Peanuts und das Prinzip

EU Der Brexit wird zu einem härteren Steuerwettbewerb in der Staatenunion führen. Der Streit mit Apple bietet jetzt einen Vorgeschmack
Ausgabe 36/2016
Europäischer Dorn im Apple
Europäischer Dorn im Apple

Illustration: der Freitag, Material: Sewer11/iStock

Es ist nicht gerade die Ansetzung David gegen Goliath, eher stehen sich zwei Superschwergewichte gegenüber – hier das alte Europa, dort eine Ikone des globalen Kapitalismus in Gestalt des US-Hightech-Multis Apple. Der Knall war unüberhörbar: Die EU-Kommission hat den Weltkonzern nach jahrelangen Ermittlungen zur Nachzahlung von rund 13 Milliarden Euro Steuern an die Republik Irland verdonnert, bezogen auf die Finanzjahre 2003 bis 2014, in denen Apple statt der offiziell in Irland geltenden 12,5 Prozent effektiv nur ein Prozent, zuletzt (2014) nur noch 0,005 Prozent an Körperschaftssteuer gezahlt hat. Es geht um die Gewinne von Apple Sales International, einer Appletochter, die für den Verkauf von Apple-Geräten in Europa zuständig ist, und es geht um Equipment, das nicht in Europa, sondern in asiatischen Ländern produziert und in die EU importiert wird.

Apple Sales International und deren Töchter haben offiziell ihren Verwaltungssitz in Irland, weshalb alle Gewinne dort versteuert werden. Tatsächlich aber bestehen einige dieser Verwaltungssitze nur auf dem Papier, so dass in Irland sogar der erheblich höhere nominale Steuersatz von 25 Prozent fällig gewesen wäre. Den Differenzbetrag zwischen den legal fälligen und den tatsächlich gezahlten Gewinnsteuern soll Apple jetzt nachzahlen, daher die Summe von 13 Milliarden Euro.

Dass Apple-Chef Tim Cook sauer reagierte und sich zu dem skurrilen Vorwurf verstieg, die EU Kommission habe „politisch“ entschieden und leide wohl an „Antiamerikanismus“, war zu erwarten. Nicht nur Politiker, auch Konzernchefs reden öffentlich Stuss, wenn es ans Eingemachte geht. Dass die US-Regierung Apple beispringt, in der EU-Entscheidung einen unfreundlichen Akt sieht und sogar mit Repressalien droht, ist ebenfalls nicht verwunderlich. Dass Mr Cook ganz im Sinne des derzeit modischen EU-Bashings drauflos log, als er meinte, die EU-Kommission mische sich in die Steuerpolitik der souveränen Republik Irland ein, konnte man ebenfalls noch unter Manager-Polemik abhaken. Als dann aber die irische Regierung erklärte, sie wolle die 13 Milliarden Euro Nachzahlungen von Apple gar nicht haben, im Gegenteil, sie werde gegen die Entscheidung der EU-Kommission klagen, wackelten im Rest Europas doch einige Köpfe. Welche klamme Regierung würde wohl einen Geldsegen von immerhin rund 19 Prozent ihres Staatshaushalts einfach ausschlagen? Das Kabinett von Premierminister Enda Kenny tut es und muss dafür gute Gründe haben.

Etwa so gute Gründe wie Markus Söder, Finanzminister des Freistaates Bayern, der sich zu versichern beeilte, er und seine Landesregierung würden keinesfalls ähnliche Steuernachzahlungen von multinationalen Konzernen verlangen. Damit sei auch dann nicht zu rechnen, sollte ihm eine Entscheidung der EU-Kommission dazu die Handhabe bieten. Pikante Wortmeldung eines der Herren, die seit Jahr und Tag für schwarze Nullen und – nicht zu vergessen – auch gegen den Finanzausgleich innerhalb der Bundesrepublik agitieren (bei dem es bekanntlich nicht um Griechenland geht). Offenbar hat Söder zu viel Geld im Tresor.

Schwebende Verfahren

Der Apple-Konzern sitzt momentan auf Geldreserven von gut 230 Milliarden Dollar, die geforderte Nachzahlung wäre also zu verschmerzen. Es geht aber nicht um Peanuts, sondern ums Prinzip – um die heiligen Steuerprivilegien multinationaler Unternehmen, die in direkten Freundschaftsdeals mit Regierungen ausgehandelt und möglichst geheim gehalten werden. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager begründet ihre Forderung nicht steuerrechtlich, die extrem niedrigen Körperschaftssteuersätze Irlands (seit langem zu Recht in der Kritik) werden nicht angetastet. Sie argumentiert mit dem EU-Wettbewerbsrecht und gegen Absprachen zur Ermittlung der steuerpflichtigen Gewinne, die von den irischen Finanzbehörden mit den Apple-Töchtern getroffen wurden. Sie sieht darin – ganz im Sinne der Logik des „fairen Wettbewerbs“ – eine unzulässige, nach EU-Recht illegale Staatshilfe für Apple, die andere Firmen benachteilige. Vestager stellt daher nicht das ganze absurde System der mehr oder weniger legalen Steuerprivilegien für multinational agierende Konzerne in Frage, sondern nur einige eklatante Auswüchse.

Der Vorwurf, die EU greife sich Apple und Irland heraus, um ein Exempel zu statuieren, trifft nicht. Es schweben etliche solcher Verfahren, da Vestager bereits Luxemburg und die Niederlande vergattert hat, jeweils etwa 30 Millionen Euro zu Unrecht nicht gezahlte Steuern von Firmen wie Starbucks und Fiat Chrysler nachzufordern. Steuerdeals Luxemburgs mit Amazon und McDonald’s, Steuerdeals der britischen Regierung mit der Google-Muttergesellschaft Alphabet und etliche andere werden ebenfalls durchleuchtet. Die Entscheidung gegen den Deal der Iren mit Apple fiel auf, weil es um Apple ging und die Steuernachforderung so hoch ausfiel. Bisher war es der Energiekonzern EDF, der 2015 1,4 Milliarden Euro an den französischen Staat nachzahlen musste – das aber erst nach einem zwölf Jahre (!) währenden Rechtsstreit.

Best Tax

Die EU-Kommission hat zuletzt immer wieder darauf hingewiesen, dass in Europa auch Steuerparadiese für Privatanleger existieren, die es mit anrüchigen karibischen Eilanden aufnehmen können.

Monaco
Im Fürstentum zahlt man weder Ver-mögens- noch Einkommenssteuer. Ausnahme: französische Staatsbürger. Wer sich hier niederlässt, muss jedoch ein Konto mit 500.000 Euro bei einer monegassischen Bank nachweisen.

Schweiz
Dem Fiskus vorenthaltene Gelder bei Schweizer Banken zu deponieren, ist mit größeren Risiken verbunden als noch vor zehn Jahren, es gibt mehr Kontrollen und manches Datenleck.

Luxemburg
Nach Schätzungen des Tax Justice Network ist davon auszugehen, dass 13 bis 14 Prozent des Geldes, das weltweit in Steueroasen deponiert wurde, im Großherzogtum lagert.

Andorra
Für diesen Ort erwärmen sich traditionell Franzosen und Spanier, was bei einer Einkommenssteuer zwischen null und zehn Prozent sowie einer Mehrwertsteuer von 4,5 Prozent nachvollziehbar erscheint. Lutz Herden

Die Regierung in Dublin legt sich mutmaßlich vor allem deshalb quer, weil sie ihren guten Ruf als Steueroase in Europa gefährdet sieht. Selbst wenn die EU-Kommission den nun anstehenden Rechtsstreit mit Apple verlieren sollte – fortan werden es sich US-Konzerne zweimal überlegen, bevor sie mit ähnlich aggressiven Steuersparstrategien in Europa zu Werke gehen, freilich wird es ihnen auch künftig nicht an willigen Helfern in den Finanzministerien der EU-Staaten fehlen.

Der aktuelle Steuerstreit zeigt die Stärke wie die Schwäche der EU. Niemand außer ihr (vielleicht mit Ausnahme Chinas) wagt es im Augenblick, sich mit multinationalen Konzernen vom Kaliber Apple anzulegen. Kein Nationalstaat kann das auf sich allein gestellt. Aber niemand außer der EU hat es auch so schwer, sich gegenüber Apple, Starbucks, McDonald’s und so weiter durchzusetzen. Brüssel hat den schädlichen Steuerwettbewerb zwischen den EU-Mitgliedsländern mitnichten unter Kontrolle. Trotz vieler Absichtserklärungen, diesem Übel zu begegnen, ist wenig geschehen – die Konsequenz eines neoliberalen Wettbewerbsrechts, wie es die Union seit dem Vertrag von Maastricht (1992) prägt. Es ist nicht allein das bejammerte Demokratiedefizit, es sind die nationalen Egoismen der Mitgliedsstaaten, die den Steuerwettbewerb zu einem Steuersenkungswettlauf ohnegleichen gesteigert haben. Man versucht, dank immer raffinierter konstruierter Beihilfen zur Steuervermeidung die Multis bei der Standortwahl zu beeinflussen. Doch kann ein europäischer Binnenmarkt (wie auch eine Währungsunion) auf Dauer nur funktionieren, wenn die Steuergesetze einigermaßen gleichförmig sind, bis hin zu Mindestsätzen für gleiche Steuerarten und gleiche Spielregeln für Steuerveranlagung und -erhebung. Die aber gibt es nicht, stattdessen ist Europa eine Region der Steueroasen für Investoren wie Privatanleger (s. Glossar).

Das US-Finanzministerium hat der EU-Kommission vorgeworfen, sie führe sich auf wie eine „supranationale Steuerbehörde“. Weit gefehlt, bevor in der EU ein derartiges Institut zustande kommt, das den unsinnigen und extrem schädlichen Steuerwettbewerb unter den Mitgliedsstaaten wirksam beschränken könnte, müsste die Union eine Kehrtwende vollziehen. Weg vom neoliberalen Mantra, wie das zuletzt im Vertrag von Lissabon (2007) festgeschrieben wurde. Die EU-Bürger müssten endlich begreifen, dass sie dieser perverse Wettstreit insgesamt mehr kostet, als er einzelnen EU-Ländern einbringen kann. Nicht nur der Beschäftigungseffekt von Steuerdeals mit multinationalen Unternehmen ist mehr als zweifelhaft oder existiert oft nur auf geduldigem Papier.

Natürlich kann man es den Regierenden in Dublin nicht vorwerfen, dass sie vorausschauend an das Europa nach dem Brexit denken. Wenn der einmal vollzogen ist, wird keine britische Regierung der Versuchung widerstehen, den Finanzplatz London und den Standort Großbritannien in eine riesige Steueroase zu verwandeln. Mit einer solchen Herausforderung vor ihrer Nase werden sich die Regierungen der Rest-EU mehr Steuerwettbewerb einhandeln, als ihnen lieb sein kann.

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