und dann diese Zeit ungenutzt verstreichen lassen. Gekaufte Zeit muss genutzt werden, eine expansive Geldpolitik wirkt nur expansiv, wenn sie von einer mindestens ebenso expansiven Finanzpolitik begleitet wird.
Den Querulanten im Osten Europas wird nichts weggenommen, im Gegenteil. Daher dürften die Visegrád-Staaten außer Gefeilsche um ein paar Milliarden dem Plan keinen großen Widerstand entgegensetzen. Anders steht es mit dem rein ideologisch bestimmten Widerstand der sogenannten Nordländer, mit Österreich und den Niederlanden an der Spitze. Dem Club der Verhinderer sind mit Merkel und der Bundesrepublik die stärksten Bataillone von der Fahne gegangen. Zum Glück sind wir die Briten los, die sonst alles blockiert hätten. Kurz und Rutte führen schon jetzt ein Rückzugsgefecht: Sie wollen Kredite statt Zuschüssen. Sie wollen ihr Geld zurück, wenn auch später. Den Herren kann geholfen werden, und zwar auf der Höhe heutiger Finanzkunst. Kredite mit Laufzeiten von 50 oder 100 Jahren sind nichts Ungewöhnliches. Es gibt sogar schlafende Kredite, die erst dann zurückgezahlt werden, wenn der Schuldner dazu in der Lage ist. Die EU kann sich zwar nicht zu Negativzinsen verschulden wie die Bundesrepublik Deutschland das im Moment kann. Aber die Zinsen für EU-Anleihen (vernünftigerweise in Euro denominiert) werden nur um ein Geringes höher ausfallen als die Zinsen auf Bundesanleihen. Die Finanzmärkte werden sich um sie reißen, ebenso wie um die Anleihen und Aktien der „strategischen Zukunftsindustrien“ Europas.
Kommentare 10
So, so "Mittel aus diesem Fonds bekommt nur, wer sinnvolle Investitionsvorhaben präsentieren kann..."
Das mag schon sein. Die eigentlichen fragen sind jedoch: Was ist "sinnvoll" und wer bestimmt, was "sinnvoll" ist? Und diesbezüglich muss bezweifelt werden, dass Berlin all zu viel gelernt hat. Das wird sich schon demnächst zeigen, wenn (wiedermal) die autoindustrie "gerettet" wird. Dann werden wir sehen, dass sich sinnvollerweise nichts geändert hat - die grossen konzerne führen das Merkelin und resteuropa am ring durch die manege, aller veränderungseuphorie zum trotz.
>>...wer bestimmt, was "sinnvoll" ist?<<
Wer berät die EU-Kommission?
Schwacher Artikel!
Dieses Paket ist doch das absolute Minimum, was man machen kann - und selbst das wird von den "Nordländern" und Kollegen noch zerrupft... Die Franzosen sind mit den geforderten 1,5 Billionen schon eher in der Lage, das Ausmaß der "Krise" zu begreifen.
Aus meiner Sicht ist folgender 10-Punkte-Plan nötig, unabhängig davon, wie lange sich die Coronakrise aus gesundheitlicher Sicht noch hinziehen mag - um soziales Elend und eine langwierige wirtschaftliche Depression zu verhindern. Die allermeisten Punkte ließen sich alleine in Europa regeln, wenn der Wille dazu da wäre:
1. Eine globale Schuldenkonferenz unter Führung der UN mit dem Ziel einer weitreichenden - möglichst gerechten - Streichung von Schulden (und den dazugehörigen Forderungen) für alle Wirtschaftssektoren, also Staaten, Unternehmen, Privatpersonen und Banken.
2. Signifikante Vermögensumverteilung durch Vermögensteuern, Erbschaftssteuer, einer und einer Einkommensteuer von 90% über 500.000€ Jahreseinkommen - incl. Kapitalerträgen und Spekulationsgewinnen (statt der pauschalen Abgeltungssteuer).
3. Verstaatlichung von Kernsektoren der öffentlichen Versorgung, incl. Banken, dem Gesundheitssektor, der Pharma- und der Rüstungsindustrie sowie natürlich Eisenbahn, Post, Telekommunikation, Energie.
4. Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, welches 50% höher liegt als Hartz IV. (Zur Gegenfinanzierung: siehe Punkt 2.)
5. Massive Investitionen in ökologischen sozialen Wohnungsbau und öffentlichen Nahverkehr.
6. Deutlich verbesserte Bezahlung für alle öffentlichen Angestellten in Gesundheit, Pflege, Bildung, Sozialarbeit, Polizei, Feuerwehr, etc. Sowie die Schaffung von hunderttausenden neuen Stellen.
7. Ökologisches Umsteuern duch drastische Besteuerung von Energie und fossilen Brennstoffen sowie hohen Importzöllen.
8. Verbot von Derivaten
9. Verbot von Konsumkrediten
10. Geldschöpfung nur noch durch die Zentralbank, welche demokratisch kontrolliert wird. Ein Vollgeldsystem wird eingeführt. Die Kreditvergabe wird von der Geldschöpfung entkoppelt.
Viele sinnvolle Punkte, die Sie da anführen.
Individuelle Talentförderung fehlt (langfristig).
Belegschaftseigene Betriebe (Staat / Kommune finanziert vor, Belegschaft kauft ihm den Betrieb allmählich ab), wären auch sehr nützlich.
Umgekehrt muß privater Großbesitz von Produktionsmitteln aufhören. Damit also nicht nur Ausbeutung und Abhängigkeit Beschäftigter, sondern auch irrationale und dissoziale, auf kurzsichtige Interessen exklusiver Eigner zugeschnittene Produktions- und Wirtschaftsstrategie.
-Auch der Euro muß für stringentes Gemeinschaftswesen weg.
Wie kann eine Gemeinschaftswährung, die somit unterschiedliche Produktivität von Ländern unberücksichtigt läßt, jemals Teil eines sinnhaltigen und dauerhaften Zusammenschlusses sein?
@Knossos:
Da stimme ich Ihnen auch in allen Punkten ausdrücklich zu!
Was genau meinten Sie mit "individueller Talentförderung"?
Mir fällt noch folgendes ein, dann wären's halt ein paar mehr Punkte als 10: :-)
- Verbot von Kapitalgesellschaften, ggf. Umwandlung in "belegschaftseigene Betriebe", ich würde sagen: Genossenschaften
- Exportverbot von Agrargütern außerhalb der EU
- Agrarsubventionen nur noch für biologische Landwirtschaft, Förderung von kleineren Betrieben, Verbot von Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung
- Starke Eingrenzung von Werkverträgen und Leiharbeit; Grundsatz: Leiharbeiter müssen höhere Löhne bekommen als vergleichbare Festangestellte
- Erhöhung des Mindestlohns auf zunächst 12,50Euro
- Einmalige Vermögensabgabe von 50% bei Vermögen über 50 Mio. Euro
- usw.
Nur leider registriere ich bisher sehr wenig revolutionäres Potenzial in Deutschland, nach wie vor...
da haben Sie Recht
Autolobby : Die Abwrackprämie kommt nun doch
es wird sich nichts ändern, so wie nach der Zockerkrise 2007... außer Abschöpfung der Steuergelder, es kommt in den Genuss nur, wer " alternativlos weil systemrelevant" ist ... schon eigenartiges System, irgendwie pervers...
||Was genau meinten Sie mit "individueller Talentförderung"?||
Das Schulsystem sollte systematisch ergründen, welche Anlagen bei Schülern vorliegen, und diese fördern.
Das ist nicht nur für das Individuum erfüllend / motivierend, und bringt es bei der Freiheit des BGE frühzeitig auf den eigenen Pfad, sondern führt Produktivität und Innovation einer Volkswirtschaft zu nicht dagewesener Effizienz.
(Im Gegensatz zum Status quo, in dem die Majorität mit ihr zugekommener Ausbildung und Beruf wenig verbindet / das Verdingen für sie erzwungene Tätigkeit ist.)
>>Das Schulsystem sollte systematisch ergründen, welche Anlagen bei Schülern vorliegen, und diese fördern.<<
Wobei ich die kindliche Neugier für die Selbsterforschung von Begabungen für sehr hilfreich halte. Das mag zunächst als kontraproduktiv empfunden werden, weil Kinder keinen starren Lehrplan im Kopfe haben. Ich halte aber eine Pädagogik, die dem Wissenwollen kundig zur Seite steht für zielführender wenn es um die freie Entfaltung der Persönlichkeit geht. Wobei natürlich ausser Frage steht, dass Grenzen des Ausprobierens fester Bestandteil der Assistenz des Wissenwollens sind, um Gefahren auszuschliessen. Natürlich sind unterschiedliche Begabungsschwerpunkte als gleichwertig zu sehen.
Weil dabei nicht effizientes Malochen im heutigen Sinne von "Ökonomie" das primäre Ziel ist, sondern ein Leben in Gesundheit/Wohlbefinden/Lebensfreude kämen wir eventuell auf einen eher zukunftsgeeigneten Pfad als in der heute eingetrichterten Denke.
Übrigens las ich vor vielen Jahren mal von einem Internat, in dem die Schüler (nach vorgegebenem Etat) über den Speiseplan entscheiden durften. Sie seien, dort unbeeinflusst von Werbekampagnen, ziemlich bald zu einer Essensweise gekommen die ernährungswissenschaftlichen Kriterien standhielt. Nur mal als Schmankerl am Rande.
>> Verbot von Kapitalgesellschaften, ggf. Umwandlung in "belegschaftseigene Betriebe", ich würde sagen: Genossenschaften <<
>> Einmalige Vermögensabgabe von 50% bei Vermögen über 50 Mio. Euro <<
Wenn Produktionsmittel demokratisiert werden, als Kooperativen oder öffentliche Betriebe* erübrigen sich Abgaben von Privatvermögen.
Vermögensbesteuerung setzt voraus, dass erst mal jemand Arbeitsergebnisse privatisiert hat bevor wieder ein Teil davon demokratisiert werden kann. Als Notlösung innerhalb einer Privatwirtschaft ist das unerlässlich aber schwer durchsetzbar.
*Das wäre von Fall zu Fall zu entscheiden: Grund-Daseinsvorsorge (zum Beispiel Krankenhäuser/Polikliniken, Wasserwerke, Verkehrsbetriebe, Bildungseinrichtungen etc.) halte als öffentliche Betriebe für günstiger. Herstellung von Konsumartikeln in freien Kooperativen (im Besitz der dort Arbeitenden). Wobei die in öffentlichen Einrichtungen Arbeitenden gegenüber jenen in Kooperativen nicht benachteiligt werden dürften.
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>>Nur leider registriere ich bisher sehr wenig revolutionäres Potenzial in Deutschland, nach wie vor...<<
Das sehe ich auch so. Meckern als Stuhlgang der Seele ja, aber bloss nichts ändern. Wahrscheinlich bleibt nichts Anderes als mit Argumenten als steten Tropfen diesen Stein zu höhlen.
||Übrigens las ich vor vielen Jahren mal von einem Internat, in dem die Schüler (nach vorgegebenem Etat) über den Speiseplan entscheiden durften. Sie seien, dort unbeeinflusst von Werbekampagnen, ziemlich bald zu einer Essensweise gekommen die ernährungswissenschaftlichen Kriterien standhielt. Nur mal als Schmankerl am Rande.||
In jenen, in denen meinermich war, leider keine Option. In einem, allseits gefürchtet der Eintopf am Mittwoch. Wenig erquicklich auch Abendbrot des Bettlers, dünn bestrichenen Graubrots mit Mettwurst bei kaltem Hagebuttentee.
Übrigens zu meiner Verwunderung noch Zeiten, in denen es als schmückend galt, sich vor Fisch zu ekeln. (Wie mir später klar wurde, da historisch armer Leute Protein, und damals noch spottbillig.)
In einem Waisenhaus (Eltern hielten es sozialer Entwicklung für zuträglich, mich ein paar Jahre dort verbringen zu lassen, statt alternativ bei gehobenen Gastfamilien) humpelten die fetten Küchenfrauen des Abends immer schwer bebeutelt vom Hof. (Bettelte man sie lange genug an, reichten sie schon mal eine in heißem Öl getunkte und mit Meersalz bestreute Scheibe Brot durchs Fenster. Viele Kinder gaben sich auch mit trockener an roher Zwiebel zufrieden, in die sie bissen, wie unsereins etwa in Äpfel.)
Wir waren zu doof, die Diskrepanz zwischen hereingetragenen Rinderhälften und Sehnen & Knorpeln in unserer dünnen Suppe auszumachen. Jahre nach dem ich weg war, kamen die Kids der Sache aber auf die Schliche. Ich nehme an, die Weiber wurden schwer bestraft.
Ich wäre seither ein Kandidat für Ferreris „Das große Fressen“. Lukullisches reinziehen, bis Einen der große Furz in den Himmel trägt. (Bisweilen andenkend, mich dazu irgendwo in Italien oder Frankreich einzuloggen.)
Doch zum Kern Ihres Beispiels: Mir ein typisches scheinend.
Weder führte Prohibition zu gemäßigterem Alkoholkonsum (im Gegenteil: Zu Auftrieb von Spirituosen) noch die Aufhebung zu einem Massenbesäufnis.
Die Ächtung von (sogenannten) BTM bringt nichts weiter als Voraussetzung zu einem der einträglichsten Geschäfte, Verunreinigung / Vergiftung und dem Pushen. Legalisierung löst hingegen keinen Konsumanstieg aus.
Unterdessen trugen Bestrafung / Disziplinierung / Inhaftierung noch nie zu Sittlichkeit bei. Das vermag allein Pädagogik und Maßnahme zur Einsicht.
In ähnlichem Sinn auch Experimente in Gefängnissen und Anstalten, in denen Insassen Verantwortung übertragen und Sozialität mit gutem Ergebnis gefördert wurde.
Usw.
Gouvernantentum, Puritanismus, Prüderie und Moralismus als von außen aufgepropfte (und zudem willkürliche) Maßregelung (also ohne inneren Nachvollzug) können nicht konstruktiv sein.
Das erschließt sich auch schon aus der Psychologie, in der sich z.B. passive Analyse und Therapie als wirkungslos bis destruktiv erwies, während interaktive und aktive Methoden (wie die Transaktionsanalyse) über innere Erkenntnis am effizientesten Wirkung zeitigen.