Diese Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank fiel aus dem Rahmen. Ein bisschen zumindest. Die deutsche Delegation musste harsche Kritik schlucken. Schließlich sehen beide Institute die Weltwirtschaft in einer anhaltenden Depression. Es stört sie, dass derart viele Staaten in einer Schuldenfalle sitzen, vornehmlich Schwellen- und Entwicklungsländer. Sie fallen auf absehbare Zeit als Wachstumslokomotiven der globalen Ökonomie aus. Europa wird in der Stagnationsfalle verortet; dass es dem deutschen Exportweltmeister vergleichsweise gut geht, genügt eben nicht, beruht doch dieser Status darauf, näheren und ferneren Nachbarn Marktanteile abzujagen. In einer Weltdepression kann das auf Dauer nicht gut gehen. Daher der Appell – nicht zum ersten Mal – an die Regierung Merkel, sie möge mehr tun, um die Konjunktur in ganz Europa endlich wieder in Schwung zu bringen.
Finanzminister Wolfgang Schäuble, dem Hüter der schwarzen Null, passte das gar nicht. Also inszenierte er ein Entrüstungstheater für den deutschen Medienwald. Weshalb hat sich der IWF dennoch ungerührt zum potenziellen Pleitier Deutsche Bank geäußert? Aus einem sehr guten Grund, den Schäuble eigentlich kennen sollte. Der Währungsfonds warnt in seinem Bericht zur globalen Finanzstabilität vor Folgen einer neuen Weltfinanzkrise: Selbst unter günstigsten Bedingungen, falls die Zinsen wieder steigen, würde ein Drittel der europäischen Banken einen weiteren Crash nicht überleben. Momentan, so analysiert der IWF, seien 47 Prozent der Geldhäuser auf Dauer nicht überlebensfähig. Daraus lässt sich schlussfolgern, den Bankensektor schon vor dem nächsten Einbruch zu beschränken und die gut 900 Milliarden Dollar an faulen Krediten, die nach wie vor in den Büchern vieler Institute herumgeistern, endlich abzustoßen oder abzuschreiben, womöglich mit Staatshilfe. Das kann Wolfgang Schäuble nicht gefallen, der glaubt – jedenfalls nach außen hin –, die Krise sei längst ausgestanden, es gäbe nur noch ein paar kleinere Probleme zu beseitigen. Geld ausgeben zur Bankenrettung will er nimmer mehr. So viel links-rechter Populismus muss schon sein, in knapp einem Jahr ist Bundestagswahl.
Mit Deutschland ebenso zerstritten ist der IWF bei der Griechenland-Frage. Man will erst wieder Finanzhilfen schultern, wenn sich die übrigen Gläubiger, allen voran aber die Deutschen, zum Schuldenschnitt durchringen. Nur stellt sich hier die Lage anders dar als noch im Herbst 2015, da der europäische Rettungsschirm ESM seine Griechen-Kredite seither praktisch zum Nullzins vergibt und Laufzeiten so streckt, dass der Schuldner vorerst keine Zinsen zahlen oder Verbindlichkeiten bedienen muss, was auf einen temporären Schuldenschnitt hinausläuft. Der IWF müsste auf seine satzungsgemäß verordneten vier Prozent Zinsen für Altkredite verzichten, um Griechenland ähnlich zu entlasten.
Schäuble lässt sich eben nur dort stellen, wo er wirklich im Unrecht ist. Bei den Strukturreformen etwa, mit denen die griechische Wirtschaft angeblich „wettbewerbsfähig“ werden soll. Aber so weit geht der ideologische Dissens zwischen neoliberalen Glaubensbrüdern dann doch nicht.
IWF und Weltbank stecken in der Klemme. Sie erkennen, dass nach acht Jahren Nullzinspolitik und wiederholtem Fluten der Finanzmärkte die expansive Geldpolitik der Zentralbanken nicht bewirkt hat, was sie bewirken sollte. Sie wissen, dass diese Politik teilweise zum Gegenteil des erwünschten Effekts geführt hat. Zur massiven Geldhortung der Banken nämlich, solange ihnen das Regierungen, die auf Konjunkturpolitik verzichten, durchgehen lassen. Briten und Deutsche bleiben die Champions einer exzessiven Sparpolitik, die nicht zum Muster taugt. Doch kann der IWF einen Politikwechsel nur anmahnen, nicht erzwingen. Dass ihm renommierte Ökonomen wie Joseph Stiglitz beispringen, der eine massive Um- und Entschuldung wie Investitionsprogramme vorschlägt, beeindruckt die Bundesregierung wenig. Schäuble hört lieber auf Ökonomen, die seiner Meinung sind.
Da hilft es wenig, wenn IWF-Chefin Christine Lagarde Merkels Sparkommissar ganz speziell ins Gebet nimmt. Deutschland habe die Mittel und die Verpflichtung, mehr zu investieren, um der EU-Wirtschaft die Wachstumsimpulse zu geben, die sie brauche. Zu dem schönen Plan der Bundesregierung, ab 2017 die Steuern um 6,3 Milliarden Euro jährlich zu senken, bemerkt sie treffend, das sei doch sicher Teil eines weit größeren Plans. Wohl wissend, dass es den nicht gibt. Schäuble behauptet steif und fest, Deutschland investiere genug. Die Expertenkommission, wie sie Ministerkollege Sigmar Gabriel berufen hat, kommt freilich zu einem anderen Schluss: In Deutschland verrotte die öffentliche Infrastruktur in einem rasanten Tempo. Die staatlichen Nettoinvestitionen seien seit über zehn Jahren negativ. Christine Lagarde versuchte es angesichts dieser unstrittigen Tatsachen mit Charme und Ironie, doch konnte das einen schwäbischen Hausmann nicht beeindrucken. In der Abschlusserklärung blieb davon nur ein lendenlahmer Formelkompromiss: Alle politischen Instrumente, Geldpolitik, Fiskalpolitik und Strukturreformen, seien einzusetzen. Die richtige Mischung zu finden, bleibe jedem Land selbst überlassen. Damit können Merkel und Schäuble gut leben.
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