In jeder großen Krise blüht er, der Weizen der Geldreformer und Zirkulationskünstler. Eine Finanzkrise, die kein Ende nehmen will, scheint ihren Ursprung im Geldsystem zu haben. Das Übermaß an Geld, das umläuft und gehortet wird, das rapide Anwachsen der Geldmenge in allen kapitalistischen Ländern, das das Tempo des Wirtschaftswachstums um ein Vielfaches übertraf, das unerhörte, für Normalsterbliche unvorstellbare Ausmaß der weltweiten Verschuldung, die spekulativen Blasen, die an den Finanzmärkten immer von Neuem aufblühten, alles weist darauf hin, dass etwas gründlich faul ist in unserem Geldwesen.
Dem Platzen der ersten Kreditblase im Sommer 2007 sind viele größere und kleinere Finanzkrisen gefolgt. Mehrfach stand der Euro, immerhin die Nummer zwei unter den Weltreservewährungen und bis vor kurzem ein ernsthafter Rivale des Dollar, vor dem Zusammenbruch. Seither hat sich das Geld- und Kreditsystem stark verändert. Ein Zentralbanker, der 1990 in Tiefschlaf gefallen und heute aufgewacht wäre, würde die Welt nicht mehr verstehen: Null- und Negativzinsen, quantitative Lockerung, das gab es damals nicht. Dass man Zinsen dafür zahlen muss, dass man Geld anlegt, und Zinsen dafür bekommt, dass man sich Geld leiht, würde unserem wieder erwachten Banker höchst seltsam vorkommen. Aber genau das ist die Logik negativer Zinsen, bei denen einige der großen Zentralbanken inzwischen angekommen sind.
Vorbild Japan
Vorangegangen ist die Bank von Japan bereits im Jahre 2001, ein weiterer Versuch, der lang anhaltenden Stagnation und Deflation zu entkommen. In der Finanzkrise sind die anderen großen Zentralbanken diesem Beispiel gefolgt: In den USA hat die Fed als Erste im Dezember 2008 den Leitzins auf 0 bis 0,25 Prozent gesenkt, anschließend in sukzessiven Runden Hunderte von Milliarden Dollar mittels Wertpapierkäufen in den US-Geldkreislauf gepumpt. Die britische Zentralbank folgte im März 2009. Die EZB hat sich nach langem Zögern im Januar 2015 durchgerungen, dem britischen und US-amerikanischen Beispiel zu folgen. Seither sinken die Leitzinsen, heute sind wir auch in Euroland bei Negativzinsen auf Bankeinlagen gelandet.
In den USA und Großbritannien hat die quantitative Lockerung durchaus Erfolg gehabt, dagegen in Japan nicht und in der Eurozone noch weniger. Also hat die EZB wie die Bank von Japan konsequent die Dosis erhöht, sprich die Leitzinsen immer weiter abgesenkt und das Volumen der Wertpapierkäufe ausgeweitet. Als das alles nicht half, hat die EZB im Sommer 2014 zum ersten Mal Negativzinsen auf Einlagen der Geschäftsbanken erhoben. Einige Banken haben nach anfänglichem Zögern nun ihrerseits ihre Kunden mit der Nachricht erschreckt, sie hätte fortan für ihre Einlagen Zinsen zu zahlen, statt welche zu bekommen. Denn die EZB trieb das Spiel immer weiter: Im Juni 2014, im September 2014, wieder im Dezember 2015 und erneut im März 2016 wurden die Zinsen auf Bankeinlagen gesenkt, auf nun 0,4 Prozent. Die erhoffte Belebung hat das nicht gebracht. Dafür sind nicht nur die Deutschen von Sparern zu Geldhortern geworden.
Also kam die EZB auf die Idee, den Bargeldumlauf zu begrenzen, und den 500-Euro-Schein aus dem Verkehr zu ziehen. Um Kriminalität geht es da nur am Rande. Nein, die EZB will die private Geldhortung verteuern und damit einschränken. Denn die ist es, die ihr einen Strich durch die Rechnung macht. Bei Nullzinsen und mehr noch bei Negativzinsen holen die Geldbesitzer ihr Geld von der Bank und horten es, eine Form des Sparens, die volkswirtschaftlich besonders schädlich ist, weil diese privaten Horte wirklich brachliegen, während Bankeinlagen in aller Regel sofort wieder in den Geldkreislauf eingehen. Zieht die EZB die 500-Euro-Scheine aus dem Verkehr, müssen die Geldhorter auf Hunderter oder Zweihunderter ausweichen, brauchen also mehr Platz im Tresor und ihre Tresorkosten steigen. Schon eine geringfügige Steigerung dieser Kosten kann die Geldbesitzer dazu bewegen, wenigstens einen Teil ihres Geldes auszugeben, statt es zu horten.
Für das staunende Publikum ist nur eines klar: Die Zentralbanken erreichen mit immer gewagteren Manövern gar nichts. Die Fed hatte einen gewissen Erfolg, weil ihre expansive Geldpolitik zeitweilig mit einer ähnlich expansiven Finanzpolitik der US-Regierung zusammenging. Das ist bis auf Weiteres in Europa nicht möglich, zu stark ist der Glaube an die segensreiche Wirkung der Austerität noch. Also werden immer skurrilere Ideen ausgegraben und in die Debatte geworfen. „Helikoptergeld“ etwa (der Freitag 12/2016): Die Zentralbank schenkt allen einen gewissen Geldbetrag.
Ursprünglich nur ein Gedankenexperiment Milton Friedmans, mit dem er zeigen wollte, wie unwichtig und unwirksam eine beliebige Vermehrung der Geldmenge sei. Inzwischen aber eine politische Idee, die nicht wenige fasziniert. Vor allem jene, die den real existierenden Kapitalismus seit jeher als reine Geldumverteilungsmaschine betrachteten, die nur an dem Fehler krankt, dass es stets die falschen Leute sind, in deren Händen das schöne Geld landet. Eine Geldverteilung nach dem Zufallsprinzip mag da als diskutable Variante erscheinen. Selbst Mario Draghi in seiner Not konnte dem etwas abgewinnen – ein „sehr interessantes Konzept“ sei das. Er meinte nicht den Banknotenabwurf per Helikopter, sondern eher das, was Großbritanniens Labour-Chef Jeremy Corbyn und dessen Berater als „quantitative Lockerung für das Volk“ planen.
Staatliches Taschengeld
Statt den Banken Milliarden an Krediten nachzuwerfen und vergeblich darauf zu hoffen, dass diese Gelder sich in Kredite für Privatinvestitionen, für Immobilienkäufe und andere konjunkturfördernde Aktivitäten verwandelt, sollte man zur Abwechslung das reichlich vorhandene Geld direkt in die Taschen der Bürger lenken, ohne Umweg über Banken. Statt ein staatliches Taschengeld einzuführen, wäre es ökonomisch wirkungsvoller, Zentralbankgelder direkt für öffentliche Infrastruktur- und Bildungsinvestitionen einzusetzen.
Den echten Geldreformern von altem Schrot und Korn reicht derlei natürlich nicht. Die Freunde des Freigelds und der „natürlichen Wirtschaftsordnung“ des Silvio Gesell frohlocken. Tut doch die EZB das, was sie seit langem propagieren: Sie verteuert die Geldhortung, treibt die Bürger mittels Negativzinsen dazu, Geld auszugeben statt zu sparen. Wer den Zins für die Quelle aller kapitalistischen Übel hält, hat auch Grund zur Freude. Negative Zinsen verwandeln den Zins aus einer Einkommensquelle in eine Geldstrafe für ökonomisch unerwünschtes Verhalten.
Ohne Übertreibung kann man sagen, dass einige radikale Geldreformideen in der offiziellen Politik angekommen sind. Parlamentsausschüsse tagen in Holland, Island und in der Schweiz. Sie beraten über eine mögliche Geldreform, den Übergang zum „Vollgeld“ etwa: die faktische und legale Abschaffung der privaten Geldschöpfung der Geschäftsbanken, die die Zentralbanken kaum unter Kontrolle haben. Wer die Ursache der gegenwärtigen Misere in übermäßiger Ausweitung des Kreditvolumens in führenden kapitalistischen Ländern sieht, wird Vollgeld für sinnvoll halten. Es handelt sich schlicht darum, Bankkredite an Private nur noch zuzulassen, wenn sie zu 100 Prozent durch Zentralbankguthaben der Bank gedeckt sind. Die Zentralbank wird also ermächtigt, sämtliche Bankkredite in vollem Umfang zu kontrollieren. Für echte Marktliberale ist das ein Graus: Ihre radikale Geldreform geht genau in die entgegengesetzte Richtung. Weg mit der Zentralbank, freie Bahn den Banken, die in freier Konkurrenz jede ihr eigenes Geld schaffen und es am Markt gegen alle anderen Privatgelder durchzusetzen versuchen. Jeder sein eigener Geldschöpfer, Schluss mit dem staatlichen Geldmonopol.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.