Mit dem Mut der Gesinnung

Frankreich Der Präsident outet sich als "Sozialdemokrat", schlägt einen marktliberalen Kurs ein, will aber den Sozialstaat nicht demolieren
Ausgabe 04/2014
Präsident Hollande unterweist sein Gefolge in der hohen Kunst des Strippen-Ziehens
Präsident Hollande unterweist sein Gefolge in der hohen Kunst des Strippen-Ziehens

Foto: Mehdi Fedouach/AFP/Getty Images

François Hollande ist der mächtigste Mann in Frankreich – und der mit Abstand unbeliebteste Präsident der V. Republik. Im Land herrscht Unmut, anders als in Deutschland glaubt unter den Franzosen kaum jemand an das Ende der Eurokrise. Das Misstrauen gegenüber der Politik überhaupt, der sozialistischen Regierung und der Europäischen Union im besonderen ist verbreiteter denn je. Man muss sich nur die Umfragewerte des ultrarechten, europafeindlichen Front National (FN) vor Augen halten.

Dabei geht es Frankreich so schlecht nicht. Besser als die Niederlande, Belgien oder Großbritannien steht die Grande Nation allemal da. Vom „kranken Mann“ Europas reden nur diejenigen, die den Reformdruck auf das Land erhöhen wollen. Mit Geschick und Zielstrebigkeit wird eine Drohkulisse aufgebaut: Frankreich im Niedergang, dem gleichen Schicksal ausgeliefert wie Italien und Griechenland. Sollte das Land tatsächlich in eine vergleichbare Lage geraten, wäre der Euro als Gemeinschaftswährung kaum zu halten. Der Rettungsschirm, unter den die zweitgrößte Ökonomie der EU passt, ist noch nicht erfunden worden. Er wäre beim besten Willen nicht finanzierbar – too big to save.

Französische Unternehmen haben international Marktanteile verloren, wie das auch auf andere Wettbewerber in der EU zutrifft. Die Arbeitslosigkeit stieg dadurch seit 2009, dem Ausbruch der Finanzkrise, auf über elf Prozent Ende 2013, die der unter 25-Jährigen auf 25 Prozent. Viel zu hoch, aber kein Vergleich mit Spanien, Griechenland oder Italien. Doch bleibt als Fazit: Der Sozialist im Elysée hat sein Versprechen, die Zahl der Jobsuchenden bis 2013 deutlich zu senken, nicht halten können.

Mit dem Mofa durch Paris

Wen überrascht es, dass unter diesen Umständen die Symmetrie der deutsch-französischen Achse dahin ist. Paris muss die Dominanz der Deutschen respektieren, die vor Wirtschaftskraft kaum laufen und sich ihr Patentrezept – Arbeitsmarktreformen analog der „Agenda 2010“ – weniger denn je verkneifen können.

Hollandes halbherziger Versuch, eine südeuropäische Allianz mit Italien, Spanien und Portugal zu bilden, um für mehr Balance in der Eurozone zu sorgen, ist missglückt. Es fehlte die Leidenschaft des Vollzugs. Insofern hatte der Staatschef keine Alternative, als jüngst seinen Pacte de Responsabilité zu verkünden, der Unternehmen und Selbstständige bis 2017 um 30 Milliarden Euro entlasten soll, wenn ihr Anteil an Sozialleistungen für Familien entfällt. Mofa-Touren durch Paris schienen eben keine Gewähr mehr zu bieten, dem Umfragekeller zu entfliehen. Schon in seiner Neujahrsansprache hatte der Präsident erste Signale Richtung Unternehmerlager ausgesandt.

Er tat dies ausdrücklich als „Social-démocrate“, ein für die politische Tradition Frankreichs ungewöhnlicher Begriff, wo man zu den Linken oder Rechten gehört und die stärkste Partei „de la gauche“ nun einmal Sozialisten vereint. Nach seiner Wahl Mitte 2012 schien Hollande die leise Hoffnung vieler Analysten zu verkörpern, Europas Linke – sofern damit eine sozialdemokratische gemeint war – würde sich mit ihm von jener Austeritäts-Politik entfernen, wie sie Deutschland als alternativlos propagiert und dekretiert. Doch seit seiner Marathon-Pressekonferenz am14. Januar müssen sich diese Analysten als Illusionisten vorgeführt fühlen.

Der „Social-démocrate“ hat einen Kurswechsel eingeleitet, der einem Weg zurück ins Glied gleicht, auch wenn kein Schröder-Imitat herauskam – eine „Agenda 2020“ für Frankreich gibt es nicht. Doch ein neuer Sozialpakt soll her, eine Mischung aus Sparen und Reformieren, ohne den französischen Sozialstaat zugrunde zu richten. Hollande schlug vertraute Töne an – jedenfalls für die ökonomisch Gebildeten unter seinen Landsleuten: Frankreich müsse mehr produzieren, die Politik sich auf die Angebotsseite konzentrieren. Das sei aber keine Kehrtwende, weg von der Nachfragepolitik, die nun einmal von der Angebotsseite abhänge.

Merkel bleibt hart

Das staatliche Statistikamt INSEE erhebt seit Jahr und Tag regelmäßig, worüber französische Unternehmer und Manager am lautesten klagen. Was sie stört, sind weder zu hohe Löhne noch Lasten der Bürokratie, sondern mangelnde Nachfrage und ein akutes Wettbewerbsgefälle in der EU. Was kann die Operation Pacte de Responsabilité daran ändern? Als Belohnung für seine Spar- und Steuersenkungspläne möchte der Präsident Arbeitsplätze gewinnen, zu denen sich freilich kaum ein Unternehmer am Verhandlungstisch verdonnern lassen dürfte. Dieses Lager wird Hollande nur entgegenkommen, falls er ihm mehr Nachfrage in Frankreich und Europa garantiert. Was nur möglich ist, sollten die deutschen Spardogmen in der EU nicht länger das Maß aller Dinge sein. So behilft sich Hollande mit der beschönigenden Rhetorik von den „Beschäftigungspakten“. Davon hätten letzten Endes alles etwas.

Nur ist einigermaßen unklar, wie gespart werden soll, ohne den Sozialstaat zu demolieren. Bisher zahlten französische Unternehmen Beiträge zur Familienpolitik und erhielten damit ein Glanzstück des Sozialstaates. Insgesamt waren das 5,25 Prozent der Lohnsumme oder 35 Milliarden Euro im Jahr 2013 für die „Familienkasse“. Hollande will eine dadurch ermöglichte Sozialpolitik keineswegs abbauen, sondern fortsetzen, indem er sie aus anderen Quellen speist. Nur welchen, wenn zugleich 15 Milliarden Euro in diesem Jahr und weitere 50 Milliarden bis 2017 aus dem Staatsbudget heraus gespart werden? Und über vier Prozent des Haushalts zu entbehren, ohne jemandem wehzutun, das wird nicht gehen.

Statt für Aufklärung zu sorgen, redet sich Hollande die Welt schön und erklärt die Eurozone für stabilisiert, weil die Bankenunion bevorsteht. Außerdem will er die deutsch-französische Allianz durch drei Projekte wieder beleben: Konvergenz, Koordination der Energiewende und Verteidigungspartnerschaft. Dabei könnte sein Angebot, den Anteil des Atomstroms am nationalen Energiehaushalt von 70 auf unter 50 Prozent herunterzufahren, für die Energiewende im vereinten Europa nur von Vorteil sein. Doch was wird es helfen? Die Merkel-Koalition lässt sich kaum bewegen, die knallharte Linie „Austerität plus Reformen“ zu verändern. Folglich steht Hollande weiter unter Druck, was die deutsche Kanzlerin nutzen wird, um ihm ein endgültiges Einschwenken auf den Kurs „Wettbewerbsfähigkeit geht über alles“ abzuringen.



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