Operation gelungen

Teufelei Die „Rettung“ Griechenlands ist zu Ende. Für Deutschland hat sie sich immerhin gelohnt
Ausgabe 26/2018
Ausritt Europa: Während die einen sich tragen lassen, stehen andere kurz vor dem Aufprall
Ausritt Europa: Während die einen sich tragen lassen, stehen andere kurz vor dem Aufprall

Foto: Grigoris Siamidis/Nur Photo/Getty Images

Vergangene Woche in Brüssel: Nach der sechsstündigen Sitzung der Eurogruppe herrscht eitel Freude. „Die Krise ist vorbei“, verkünden fast gleichlautend der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos und EU-Währungskommissar Pierre Moscovici. Erleichterung allerorten, außer in Griechenland. Denn dort treten Ende des Jahres weitere Sparmaßnahmen in Kraft. Vom Ende der Krise merkt die griechische Bevölkerung nichts. Und es wird Jahre dauern, bis sich an der katastrophalen Lage dort etwas ändern wird.

Was hat die Eurogruppe beschlossen? Am 20. August läuft das dritte Hilfsprogramm für Griechenland aus, es wird kein weiteres geben. Athen soll eine Abschlusszahlung von 15 Milliarden Euro erhalten, weil die griechische Regierung so brav war. Die Rückzahlung der Kredite aus dem zweiten Hilfsprogramm soll erst zehn Jahre später beginnen als geplant, 2032 statt 2022. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Griechenland soll noch für Jahre unter verschärfter Aufsicht seiner Gläubiger stehen und „Reformen“ liefern.

Bei Lichte besehen wirkt das schöne Ergebnis weniger großzügig. Das Volumen des dritten Hilfsprogramms betrug 86 Milliarden Euro. Davon wurden bisher nur 46,9 Milliarden Euro ausgezahlt. Griechenland bekommt nichts obendrauf, sondern erhält vielmehr nur einen Teil der seit Langem zugesagten Kredite. Nicht zur freien Verwendung, um die soziale Not im Lande zu lindern, sondern um einen Reservetopf für die zukünftige Rückzahlung und Verzinsung der insgesamt 274 Milliarden Euro aufzubauen, die das Land seit 2010 erhalten hat.

Der IWF kann gehen

Die Verlängerung der Rückzahlungsfrist für einen Teil dieser Kreditsumme sieht großzügiger aus, als sie ist. Denn einen Schuldenerlass wird es nicht geben. Auf dem Ohr sind namentlich die Deutschen seit jeher taub, das galt für Wolfgang Schäuble und gilt für Olaf Scholz wie Angela Merkel. Der IWF hat das Streichen nicht rückzahlbarer Schulden – als den schnellsten und einfachsten Weg, um den Griechen aus der Schuldenfalle zu helfen – mehrmals gefordert. Nichts ist geschehen. Klar, dass der IWF nicht mehr daran interessiert ist, selbst Geld für das dritte Hilfsprogramm zuzuschießen. Die Eurogruppen-Herren gaben sich wurschtig, am wurschtigsten die Deutschen, die den IWF einst ins Boot geholt hatten: um für Disziplin zu sorgen und den Schuldner Griechenland unter Druck zu setzen – nicht mehr.

Die dritte Zusage an die Griechen lautet: Die Griechen sollen wieder etwas von den Zinsgewinnen abbekommen, welche die Gläubigerländer dank der sich acht Jahre hinschleppenden Griechenland-Krise machen konnten. Inzwischen ist es sogar in der deutschen Qualitätspresse angekommen, dass die Bundesbank dank der Griechenland-Krise gut 2,9 Milliarden Euro Gewinn gemacht hat, den sie brav an den Bundeshaushalt überwies. Seit 2010 fielen diese Zinserträge regelmäßig im Rahmen des „Securities Markets Programme“ (SMP) der Europäischen Zentralbank an, welche sie an die Zentralbanken der Euroländer transferierte. Nur ein kleiner Teil der Gesamtgewinne für alle Gläubigerländer wurde an Griechenland überwiesen, obwohl genau das immer wieder versprochen worden war: Wenn die Griechen sämtliche Spar- und Reformauflagen erfüllten, sollten die SMP-Gewinne der anderen Euroländer an Griechenland ausbezahlt werden. 2013 wurden etwa zwei Milliarden Euro an Griechenland gezahlt, 2014 1,8 Milliarden Euro auf einem Sperrkonto des Rettungsschirms ESM geparkt.

Deutschland hat 2013 rund 527 Millionen Euro und 2014 noch einmal rund 387 Millionen Euro an Zinsgewinnen abgeführt, an den ESM und ein wenig auch an Griechenland. Bleiben mindestens 2,5 Milliarden Euro Gewinn für den Bundeshaushalt. SPD-Finanzminister Scholz deutete im Verlauf der Verhandlungen an, dass man einen weiteren Teil der Zinsgewinne den Griechen überweisen könnte, wie viel sagte er nicht. Weder er noch die anderen Euro-Finanzminister konnten sich der Logik der geschlossenen Vereinbarungen entziehen. Denn die griechische Regierung hat sich an die Vorgaben gehalten und sie übererfüllt.

Der böse Witz an der Sache: Deutschland hat von der Griechenland-Krise weit mehr profitiert als bislang eingeräumt. Denn wegen der von der Griechenland-Krise bewirkten Politik des ultrabilligen Geldes der EZB hat Schäuble durch die Refinanzierung seiner Staatsschulden zu Niedrigstzinsen Jahr für Jahr Milliardenbeträge eingespart. Schätzungen kommen auf 120 bis 140 Milliarden im Zeitraum von drei bis vier Jahren.

Das aber heißt: Die schwarze Null ist nicht Schäubles weiser Finanzpolitik zu verdanken, sondern allein den außerordentlich günstigen Bedingungen, die deutsche Staatsanleihen dank der Eurokrise an den Finanzmärkten vorgefunden haben und noch immer vorfinden. Die einzige Leistung der deutschen Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel bestand darin, durch Verschleppen und Vermeiden der notwendigen Interventionen den Finanzmärkten Zeit und Gelegenheit zu geben, sich erst auf griechische Staatsanleihen, dann auf Staatsanleihen aller südeuropäischen Länder einzuschießen, sodass aus einem relativ kleinen Finanzproblem Griechenlands eine Eurokrise wurde.

Diese Krise ist Deutschlands, genauer: Merkels Krise. Dass die innereuropäische Solidarität zum Teufel ist, dass die Fliehkräfte lokaler Konflikte die EU in ihrer Existenz bedrohen, ist das Verdienst der deutschen Austeritätsdoktrinäre, mit Merkel an der Spitze. Die Spar- und Reformdiktate der Euroländer, erzwungen und angeführt von Merkel und Schäuble, haben in den südeuropäischen Ländern schweren Schaden angerichtet. Vor allem in Griechenland, das mehr als ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung eingebüßt hat. Die öffentlichen Schulden Griechenlands sind heute höher als je zuvor, die griechischen Banken leiden noch immer unter Milliarden von faulen Krediten. Mehr als 300.000 junge, gut qualifizierte Griechen sind ausgewandert, große Teile der Infrastruktur wurden auf Druck der Eurogruppe privatisiert – ein Katastrophenprogramm. Die Durchschnittseinkommen liegen heute unter dem Stand von 2003, Millionen von Griechen, offiziell mindestens 40 Prozent, leben an oder unter der Armutsgrenze, ein Drittel der Haushalte kann sich keine ausreichende Heizung mehr leisten, 40 Prozent der Haushalte können ihre Miete und sonstigen laufenden Rechnungen nicht mehr bezahlen.

Ist die Krise vorbei? Möglicherweise. Fragt sich nur, für wen.

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